Der erste Sommerhit

Paul Gerhardts «Geh aus mein Herz…»

Kein Sommer vergeht, ohne dass die Musikbranche einen «Sommerhit» kürt. Locker muss er sein, leicht und das Lebensgefühl des Sommers unterstreichen. Die meisten Sommerhits bleiben allerdings sogenannte «One-Hit-Wonder», Eintagsfliegen. Ganz anders ein Klassiker aus der Zeit nach dem 30-jährigen Krieg, der zum Volkslied wurde: Paul Gerhardts «Geh aus mein Herz und suche Freud».
Blumenherz

Was hebt ein Lied wie «Geh aus mein Herz und suche Freud» aus der Masse heraus und lässt es zum Klassiker werden? Was fanden die Menschen vor fast 400 Jahren besonders daran – und warum singen es viele noch heute gern?

Lebensgefühl Dankbarkeit

Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier,
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.

Paul Gerhardt (1607-76) verfasste zahlreiche Lieder. Er schrieb biblische Psalmen um und behandelte Tages- und Jahreszeiten sowie theologische Themen. Unabhängig vom jeweiligen Inhalt waren seine Texte schlicht, singbar und voller Wärme.

Nicht alle seine Lieder entstanden während des 30-jährigen Krieges, doch diese Notzeit überschattete das ganze Leben und Wirken des Theologen und Dichters. Genauso wie seine familiäre Situation: Vier seiner fünf Kinder starben früh und auch seine Frau musste Gerhardt zu Grabe tragen. Aber die positiven Inhalte seiner Lieder sind kein Wegschauen von diesen Widrigkeiten. Sie sind vielmehr ein trotzig-gläubiges Festhalten an Gottes Liebe, ein bewusstes Hinschauen zu den Schönheiten, die das Leben trotzdem zu bieten hat. So nimmt Gerhardt den Sommer in den Blick. Und während er von Bäumen, Nachtigallen, Hirschen und Bächen erzählt, weiss er gleichzeitig um die Grenzen dieser Schönheit und lebt in der Spannung des «lässt du's uns so lieblich gehn / auf dieser armen Erden».

«Ich» bin beteiligt

Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des grossen Gottes grosses Tun

erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.

Paul Gerhardt erzählt in seinen Liedern von sich selbst und nimmt den einzelnen Zuhörer mit hinein ins Geschehen. Damals war das neu. Bei Luther und seinen Zeitgenossen ging es noch um «objektive» Themen, vielleicht auch einmal um das Rufen der Gemeinde zu Gott in Wir-Form. Doch Gerhardts Texte markieren den Beginn einer neuen Zeit. In ihnen geht es um den Einzelnen und seine subjektive Wahrnehmung, seine Empfindungen – das Ich ist gefragt.

Volkstümlich und tief

Erwähle mich zum Paradeis
und lass mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen.

15 Strophen hat das Original von «Geh aus mein Herz», von denen allerdings die meisten nicht mehr gesungen werden. Zum wirklichen Volkslied wurden die ersten drei davon, in denen es um Sommer und Natur geht. Das Lied schliesst allerdings mit der Bitte an Gott, selbst zur Vollendung zu gelangen und dem Wunsch bzw. Versprechen, sich ihm dafür ganz zur Verfügung zu stellen. Hier und an vielen Stellen mitten im Lied hören wir nicht nur den Dichter, sondern den persönlich betroffenen Christen, der von sich selbst erzählt und gleichzeitig den Pfarrer, der seine Gemeinde im Blick hat und sie ermutigen möchte.

Die Sprache von Paul Gerhardt mag altertümlich wirken, doch die Mischung aus persönlich erlebten Problemen, gelebtem Glauben und einer hoffnungsvollen Sicht auf die Zukunft in seinen Liedern überzeugt bis heute.

Kennen Sie noch den Sommerhit von 2016? Das war «Don't Be So Shy» von Imany in der Remix-Version des russischen DJ- und Musikproduzenten-Duo Filatov und Karas. Sie erinnern sich nicht mehr? Aber wahrscheinlich kennen Sie den Sommerhit von 1653, auch wenn er nur selten im Radio gespielt wird: «Geh aus, mein Herz, und suche Freud…»

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Datum: 27.08.2018
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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