Umfrage

Nichts geht über die Familie

Die Familie ist für die Mehrheit der Deutschen nach wie vor der wichtigste "Wert". Sie nimmt mit 52 Prozent den Spitzenplatz in der persönlichen Werteskala ein. Auf Platz zwei kommt die Ehrlichkeit (35 Prozent), gefolgt von der Freiheit (13 Prozent). Eine Analyse der Ergebnisse weckt Besorgnis.
Familie
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Die repräsentative Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut Emnid für das Magazin Reader's Digest erstellte, hatte zwei Teile: Zuerst wurden rund 1000 Frauen und Männer gebeten, 24 ausgesuchte Werte nach deren Wichtigkeit zu ordnen. Danach konnten weitere 1000 repräsentativ ausgewählte Bürger fünf Werte ihrer Wichtigkeit nach einstufen. Besonders auffällig: Im ersten Teil der Umfrage landeten vermeintlich wichtige Werte weit abgeschlagen. Während Ehrlichkeit (74 Prozent), Familie (68), Gerechtigkeit (64) und Respekt vor anderen (61) die ersten vier Plätze belegten, rangieren Tugenden wie Fleiss (37), Leistungsbereitschaft (33), Sparsamkeit (19), der Respekt vor Autoritäten (18) und religiöser Glaube (14) weit hinten. Ein Jahr nach der Fussball-WM, die deutschlandweit für ungewohnte schwarz-rot-goldene Emotionen sorgte, erreichte der Wert Patriotismus mit acht Prozent nur den vorletzten Platz.

Komfort des Sozialstaats

Die älteren Deutschen zeigten sich in der Umfrage besonders wertebewusst: So ordneten Bürger über 60 Jahre das Verantwortungsbewusstsein mit 64 Prozent deutlich höher ein als der Schnitt der Bevölkerung (53 Prozent). Ähnliche Ergebnisse ergaben sich bei dem Respekt vor Autoritäten und der Unabhängigkeit. Die Tatsache, dass Leistungsbereitschaft und Sparsamkeit so schlecht abgeschnitten haben, zeigt laut Professor Joachim Behnke von der Universität München erneut, "dass in entwickelten Ländern mit hohem Wohlstand die materiellen Werte in den Hintergrund treten".

Dieser Trend zeigte sich auch im zweiten Teil der Umfrage, wo Familie und Ehrlichkeit die Plätze tauschten. Fazit von Behnke: "Menschen bekennen sich besonders gern dann zu moralischem Verhalten, wenn es sie nichts kostet. Also bewerten sie erst einmal alles als wichtig, was positiv besetzt ist." Einzig die Alleinstehenden platzierten die Familie erwartungsgemäss nicht auf den ersten Rang, sondern nannten Ehrlichkeit mit 45 Prozent als wichtigsten Wert.

Misstrauen "besorgniserregend"

Ein anderer Wert lässt dafür umso mehr aufhorchen. Während in der persönlichen Skala der 24 Werte der Respekt vor anderen mit 61 Prozent den vierten Platz belegte, glauben nur 43 Prozent der Befragten, dass dies auch anderen Menschen wichtig ist: Sie erleben nicht so viel Achtung von anderen, wie sie sich vornehmen. Ähnlich gross ist die Diskrepanz beim Thema Verantwortungsgefühl mit 53 zu 46 Prozent. Diese Diskrepanzen sind für den Münchner Werteforscher Behnke besorgniserregend; wer ein so grosses Misstrauen gegenüber seinen Mitmenschen habe, wende sich innerlich von der Gemeinschaft ab.

Zerstört Bildung Ideale?

Dazu passt auch eine andere Erkenntnis der Umfrage: Je höher der Bildungsgrad der Befragten ist, desto seltener wählten sie Ehrlichkeit als den wichtigsten Wert. So setzten 46 Prozent der Befragten mit Volksschulabschluss und 37 Prozent derjenigen mit einer Lehre die Ehrlichkeit auf Platz eins, aber nur 30 Prozent der Menschen mit Abitur oder Hochschulabschluss.

Behnke sieht das als bedenklichen Trend: "Es stellt sich schon die Frage, ob in unseren Schulen noch ausreichend soziale Kompetenzen vermittelt werden. Das Erlernen von Rücksichtnahme auf andere, von Hilfsbereitschaft kommt möglicherweise zu kurz, stattdessen wird erlernt, dass jeder die eigenen Interessen durchzusetzen hat." Dies könne auf Dauer dazu führen, dass aus "Der Ehrliche ist der Dumme" der Slogan "Nur noch der Dumme ist ehrlich" wird.

Kommentar

Stabiler Raum des Vertrauens?

von Peter Schmid

Abgesehen davon, dass Durchschnittsbürger ihre Werte im Alltag nicht bewusst gegeneinander abwägen und so jede Rangierung etwas Zufälliges hat: Die Befunde geben zu denken.

So hoch die Familie geschätzt wird, ist sie doch der heile Lebensraum in vielen Fällen nicht - nicht mehr, wenn man an die Scheidungszahlen denkt. Gleichwohl hat die Familie einen unschätzbaren Wert als Raum, in dem man sich unverstellt geben und unauflösliche Bindungen pflegen kann. Das Ureigenste von sich weitergeben und schutzbedürftiges Leben hegen - das schätzen manche Westeuropäer wieder höher, nachdem ihre Eltern im Streben nach Wohlstand und Mobilität gealtert sind. Kreuzfahrten zu paradiesischen Inseln bringen die Erfüllung nicht.

Ob die soziale Kälte in Deutschland (wie vermutet) weiter fortgeschritten ist als in der Schweiz, ist nicht zu beantworten; die Umfrage wurde bloss nördlich des Rheins durchgeführt. Das Misstrauen gegenüber denen, die man nicht kennt, muss zu Besorgnis Anlass geben. Mit ihm einher geht der zunehmende Wille, sich auch mit harten Bandagen durchzusetzen. Dies wirkt auf Beziehungen zurück; auch in persönlichen Kontakten siegt das Kalkül über den Wunsch nach Freundschaft.

In dieser Atmosphäre kommt es auf die Christen an. Wenn das Vorbild von Jesus für sie massgebend ist, so dass sie ihre Kräfte und Mittel - ja, sich selbst - uneigennützig für andere einzusetzen, schaffen sie es auch, diesem Wert gesellschaftlich wieder Strahlkraft zu vermitteln? Oder fördert der Sozial- und Versorgerstaat unausweichlich eine Mentalität, in der ich mir hole, was ich kann, um über die Runden zu kommen - und mich mokiere über jene, die sich noch abmühen, die "den Andern höher achten als sich selbst"?

Der religiöse Glaube erscheint nicht unter den vorrangigen Werten. Nicht nur im Osten Deutschlands bringen manche zum Ausdruck, dass sie ihn für ein solides Leben entbehren können. Das Gehabe traditionalistischer Muslime und die mediale Stimmungsmache gegen alle Religion, die von einem mächtigen Gott redet, dürften das Ihre dazu beitragen, dass man am Wert einer religiös bestimmten Identität zweifelt. Respekt und Ehrlichkeit sind wichtiger. Sie sind auch einfacher zu leben, wenn man sich am gelebten Durchschnitt (und den Helden und Opfern im Fernsehen) orientieren kann und sich nicht an der Latte von Jesus messen muss...

Die Umfrage

Erster Teil der Umfrage: Ordnen Sie die folgenden 24 ausgesuchten Wert nach ihrer Wichtigkeit!
[Basis: 1000 Befragte in Deutschland]

1. Ehrlichkeit, 74
2. Familie, 68%
3. Gerechtigkeit, 64%
4. Respekt vor anderen, 61%
5. Freiheit, 60%
6. Hilfsbereitschaft, 54%
7. Verantwortungsgefühl, 53%
8. Höflichkeit, 51%
9. Bildung, 51%
10. Sicherheit, 50%
11. Unabhängigkeit, 43%
12. Friedfertigkeit, 41%
13. Toleranz, 41%
14. Fleiss, 37%
15. Vertrauen in andere, 35%
16. Leistungsbereitschaft, 33%
17. Lebensgenuss, 26%
18. Mut, 21%
19. Sparsamkeit, 19%
20. Respekt vor Autorität, 18%
21. Tradition, 15%
22. Religiöser Glaube, 14%
23. Patriotismus, 8%
24. Einfluss auf andere, 4%

Zweiter Teil der Umfrage: Welcher der folgenden Werte ist Ihnen am wichtigsten?
[Einstufung von fünf ausgewählten Werten. Basis: 1000 Befragte in Deutschland]

1. Familie, 52%
2. Ehrlichkeit, 35%
3. Freiheit, 13%
4. Tradition, 1%
5. Einfluss auf andere, 0%

Quelle: Livenet / Reader's Digest

Datum: 25.06.2007
Autor: Peter Schmid

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