Gesellschaft

Was die Alten für die Jungen tun könnten

Der St. Galler Professor Peter Gross plädierte mit einem Essay in der Weltwoche für eine Entwarnung im Blick auf die prognostizierte demographische Katastrophe. Sein Rezept: Die alten Menschen als Faktor der Stabilität unserer Gesellschaft ernst nehmen – und sie an den Lasten der nachwachsenden Generation beteiligen.
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Peter Gross formuliert es durchaus originell: „Zweifellos hat eine Gesellschaft mit vielen Älteren eine Schwere und Beständigkeit, die nicht nur bedrohlich, sondern, gegenüber sich schnell umwälzenden und unruhigen Gesellschaften, durchaus erfreulich ist. Stellt man die Bevölkerungspyramide, wie sie sich heute darstellt, vom Kopf auf die Füsse, wie das in der Natur, wo das Wurzelwerk unten und die jungen Triebe oben sind, selbstverständlich ist, so stellt sich ein verblüffend beruhigendes Bild ein. Das Bild eines verdankten Baumes. Es könnte sein, dass sich auch die Jungen in dieser Gesellschaft wohler fühlen als in einer mit offensiven Jungscharen wie in der islamischen Welt, in der drei Viertel der Bevölkerung unter 30 sind.“

Hohe Kosten für den Nachwuchs

Nach dieser Feststellung zweifelt Gross die demographischen Berechnungen an und argumentiert, auch der Nachwuchs bedeute für die aktive Generation zuerst einmal hohe Kosten. Er wendet sich gegen eine „Verstaatlichung“ der bislang weitgehend privat verantworteten Kinderkosten. Auch bringen seiner Meinung nach die „angemahnten familien- und gebärpolitischen Massnahmen“ nichts. Gross weiss hier eine breite Meinungsfront hinter sich, aber nicht unbedingt die Zahlen aus Ländern wie etwa Frankreich, wo dank familienpolitischer Massnahmen die Geburtszahlen deutlich über dem europäischen Durchschnitt liegen.

Gross wendet sich aber gegen die Illusion, das Problem lasse sich mit verstärkter Einwanderung lösen. „Spätestens in der zweiten Generation werden sich diese, auch diejenigen aus nichtwestlichen Kulturkreisen, den Vorstellungen der Schweiz anpassen, mithin weniger Kinder haben und ebenfalls älter werden.“

Solidarität der Alten mit den Jungen

Gross fordert deshalb die Politik auf, „sich über das jetzt bestehende Verhältnis der Generationen Gedanken zu machen“. Von den weithin glücklichen Senioren sei „Solidarität mit den Jungen“ zu fordern. Gross ganz direkt: „Dass diese, wie man sagt, reichste ältere Generation, die es je gab, etwas von dem, was sie mit harter Arbeit, aber auch mit dem Glück der Hochkonjunktur erwirtschaftet hat, an die jüngere Generation zurückzugeben hat, ist wohl selbstverständlich.“

Zu diskutieren sei aber auch eine stärkere Belastung derjenigen, die keine Elternverantwortung getragen hätten. Gross fragt provokativ: Warum eigentlich soll ein Jahrgang, der seine Geburten reduziert hat, nicht mithelfen, die Konsequenzen zu tragen?“

Gross erinnert andererseits daran, dass die alten Menschen auch mit ihrer Arbeitsleistung noch einen erheblichen Beitrag an unsere Gesellschaft leisten, insbesondere durch unbezahlte Arbeit. Viele wären auch über das Rentenalter hinaus gerne erwerbstätig, wenn man ihnen die Möglichkeit gäbe. Man darf die Potenziale der Menschen nicht mit industrie- gesellschaftlichen Massstäben messen, wo die körperliche Leistungsfähigkeit im Vordergrund stand.“ Gross plädiert daher für eine vollständige Öffnung der Lebensarbeitszeit nach oben. Den Erwerbstätigen sei die Entscheidung zu überlassen, wann sie in Pension gehen möchten.

Gross vermittelt mit seinen Vorschlägen der älteren Generation zweifellos eine höhere Wertschätzung, nimmt sie aber auch massiv stärker in Pflicht. Mit seinen Vorschlägen packt er ein heisses Eisen an, und man darf gespannt sein, wer es zuerst anpacken wird. Zu hoffen bleibt indessen, dass seine massiven Zweifel an den demographischen Hochrechnungen die politische Klasse nicht zu stark beruhigt.

Datum: 03.07.2003
Autor: Fritz Imhof
Quelle: SSF

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