Vorsicht, Falschmeldung!

Kein «Grüss Gott» mehr an Schulen?

Ein Brief, der gerade in den sozialen Medien kursiert, behauptet, dass Stuttgarter Schulen aus Rücksicht auf muslimische Mitschülerinnen und Mitschüler das typisch süddeutsche «Grüss Gott!» verbieten wollen. Die Meldung ist frei erfunden, jedoch leider nicht ohne Wirkung.
Lehrerin im Klassenzimmer

Worum geht's? Über WhatsApp und Facebook wird gerade ein Brief geteilt, gelikt und kommentiert, in dem jemand zunächst einmal seine Betroffenheit äussert: «Da hat sich Jemand was vom Herzen geschrieben. Und Recht hat sie. Das ist der HAMMER!!!» Danach folgt der eigentliche Brief mit einer Mischung aus Information (Schülerinnen und Schüler in Stuttgart dürfen angeblich aus Rücksicht auf muslimische Befindlichkeiten nicht mehr mit «Grüss Gott» grüssen) und deutlich rassistischen Handlungsaufforderungen.

Das Stuttgarter Kultusministerium stellte laut dem Recherchenetzwerk «Correctiv» klar, dass dies Falschinformationen seien, die von keiner öffentlichen Stelle in Stuttgart herausgegeben wurden.

Die angebliche Bedrohungslage

Im Kettenbrief wird unter anderem behauptet: «Zu Schulbeginn wurden in Stuttgarter Schulen die Kinder von ihren Klassenvorständen informiert, wie man sich in der Gesellschaft zu verhalten hätte. Grüssen, Bitte und Danke sagen, einfach höflich und freundlich sein. Soweit in Ordnung, aber des Weiteren wurde ihnen auch mitgeteilt, dass das uns in Baden Württemberg vertraute 'Grüss Gott' nicht mehr verwendet werden darf, da das die moslemischen Mitschüler beleidigen könnte. Dazu kann man als Otto Normalbürger eigentlich nichts mehr anfügen und nur mehr den Kopf schütteln. Ich kann's gar nicht glauben. Ist aber wahr. Ihr könnt Euch gerne in Stuttgart in den Volksschulen erkundigen. EINWANDERER UND NICHT DIE Deutschen SOLLEN SICH ANPASSEN!» (Vollständiger Text hier)

Mit der angesprochenen Bedrohungslage zielt der Brief auf wertkonservative und heimatverbundene Menschen. Mit dem konstruierten Gegensatz zwischen dem traditionellen «Grüss Gott» und dem Islam auch auf Christen.

Der Aufbau solcher Kettenbriefe

Oft beginnt eine Falschinformation dieser Art mit scheinbar persönlicher Betroffenheit. Dann wird eine seriös wirkende, aber nie direkt genannte Quelle erwähnt. Hier: «kommt von einer jungen Lehrerin!» Im Anschluss folgt Betroffenheitsrhetorik: «Dazu kann man nur mehr den Kopf schütteln» oder der beliebte Hinweis, dass man so etwas ja gar nicht mehr öffentlich sagen dürfte… Dazwischen eingestreut sind dann rassistische Sätze oder Aufforderungen an die scheinbaren Täter wie im vorliegenden Brief: «Ihr habt das RECHT, Deutschland zu verlassen, wenn es euch nicht passt!»

Bei näherem Nachforschen ist leicht festzustellen, dass der identische Brief auch schon 2019 und 2011 kursierte. Damals berichtete zum Beispiel die WELT darüber. Der gemeinnützige Verein zur Aufklärung über Internetmissbrauch, MIMIKAMA, verfolgte die Spuren des Briefs bis ins Jahr 2008 nach Österreich zurück. Dieser Ursprung erklärt auch Ungereimtheiten wie die Verwendung des Begriffs «Volksschule», der in Deutschland schon lange nicht mehr üblich ist.

Erst prüfen, dann teilen

Das Problem bei solchen Meldungen ist oft, dass sie die Befindlichkeit ihrer Zielgruppe ganz gut zusammenfassen und dann schnell und unkritisch weitergegeben werden – man hat es sich ja schon immer gedacht… Wie lässt sich so etwas verhindern?

  • Bleiben Sie kritisch – selbst wenn Ihnen eine Nachricht zunächst aus dem Herzen spricht.

  • Achten Sie auf seltsame Ungereimtheiten (unser Brief enthält Hinweise auf den Schulanfang, der jetzt im Juni gar nicht stattfindet) und unwahrscheinliche Ereignisse.

  • Bemühen Sie sich darum, eine zweite Meinung einzuholen – besonders wenn die Informationen Ihrem eigenen Wunschdenken nahekommen.

  • Werden Quellen genannt, die Sie nachschlagen können? Tun Sie es. Was sagen Nachrichtenseiten dazu?

  • Überprüfen Sie seltsam anmutende Informationen bei Informationsdiensten wie MIMIKAMA. MIMIKAMA ist der Suaheli-Begriff für «gefällt mir». Das ehrenamtlich betriebene Internetportal beschäftigt sich schwerpunktmässig mit der Aufdeckung von Falschmeldungen im Internet – übrigens auch rund um Covid-19-Nachrichten. Wenn Sie eine Falschmeldung oder einen Hoax vor sich haben, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass er hier bereits beschrieben wird.

  • Der Internetsachverständige des Neuen Testaments ist Jakobus. In seinem Brief gibt er allen, die dazu neigen, auch falsche Meldungen ohne Zeitverzögerung weiterzugeben bzw. zu teilen, einen wichtigen Tipp: «Darum, meine geliebten Brüder, sei jeder Mensch schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn» (Jakobus Kapitel 1, Vers 19).

Zur Webseite:
MIMIKAMA

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Datum: 17.06.2021
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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