Die Tagung für Behördenmitglieder und Pfarrer, die die reformierte Zürcher Landeskirche und Boldern jeden Winter an mehreren Wochenenden durchführen, dreht sich dieses Jahr um moderne Kommunikation. Wie wirken sich die neuen Medien auf das Gemeinde- und Privatleben aus, was machen sie mit uns? Der Medienforscher Mirko Marr von der Universität Zürich konzentrierte sich in seinem Referat allerdings auf die entgegengesetzte Fragestellung. Er legte dar, wie das Internet genutzt wird, und betonte, es komme darauf an, das neue Medium – einem Tier gleich – zu zähmen, es auf die Bedürfnisse der Gesellschaft abzurichten. Die Folgen der neuen Technologie seien nicht schicksalsergeben hinzunehmen; sie ergäben sich „aus dem, was das Internet kann, und dem, was wir damit machen“. Wie bei jeder Technologie hielten sich auch beim World Wide Web Vor- und Nachteile die Waage (beim Mail: Spam). Mirko Marr informierte über den aktuellen Stand der Internetnutzung. Wenn man die Anfänge vor 1994 mit einrechne, verbreite sich das neue Medium vermutlich nicht schneller als einst Radio und Fernsehen. Während 1997/98 erst 11 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer wöchentlich online gingen, sind es derzeit 51 Prozent (Arbeits- und Freizeit). Täglich surfen 40 Prozent. Die Kluft zwischen Akademikern und Volksschulabgängern hat sich gemäss den Erhebungen in den letzten Jahren erweitert. Dagegen holen, so Marr, die Frauen ihren früheren Rückstand auf. Senioren entdecken das grenzenlose Medium: Ein Viertel der über 50-Jährigen geht jede Woche ins Netz. Zwischen Stadt und Land bestand hierzulande, anders als in den USA, nie ein grosser Unterschied. So macht uns, meinte der Medienforscher, das Internet „nicht schlauer, aber auch nicht dümmer“ – und es macht uns „nicht einsamer, als wir ohnehin schon sind“. Marr geht auch davon aus, dass es nicht stärker süchtig macht als TV. Sein Referat beschloss er mit dem Appell, dem Internet auf Augenhöhe zu begegnen. Die Veranstalter der Kirchenpflegertagung bemühten sich um Nähe zur Praxis – und zum Cyberspace: Sie richteten für die acht Workhops am Samstagmorgen Internetzugänge ein. Das Themen-Spektrum reichte vom optimalen Webauftritt für Kirchgemeinden über Chatroom-Gottesdienste, die Nutzung von SMS und Handy für die Seelsorge bis zum visuellen Erscheinungsbild der Kirchgemeinden und zum Mailknigge. Weitere Gruppen überlegten, wie der Generationendialog im Internet gefördert werden kann und wie sich Ehepaare und Eltern der Gefahren der neuen Medien erwehren können. Einen Vortrag, der Informationsflut und neue Medien in Beziehung gesetzt hätte zur kirchlichen Hauptaufgabe, die eine Gute Nachricht von Jesus Christus den Menschen anzutragen, boten die Veranstalter in der ersten der fünf diesjährigen Kirchenpflegertagungen nicht. Dafür Cabaret: Dass mit all den Kommunikationsmöglichkeiten diverse Probleme aufkommen und neue Missverständnisse inbegriffen sind, führten vier „Chilemüs“ auf einem Schiffsdeck amüsant vor. Die Flaggensprache, ins Spiel gebracht vom altgedienten Matrosen, punktete mit ihrer Zuverlässigkeit und Eindeutigkeit gegenüber Handy und Co. Zu Beginn der Tagung am Freitagnachmittag hatten Monika Assenberg, Sozialpädagogin und Kirchgemeindepräsidentin in Dietikon, und der Marthaler Synodale und Lehrer Alfred Vogel Vor- und Nachteile der neuen Medien dargestellt: Die Sprösslinge sind per Handy im Ausgang erreichbar; mit dem Email ist Behördenarbeit flexibler zu erledigen. Anderseits droht im beiläufigen Versenden von SMS der Sinn für die persönliche Begegnung – „Wort und Blick“, sagte Vogel – verloren zu gehen. Assenberg befürwortete Internet-PCs in kirchlichen Jugendtreffs. So könnten Jugendliche sich Informationen beschaffen und etwa auch Bewerbungen schreiben. „Wir verraten Kirche nicht, wenn wir neue Medien mit Mass nutzen.“ Dagegen meinte Vogel, die Kirche werde modernen Trends immer hinterher laufen. „Das Fernsehen und neue Medien fressen uns auf, nehmen uns Zeit für Inspiration“, warnte er. Unter den 80 Teilnehmenden fand Mori übrigens keine Mehrheit für den Vorschlag, die Kirchtürme als Antennenstandorte herzugeben, falls die meisten Gemeindeglieder drahtlos telefonieren… Internet-Nutzung und gesellschaftliche Perspektiven:Das Internet zähmen!
Die Mehrheit der Schweizer online
„Alarmmedium“
Die Surfzeit der Deutschen mit Internetzugang stagniert neuerdings bei zwei Stunden pro Tag. Auch zeigt sich, dass meistens nicht mehr als 8-10 verschiedene Anwendungen (wie e-Banking, Wetter, Shopping, Dienstleistungen) genutzt werden. Die wichtigsten sind und bleiben Email und Informationsangebote. Viele nutzen das Internet vornehmlich, „um zu beobachten, ob was passiert“ – und wenn, dann schalten sie den Fernseher ein. Marr sprach deswegen vom „Alarmmedium“.
Praxisnahe Workshops
Keine Theologie, aber Cabaret
Vorteile für Behördenarbeit – Gefahren für Gemeinschaft
Antenne auf dem Kirchturm – nein danke
In der Diskussion wurde bemerkt, Kirchgemeinden ohne aktuellen Internet-Auftritt wirkten verstaubt. Gesprächsleiter Nicolas Mori, Leiter des landeskirchlichen Informationsdienstes, wies darauf hin, dass die gewünschte Vereinfachung der Behörden-Arbeit sich erst dann einstellt, wenn alle Mitglieder und Betroffenen per Mail erreichbar sind (angeblich wird in diversen Kirchgemeinden an der Zürcher Goldküste Papier weiterhin der elektronischen Post vorgezogen).
http://zh.ref.ch/content/e5/e4227/e9196/index_ger.html
Infos zur Kirchenpflegertagung:
http://zh.ref.ch/content/e5/e4227/index_ger.html
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Datum: 20.01.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch