Lara Stoll

«Ich sehne mich nach Seelenfrieden»

Lara Stoll
Auffälliges Verhalten führte sie zur Kinderpsychologin, Druck im Gymnasium in eine Essstörung. In der Kunst findet die Slam-Poetin, Filmerin, Schauspielerin, Autorin und Musikerin Lara Stoll ihr Ventil. Hope sprach mit ihr bei abgekühltem Kessel.

Lara Stoll, Sie sind 1987 in Schaffhausen geboren und in Rheinklingen aufgewachsen. Was schätzen Sie an Ihrer Heimat?
Die Idylle und die Ruhe. Rheinklingen ist ein 150-Seelendorf ohne ÖV-Anbindung. Mein Elternhaus liegt 10 Meter vom Fluss entfernt. Ich war in meinem Alter das einzige Kind im Dorf und kaum Reizen ausgesetzt. Kreativität und Fantasie lebte ich in der Natur für mich allein. Schon damals habe ich Geschichten zusammengesponnen, mit dem, was mir gerade vor den Füssen lag oder lief … wie das Huhn am Rhein, dem ich ein drittes Bein andichtete.

Trotzdem war nicht alles Friede, Freude Eierkuchen. Ihre Mutter ging mit Ihnen zur Kinderpsychologin, noch bevor Sie in den Kindergarten kamen …
Ja, ich war ein Trotzkopf, hatte Mühe, meine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Durch die Spieltherapie wurde es besser.

Sie kehren noch heute gern in Ihr Elternhaus zurück. Was ist die schönste Tradition in Ihrer Familie?
Ganz klar das Weihnachtsfest. Alles wird akribisch geplant, das Datum bereits im April festgelegt und jeder hat sein Ämtli – wobei ich für die Käseplatte verantwortlich bin. Solange meine Grosseltern noch lebten, gingen wir an Heiligabend in die Kirche, und seit mein Bruder Kinder hat, singen wir wieder Weihnachtslieder. Auch das Fischessen am Karfreitag hat bei uns Tradition.

Fehlt nur noch Ostersonntag … wurden Sie im christlichen Glauben sozialisiert?
Nicht wirklich. Ich besuchte als Kind die Sonntagsschule. Sie fand im Schulhaus statt. Ich konnte mit anderen Kindern zusammen sein, basteln und Geschichten aus der Bibel hören. Mir gefiel das. Bis ich älter wurde und die Sache zu hinterfragen begann.

Beschreiben Sie uns rückblickend die 12-jährige Lara Stoll!
Die stand vor den normalen «Baustellen» der Teenagerjahre: Ablösung vom Elternhaus, Freunde finden, sich selbst finden und erst einmal verstehen … und – Moment! Ich stand auch zum ersten Mal auf der Kleinen Bühne im Stadttheater Schaffhausen.

Tatsächlich – mit 12?
Ja, ich wirkte mehrere Jahre in einem Laientheater mit. Dort lernte ich auch Gabriel Vetter kennen. Er war es, der mich für Slam-Poetry begeisterte und motivierte, das selbst einmal auszuprobieren.

Mit dauerhaftem Erfolg – und zahlreichen Auszeichnungen, darunter der Salzburger Stier (2021) und – taufrisch – der Greulich Kulturpreis. Parallel zum Einstieg ins Slammen absolvierten Sie die Pädagogische Maturitätsschule in Kreuzlingen. Was hinderte Sie am Weg ins Klassenzimmer?
Ich bin nie sonderlich gern zur Schule gegangen. Auch das Unterrichten bereitete mir keine Freude. Ich war zwar eine gute Schülerin, aber die hohen Noten waren meinem Perfektionismus geschuldet. Der Druck wurde so stark, dass ich in die Magersucht abdriftete. Über mehrere Jahre verlor ich schleichend an Gewicht – bis ich im Spital aufgepäppelt werden musste.

Danach versuchten Sie, im Journalismus Fuss zu fassen …
Richtig, zuerst als Praktikantin beim Jugend-TV Viva Schweiz, danach habe ich ein Jahr lang bei Tele Top gearbeitet. Aber ich wollte mein eigenes Ding machen und wagte mit 22 den Schritt in die Selbstständigkeit als Poetry-Slammerin.

«Ich sagte mir, ich kann’s ja mal probieren … und zur Not immer noch studieren.»

Das ist mutig!
Eine Kollegin startete damals mit einer Künstler-Agentur und nahm mich unter Vertrag, genauso Gabriel Vetter und Renato Kaiser. Ich sagte mir, ich kann’s ja mal probieren … und zur Not immer noch studieren.

Woher kommt eigentlich Ihr Talent für Sprache?
Das werde ich immer wieder gefragt. Offen gestanden, ich betrachte mich in diesem Bereich nicht als sonderlich begabt. Ich kann den Leuten mit meiner Sprache gut Bilder in den Kopf setzen. Das hat allerdings mehr mit Fantasie und eigener Visualisierung zu tun als mit einem ausgeprägten Wortschatz.

Sie haben von 2011 bis 2015 an der ZHdK Film studiert und sind auch als Schauspielerin aktiv. Stehen Sie lieber vor Live-Publikum oder vor der Linse?
Beides hat seinen Reiz. Im Moment, wo ich mit meinen Projekten so viel vor Live-Publikum spiele, hätte ich nichts gegen ein fixes Projekt mit Crew und vorbereiteten Acts.

Ihre Performances sind oft körperlich, manchmal fast choreografisch. Woher rührt die Freude, sich selbst so stark in Szene zu setzen?
Ich denke, das kommt vom Theater. Für mich steht der Text immer an erster Stelle. Erst wenn er sitzt, kann ich ihm mit Gesten und Bewegungen zusätzlichen oder sogar gegenteiligen Ausdruck verleihen. Dann verschmelze ich mit dem Gesagten und mein Körper bringt es zur Geltung. Das sind für mich die intensivsten und schönsten Momente auf der Bühne.

«Was ich an Komischem wahrnehme, verwandle ich in Bühnenstoff.»

Ihr Stil bewegt sich zwischen Witz und Wahn. Woher kommt Ihr feines Gespür für das Komische im Katastrophalen?
Ich beobachte sehr genau. Ehrlich gesagt, manchmal fühle ich mich wie eine Ausserirdische, so isoliert in meiner Kunst-Bubble und ohne Austausch mit «Nine-to-Five-People». Dann wird die Welt bereits vor meiner Haustüre zu Neuland – und was ich an Komischem wahrnehme, verwandle ich in Bühnenstoff.

Sie bezeichnen Ihre Kunst als Psychotherapie für Sie selbst. Inwiefern?
Wie gesagt, Wutanfälle waren schon in meiner Kindheit Thema. Meine Emotionen in Werke zu verpacken – darin habe ich ein gutes Ventil gefunden.

Wie stark lassen Sie biografische Elemente in Ihre Arbeit einfliessen? Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Kunstfigur und echter Lara?
Alles entspringt der Realität und hat einen wahren Kern. Die Ausgangsidee spinne ich weiter, führe sie ad absurdum und verknüpfe sie mit dem Alltag. Im besten Fall entstehen daraus Geschichten, die nicht nur irritieren, sondern auch amüsieren und berühren, weil das Publikum sich selbst darin erkennt.

Sie haben mit «Hallo» 2021 auch ein Buch herausgebracht. Gibt es weitere Ausdrucksformen der Kunst, die Sie reizen, zum Beispiel das Malen?
Ja, ich male tatsächlich gern. Das spare ich mir aber für einen späteren Lebensabschnitt auf.

Auch das Genre Musik bedienen Sie. Ihr Synth-Pop-Wave-Projekt «Stefanie Stauffacher» entstand gemeinsam mit Lukas Marty. Was fasziniert Sie an dieser Kunstform?
Musik machen hat etwas sehr Befreiendes. Wir spielen mehr für uns selbst und toben uns aus. Ich liebe es, einfach zu jammen und zu schauen, was in einem einmaligen Moment alles passieren kann, wenn man gemeinsam musiziert.

Im Musikprojekt «Friedhof Sihlfeld» cruist man mit Ihnen in Schwarz- Weiss durch das düstere Areal. Wie stehen Sie Ihrem eigenen Ableben gegenüber?
Nicht sonderlich gut. Daran hat niemand Freude. Der Tod gehört halt dazu. In meiner Familie sind zum Glück alle bei guter Gesundheit. Ich verstehe es auch als Lebensqualität, den Gedanken daran zu verdrängen.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?
Ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod. Ich glaube, wir werden zu Sternenstaub. So, wie wir entstanden sind, gehen wir wieder.

Gott findet in Ihrer Kunst immer wieder mal Erwähnung. Welche drei Begriffe beschreiben Ihr Gottesbild?
Energie, Universum, Nicht-wissen.

Unsere Zeitung trägt die Hoffnung im Titel. Was bedeutet Hoffnung für Sie?
Ich rechne meist mit dem Schlimmsten, so lässt sich Enttäuschung vermeiden. Hoffnung ist für mich auch ein Überlebensinstinkt, der dann auftritt, wenn nichts mehr zu verlieren ist. Sie zeigt sich dort, wo man sie braucht, etwa beim Lesen über Krieg: In solchen Momenten bleibt nur, den Gedanken zu verdrängen oder die Schublade Humor und Zynismus zu ziehen.

«Ich möchte das Gefühl verlieren, etwas zu verpassen im Leben, möchte zufrieden sein im Moment.»

Wenn Sie tief in sich hineinlauschen … wonach sehnen Sie sich?
Nach Seelenfrieden. Ich möchte das Gefühl verlieren, etwas zu verpassen im Leben, möchte zufrieden sein im Moment. Da bin ich noch auf der Suche.

ZUR PERSON

Mein Lieblingsplatz in Zürich:
Mein Bandraum.

Meine Lieblingsbeschäftigung sonntags bei Regen:
Filme schauen mit meinem Freund und etwas Feines kochen.

Mein Hobby:
Thai-Box-Training – eher ein Investment in meine Fitness.

Ein Buch auf meinem Nachttisch:
Im Moment keines.

Dafür bin ich dankbar:
Für die Gesundheit meiner Familie und das Privileg, als kunstschaffende Person über die Runden zu kommen.

Datum: 16.12.2025
Autor: Manuela Herzog
Quelle: Hope Regiozeitung