«Mein Leben war von Misstrauen geprägt»
Als 16-Jährige verbringt Rahel Rufer ein Austauschsemester an einem Gymnasium in Barcelona. Während dieser Zeit wird bei ihrer Mutter Krebs diagnostiziert. Gleichzeitig sieht sich der Vater gezwungen, sein Geschäft zu verkaufen. Der Umsatz ist so stark eingebrochen, dass es auch für die Familie seines Geschäftspartners nicht mehr zum Leben reicht. Die Eltern stehen vor einer ungewissen Zukunft. Rahels älterer Bruder ist bereits ausgezogen. Wie soll sie als Teenager mit all dem klar kommen? Zigaretten und Joints helfen nicht weiter. Und von ihrem Kinderglauben hat sie sich verabschiedet. «Ich war sehr froh, dass ich zu jener Zeit in Spanien sein konnte», gesteht die 23-Jährige.
Überfordert und gefühlstot
Rahels Mutter übersteht die Behandlung gegen den Tumor. Doch die Medikamente haben ein chronisches Erschöpfungssyndrom bei der heute 57-Jährigen ausgelöst. Zuvor war Monika eine aktive, unternehmungslustige Frau. Nun ist sie immer müde und muss sich ausruhen. «Meine Mutter nutzte die Zeit, um viel zu beten und in der Bibel zu lesen», beobachtet Rahel damals.
Es folgen 6 Wochen in einer Rehabilitationsklinik. Während dieser Zeit erkrankt Rahels Vater Michael an einem Burnout. Auch er muss in die Klinik. Der Druck auf die Tochter wird so stark, dass sie sich nicht mehr spürt. Dazu sagt Rahel: «Ich hatte das Gefühl, mein ganzes Leben sei mir entglitten». Sie fängt an, sich zu ritzen, erklärt: «Ich bin sehr feinfühlig und meine Eltern hatten so viel zu tragen. Ich wollte keine weitere Belastung für sie sein.» Hilflos steht Rahel damals zwischen Vater und Mutter, kann ihnen nicht sagen, dass es ihr ebenfalls schlecht geht.
Auch ihre beste Freundin nimmt nicht wahr, dass Rahel Unterstützung braucht. «Wenn wir zusammen waren, hatten wir es sehr gut», betont Rahel. Manchmal muss sie jedoch tagelang auf eine Reaktion per WhatsApp warten. «Dann war die dunkle Phase bereits überstanden», bemerkt Rahel nüchtern. Die junge Frau stellt klar, dass sie schon immer stur sein konnte und bekennt: «Nun wurde ich richtig hart, ich verschloss mich allen Menschen gegenüber. Es gab eh niemanden, der meine Not wahrnahm.»
Flucht vor der Realität
Unterdessen ist Rahel 20 und flüchtet sich in den Sport. Reiten, Rennen, Squash – alles betreibt sie verbissen und erzählt: «Nach zwei Stunden Workout ging ich noch eine Stunde joggen». Um nicht gänzlich die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren, ändert Rahel ihr Essverhalten: «Ich zählte jede Kalorie, nahm keine Kohlenhydrate mehr zu mir, kochte nur noch Gemüse für mich und ass nach 18 Uhr nichts mehr.»
Die Mutter bemerkt, dass Rahel immer dünner wird und spricht sie darauf an. Aber ihre Tochter lässt sich nichts sagen, erbricht das wenige Essen nach den Mahlzeiten. Sie spürt: «Wenn ich mich öffne, breche ich zusammen.» Damals hat Rahel einen Freund und den Studienbeginn an der Pädagogischen Hochschule Zürich vor sich. Wenn ihr Freund fragt, wie es ihr geht, antwortet sie: «Gut!», und er glaubt ihr. Auch er bekommt nicht mit, wie sehr sie leidet. Rahel erklärt: «Wir waren uns körperlich nah, emotional nicht, aber das war mir egal.
Mein Leben war von Misstrauen geprägt.» Als der Freund die Beziehung abrupt beendet, ist Rahel schockiert – und kurz darauf erleichtert. «Aber ich wusste nicht mehr, wofür ich eigentlich lebe», gesteht sie. Wieder schlüpft Rahel in ihre Joggingschuhe und läuft los. «Mir wurde klar, dass ich es allein nicht mehr hinkriege…»
Intensive Seelenwäsche
Als Kind war Rahel mit ihrer Mutter zur Kirche gegangen, hatte in der Sonntagschule die Geschichten von Jesus gehört. Doch im Gymi hatte sie neue Freunde kennengelernt, die Freizeit mit ihnen verbracht und sich nicht mehr für die Bibel interessiert. Sie wollte frei sein, befürchtete durch christliche Regeln eingeschränkt zu werden. Während sie ihrer Verzweiflung und Verwirrung davonläuft, redet Rahel mit Jesus. Sie schüttet dem Freund aus Kindertagen ihr Herz aus. Schliesslich vertraut sie ihm ihr ganzes Leben an. «Unmittelbar breitete sich ein innerer Frieden in mir aus. Ich fühlte mich plötzlich frei und geliebt», erzählt Rahel und strahlt. «Es war, als würde alles, was mich belastete, von mir abgewaschen.» Zuhause angekommen fühlt sie sich rein. Und sie weiss, dass sie nicht mehr allein ist.
Neue Freiheit
Auch Rahels Vater hat durch seine Krise zum Glauben an Jesus Christus gefunden. Monika und er hatten intensiv für ihre Tochter gebetet und freuen sich riesig, als diese ihnen von ihrer Lebenswende erzählt. Allerdings wiegt Rahel bei einer Grösse von 170 cm nur noch 49 kg «Wenn du nichts änderst, bringe ich dich ins Spital», stellt ihre Mutter klar. Und als wäre ein Schalter umgelegt worden, kann Rahel aufhören, zwanghaft Sport zu treiben und es gelingt ihr, wieder mehr zu essen. «Ich bin schnell hineingeraten und konnte auch rasch wieder aussteigen. Das ist ein Wunder!», resümiert Rahel. Seit kurzem raucht sie auch nicht mehr.
Echter Zusammenhalt
Rahel findet neue Freunde und Anschluss in der Freikirche Hillsong in Zürich. Es wird wieder hell in ihrem Leben, neue Lebendigkeit erfüllt die junge Frau. «Ich weiss, dass Gott in meinem Herzen lesen kann», hält Rahel fest. Es fällt ihr daher nicht schwer, alles mit ihm zu besprechen und was sie belastet bei ihm abzulegen. Ebenso lernt sie, sich vor ihren Freunden zu öffnen. «Wir sind Menschen, wir dürfen auch mal schwach sein», hat Rahel erkannt. An ihrem 22. Geburtstagsfest staunen zwei alte Freunde über das vertrauensvolle Verhältnis unter den Gästen und bemerken: «Ihr Christen habt echten Zusammenhalt, da gibt’s kein Verstellen!»
Kängurus statt Hund
Rahel ist es wichtig, Gott in ihre Zukunftspläne miteinzubeziehen. Die Zwischenprüfungen an der Pädagogischen Hochschule besteht sie 2021 nicht. Darüber sei sie enttäuscht gewesen: «Ich hatte mir vorgestellt, dass ich in drei Jahren Lehrerin wäre, mit einem guten Gehalt, einer eigenen Wohnung und einem Hund. Offenbar sah Gott das anders.» Nun steht ein Theologiestudium bei der Hillsong Church in Australien an. Dieses Jahr wird sie ihr finanzielles Polster aufstocken, sodass sie Anfang 2023 nach Australien reisen kann. «Gott fügt meinem Leben immer wieder Puzzle-Teile hinzu», freut sich die gesunde junge Frau. «Ich bin gespannt, was mich erwartet und vertraue Gott, dass er an meiner Seite bleiben wird.»
Zur Person:
Einer meiner Lieblingsplätze in Andwil-Arnegg:
Unser Garten und das Biotop
Meine Lieblingsbeschäftigung an verregneten (Sonntag-)nachmittagen:
Lesen oder bei Gesellschaftsspielen mit Freunden und Familie zusammensitzen
Meine Lieblingsmusik:
Country und Gospel
Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
Spotify
Datum: 21.11.2022
Autor:
Mirjam Fisch
Quelle:
HOPE-Regiozeitungen