Kunst küsst Kirche
«Als Teenager fragte ich meine Eltern mehrfach, ob ich adoptiert sei, ich empfand so ganz anders als meine Familie», schildert Ruth Truttmann ein nagendes Gefühl ihrer Jugend. Sie wird 1978 geboren, wächst in bescheidenden Verhältnissen in Rüti, im Zürcher Oberland, auf. Der Vater arbeitet als Automechaniker, die Mutter, eine österreichische Buchhändlerin, ist mit den vier Kindern stark herausgefordert. Ruth, die fast so schnell erzählt, wie sie denken kann, erklärt: «Ich habe schon früh Verantwortung übernommen, gelernt, kreativ zu denken und aus Wenigem viel herauszuholen.» Diese Stärke ist zugleich eine Belastung für das feinfühlige Mädchen. «Unterdessen weiss ich, dass ich hochsensibel bin. Damals fühlte ich mich oft unverstanden, litt in der Schule unter Leistungsdruck… und manchmal auch unter der Last der ganzen Welt», bekennt Ruth. In der Bulimie sucht sie kurze Zeit Kompensation, hegt auch Suizidgedanken, sagt dazu: «Ich hatte zwar Todessehnsucht, es ging mir aber vielmehr darum, mich zu spüren, mich lebendig zu fühlen.»
Lehrerin oder Theologin?
Ruths kreatives Talent und Können zeigt sich auch in der Kunst. Schon immer hat sie gern gemalt und gestaltet, wählt in der Kantonsschule das musische Profil, feiert 1998 ihre Matura. Sie möchte Primarlehrerin werden. Oder soll sie doch praktische Theologie studieren? «Gott gab mir Klarheit für den theologischen Weg», bekräftigt Ruth, die den elterlichen Glauben früh zu ihrem eigenen machte und überzeugt lebt. «Ich war vier Jahre alt», blickt sie zurück, «als mein Vater mich fragte, ob ich Jesus als Freund haben wolle. Ich habe ihm dann geantwortet: ‹Aber Papa, das ist er doch schon!›» Mit 20 heiratet Ruth ihren langjährigen Jugendfreund. Zusammen mit Matthias startet sie ihr Theologiestudium, schliesst es kurz nach dem Umzug nach Aarau 2002 ab. Während ihr Mann in der Freien Christengemeinde (heute Momentum Church) als Jugendpastor einsteigt, konzentriert sich Ruth auf die praktischen Bereiche: Kinderdienst, Jugendarbeit, Musik – und zunehmend Gestalterisches: «2011 ermutigte Gott mich wieder zu malen, als Vorbereitung für etwas Neues…», sagt Ruth. Leinwand, Palette, Pinsel und Farben hervorzunehmen, fällt der damals «5-fachen» Mutter nicht schwer.
Himmel und «Herz-OP»
Was die «fünf» Kinder anbelangt präzisiert Ruth: «Zwei von ihnen leben im Himmel…» Die beiden Fehlgeburten erlitt sie 2009 und 2010. Als der Spitaltermin für die erste Kürettage anstand, sei sie untröstlich gewesen, ihr Kind nicht im Arm halten zu dürfen, habe verzweifelt gefleht: «Jesus, ich brauche eine Herzoperation! Mit diesem Schmerz kann ich nicht weiterleben.» Was Ruth dann erlebte, brannte sich ihr fest ein: «Ich hatte eine Vision. Darin sah ich in den Himmel und Jesus mit einem etwa achtjährigen Jungen an der Hand auf mich zukommen. Ich durfte meinen Sohn umarmen. Er sagte zu mir: ‹Mama, es geht mir so gut, ich warte hier auf euch!› In diesem Moment wich der Schmerz in meinem Herzen einer unbeschreiblichen Freude. Ich fühlte mich zutiefst geliebt und geborgen. Dieses Erleben prägt und trägt mich bis heute.» 2013 macht das sechste Kind, ein Mädchen, die Familie Truttmann komplett.
Unterricht am Küchentisch
Da auch ihre Sprösslinge sensible Antennen haben und einfacher über Bewegung und Erleben lernen, hat sich Ruth in den Primarschuljahren bei allen für Homeschooling entschieden. «So konnte und kann ich meine Leidenschaft fürs Lehren leben und die Kinder gezielt in ihrem Lernzugang fordern und fördern», bemerkt die blitzgescheite Frau. Dabei hatte sie so manche Behördenhürde zu überwinden… Und was ist mit der Kunst? «Die ist fester Bestandteil meines Lebens als freischaffende Künstlerin, Kursleiterin und auch in unserer Kirche», sagt Ruth. 2014 – drei Jahre nach der «Wiederbelebung» ihrer Malutensilien – hat sie dort eine Kreativ-Abteilung ins Leben gerufen, leitet diese im Rahmen eines Teilzeitpensums. Herzstück des künstlerischen Engagements ist das Malen inspirierter Bilder während der Gottesdienste. Dabei lassen sich die Kunstschaffenden von der Musik, der Predigt und Passagen aus der Bibel leiten, vor allem aber vom Heiligen Geist – als Kraft und Stimme Gottes. Ausdrucksstarke, farbintensive Kunstwerke zeugen davon und zieren das Foyer.
Sprechende Kunst
Alle Gemälde tragen eine Botschaft, sprechen die Betrachtenden unterschiedlich an. «Es macht mich glücklich, wenn meine Bilder etwas anklingen lassen, in Bewegung setzen, wenn Zerbrochenes heilt», sagt Ruth. «Von solchen ‹Godstories› kann ich nicht genug hören!» Dazu zählen auch Erlebnisse von Kursteilnehmenden, die durch das Malen neue Hoffnung und Perspektive für ihr Leben gewonnen haben. «Oft bezeichnen sich solche Menschen selbst als talentfrei. Das sind sie nicht. Gott hat jedem Menschen einzigartige Gaben und Aufgaben zugedacht. Es berührt und beflügelt mich, Menschen mittels Kunst den Zugang zu Gott zu öffnen, zu seiner grenzenlosen Vater- und Schöpferliebe – und damit zu sich selbst.» (mhe)
ZUR PERSON
Einer meiner Lieblingsplätze in Aarau:
Die Altstadt, sie bietet eine Mischung aus kunstvollen Dächern, feiner Kulinarik und gemütlicher Stimmung.
Meine Lieblingsbeschäftigung an verregneten (Sonntag-)nachmittagen:
Beim Ofenfeuer im Sessel ein gutes Buch lesen oder mit der Familie «Tichu» spielen
Meine Lieblingsmusik:
Alles mit eingängigen Melodien und tiefen Texten
Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
Twint
Mehr Informationen unter: www.truth-art.ch
Datum: 14.10.2022
Autor:
Manuela Herzog
Quelle:
HOPE-Regiozeitungen