«Es lohnt sich, Neues anzupacken»
«Eigene Kinder möchte ich nicht», sagte sich Erika Marti, als sie mit 25 den 22 Jahre älteren Max heiratete. Seine beiden Kinder aus erster Ehe waren erwachsen und ausgeflogen. Max leitete das eigene Unternehmen in der Medizinbranche, Erika arbeitete auf einer Onkologie-Station. Beide liebten ihre Arbeit, trieben gemeinsam Sport und waren oft in den Bergen unterwegs. Zu ihrem Glück fehlte nur noch ein Haus – fanden sie und beteten auch dafür.
Zwölf Zimmer für zwei
Im Traum sah Erika den Betrag, den sie bieten sollten, sagt dazu: «Dass wir den Zuschlag für das Haus zu exakt diesem Preis erhielten, sahen wir als ein grosses Geschenk von Gott.» 2003 kauften sie die «Traumimmobilie» – anfänglich wohl eher als «Albtraumimmobilie» zu bezeichnen ... hatten zuvor doch während drei Jahren obdachlose Menschen darin gelebt und unschöne Spuren hinterlassen. «Alles musste saniert werden», erklärt Erika und verwirft die Hände. Alsbald waren sie Besitzer von einem Haus mit zwölf Zimmern! Was hatten sie – was hatte Gott – sich wohl dabei gedacht? Max hatte eine leise Vorahnung.
Dunkle Erinnerungen
Durch zahlreiche Gespräche kam nach einiger Zeit ans Licht, dass Erika als Kind sexu- ellen Missbrauch erlitten hatte. Auf diesem Leid fusste ihr Entschluss, niemals eigene Kinder zu haben. Kein Mensch sollte erleben müssen, was ihr widerfahren war. Doch nun war das Geheimnis gelüftet. Sie konnte mit ihrer Seelsorgerin und ihrem Mann darüber reden, erlebte Heilung ihrer inneren Verletzungen, brach mit ihren Festlegungen. Als Erika den Täter aufsuchte und ihn konfrontierte, stritt dieser alles ab. Sie erkannte: «Ich kann mich nur von ihm lösen, wenn ich ihm vergebe.» Im Gebet entliess sie ihn aus seiner Schuld, überliess es Jesus, den Mann zur Rechenschaft zu ziehen. Einfach war es nicht. Aber mehr und mehr gelang es Erika, zur Ruhe zu kommen. Jetzt stand dem Wunsch nach eigenen Kindern nichts mehr im Weg. Auch diese mögliche Veränderung des Ehelebens besprach das Paar mit Gott, und Erika wurde bereit für eine erste Schwangerschaft. Sie verlief problemlos, ihre Tochter kam zu Hause zur Welt. «Es ist wunderbar, ein Baby zu haben», bekräftigt die 50-Jährige und strahlt. Es gesellten sich weitere Geschwister dazu, heute zählt Familie Marti neun Köpfe: vier Mädchen und drei Jungs, allesamt Hausgeburten. In jedem Zimmer wohnt ein Familienmitglied – womit sich das Rätsel um das grosse Haus gelöst hat.
Berufung gefunden
Die ehemalige Pflegefachfrau blüht auf in ihrer neuen Aufgabe. «Es ist so erfüllend, Mutter zu sein!», betont Erika. Sie darf ihre Kinder prägen, ins Leben begleiten und ihnen die Liebe Gottes nahebringen. Sie selbst hat Jesus schon als Kind in ihr Leben eingeladen. Jeden Tag verbringt sie Zeit mit ihm, hört sich im Internet Predigten an und betet wöchentlich mit anderen Müttern für die Kinder und deren Schulen. «Muttersein ist meine Berufung geworden», hält Erika fest.
Teamwork und Eigenständigkeit
Max war immer wieder im Ausland unterwegs und übers Pensionsalter hinaus berufstätig. Mit 69 zog er sich aus dem Erwerbsleben zurück. Erika organisierte das Familienleben. Bei den Martis darf jedes Kind ein Musikinstrument erlernen und alle sind in die Aufgaben des Haushalts mit eingebunden. Jedes hat sein Ämtli, räumt abwechslungsweise nach den Mahlzeiten die Küche auf, kocht auch mal für alle oder übernimmt das Brotbacken. Die Älteren bessern ihr Sackgeld mit kleinen Jobs auf. Ab der sechsten Klasse besorgt der Nachwuchs seine Wäsche selbst und freitags steht der gemeinsame Hausputz an. Ferien verbringen Martis oft mit dem Camper, manchmal nur mit einem Teil der Kinder: «Wir erleben einander dann ganz anders», sagt Erika. Auch ihrer Ehe tragen die beiden Sorge, gehen regelmässig auswärts essen und gönnen sich jedes Jahr ein gemeinsames Wochenende.
Time Out
Sieben Kinder durch die Schulzeit zu begleiten, ist herausfordernd. «Bei einem Sohn mussten wir im Corona-Jahr 2020 die Reissleine ziehen», gesteht die passionierte Mama. Zusammen mit einer anderen Familie organisierten sie Homeschooling. Auch deren Sprössling brauchte eine Auszeit. «Das war anstrengend, aber auch bereichernd!» Max, der nun Zeit hatte, unterrichtete die beiden Achtklässler, unterstützt von einer Lehrerin, während eines Jahres. Danach kehrte der eigene Sohn in die öffentliche Schule zurück. Zu seinem Lehrplan zählt das Cellospielen. Und da klang etwas an bei Erika. Fasziniert vom Instrument und den Tönen, die es sich entlocken lässt, nimmt sie seit drei Jahren selbst Cello-Unterricht. «Es ist natürlich schwieriger, wenn man mitten im Leben anfängt, ein Instrument zu erlernen», gibt sie zu. «Aber es bereitet mir Freude!»
Auftanken in der Höhe
Die ersten Kinder fliegen bald aus. Es wird Zeit für ihre Mutter, wieder etwas Neues anzupacken. «Ich möchte noch einige Bergtouren machen!», sagt Erika mit Vorfreude im Gesicht. Vielleicht kann Max – heute 72 – seine Frau nicht mehr überallhin begleiten. Erika erklärt: «Mein Vater ist Bergführer, seit meiner Kindheit liebe ich es, in der Natur zu sein». Dafür steigt sie manchmal um 4 Uhr früh aus den Federn. «Auf dem Gipfel fühle ich mich dem Himmel und meinem Schöpfer ganz nah. Bei ihm tanke ich auch immer wieder Kraft und Zuversicht.» Erika zitiert einen Vers aus der Bibel, aus dem Matthäus-Evangelium, Kapitel 6, Vers 34. Die Botschaft hat sie verinnerlicht: «Macht euch keine Sorgen um den nächsten Tag. Es reicht, heute zu leben!» (mf)
Zur Person
Einer meiner Lieblingsplätze in Thun:
Unser Garten
Meine Lieblingsbeschäftigung an verregneten (Sonntag-)nachmittagen:
Spiele spielen mit meinen Kindern, mit dem Regenschirm spazieren / wandern gehen
Meine Lieblingsmusik:
Instrumentales Cellospiel
Auf diese App möchte ich auf keinen Fall verzichten:
Auf die Karten-App für meine Bergwanderungen
Datum: 13.10.2022
Autor:
Mirjam Fisch
Quelle:
HOPE-Regiozeitungen