«Meine Türen stehen immer für alle offen»
Wie alt waren Sie, als Sie Ihr erstes Taschenmesser bekamen?
Ich habe mein erstes Taschenmesser mit etwa fünf Jahren erhalten. Das war ein prägender Moment. Mein Vater schenkte mir das Messer – und damit auch Vertrauen und Verantwortung.
Welche Ihrer Messer verkaufen sich heute besonders gut?
Von den mittlerweile über 400 verschiedenen Taschenmessermodellen gibt es diverse, die sich gut verkaufen. Da ist zum Beispiel das kleine «Classic Modell». Von den Stückzahlen her ist das unser gängigstes Messer. Im Blick auf Beliebtheit und Wert ist sicher das grössere Modell «Swiss Champ» zu nennen. Ich selbst bin grosser Fan vom Modell «Traveller», das ich immer bei mir trage.
Seit wann sind Sie CEO von Victorinox und wie kam es dazu?
Ich bin 1978 in die Firma eingestiegen und habe 34 Jahre mit meinem Vater, der damals CEO war, zusammengearbeitet. Für mich war dies ein natürlicher Prozess. Mein Vater hat mir und meinen Geschwistern früh den Kontakt zu Mitarbeitenden und Kundschaft ermöglicht. Bis ich 2007 die Hauptverantwortung der Firma übernahm, vergingen aber viele Jahre. In diesen hatte ich mich so manchen Herausforderungen zu stellen. Es galt, Durchhaltewillen und vor allem auch Bereitschaft für die ständige Weiterentwicklung zu beweisen.
Was ist Ihnen im Umgang mit Ihren Mitarbeitenden wichtig?
Der Grund für den Erfolg einer Firma sind immer die Menschen. Menschliche und fachliche Eigenschaften unserer Belegschaft, aber auch deren Zufriedenheit, prägen unsere Produkte und das Image unserer Marke. Entsprechend fördern wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, damit sie ihre Stärken entfalten und ihre Arbeit mit Herzblut verrichten können. Ich denke, dass ich nahbar für sie bin. Meine Türen stehen immer für alle offen. Es ist mir wichtig, die Leute spüren und erleben zu lassen, dass ich ihre Arbeit und ihren Beitrag zum Erfolg von Victorinox sehe und schätze.
Welche Werte zählen bei Ihnen, wenn Sie neues Personal einstellen?
Die Zusammenarbeit und Unternehmenskultur in der grossen Victorinox-Familie ist geprägt von folgenden sieben Werten: Offenheit, gegenseitiges Vertrauen und Respekt, Dankbarkeit, Bescheidenheit, Mut und Verantwortung. Diese Werte sind uns sehr wichtig und wir bemühen uns, sie unseren Mitarbeitenden vorzuleben.
Der Hauptsitz von Victorinox ist immer in Ibach geblieben. Fühlen Sie sich in der Innerschweiz verwurzelt?
Unsere Familie wohnt hier, hier schlägt unser Herz, hier sind unsere Wurzeln. Unser Urgrossvater hat die Firma 1884 an diesem Standort gegründet und wir beschäftigen heute im Talkessel von Schwyz 950 Personen. 2021 haben wir unser Bekenntnis zum Standort Schwyz erneut kräftig unterstrichen, indem wir 50 Millionen Schweizer Franken in den Bau unseres neuen Distributionszentrums investiert haben.
An anderer Stelle sprachen Sie auch von den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 («9/11»)…
Wenn Sie die Geschichte von Victorinox anschauen, sehen Sie, dass wir den Ersten Weltkrieg erlebt haben, dann die extreme Rezession der 30er-Jahre. Wir erlebten den Zweiten Weltkrieg, die Ölkrise und auch 9/11. Damals brach der der Umsatz der Taschenmesser über Nacht um fast 30 Prozent ein. Wir erlebten dieFinanzkrise und aktuell erleben wir Covid. Dabei haben wir immer gesehen, wie wichtig Reserven sind, um derartige Krisen einigermassen überstehen zu können.
«Ich denke, wenn wir uns bemühen, Gott durch uns wirken zu lassen, kann viel Positives in uns und um uns herum geschehen.»
Welche Herausforderungen hatte die Coronakrise für Ihre Branche?
Wir mussten uns weltweit auf einen starken Umsatzeinbruch einstellen, sind aber dankbar, an unseren beiden Produktionsstandorten Delémont und Ibach niemanden entlassen haben zu müssen. Einerseits aufgrund Kurzarbeit, andererseits dank unserer Reserven. Unsere Familie hatte stets die Philosophie: «Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.» Danach zu handeln, hat uns schon oft geholfen, schwierige Zeiten besser zu überstehen.
Wo erkennen Sie in der aktuellen Zeit auch Chancen?
Wir leben heute in einer Welt mit ständigen und immer schnelleren Veränderungen. Unternehmen und Einzelpersonen müssen lernen, damit umzugehen und dabei auch die Chancen sehen, die jede Krise mit sich bringt. Ein chinesisches Sprichwort umschreibt dies sehr schön: «Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.» Für uns ist wichtig, dass unsere Mitarbeitenden sehen, wie sie Krisen nutzen und daraus etwas Gutes gewinnen können.
In dieser Zeitung beschäftigen wir uns auch mit der Frage, was Menschen Hoffnung und Halt gibt. Wie stehen Sie persönlich dazu?
Hier muss ich klar sagen: Halt und Unterstützung bekomme ich von meiner Familie; meiner Frau, meinen Kindern und auch meinen Geschwistern. Ich habe sieben Schwestern und drei Brüder. Kraft und Halt finde ich ebenfalls im christlichen Glauben. Für mich ist der Herrgott ein Leuchtturm und gleichzeitig ein Kompass. Ich denke, dass der Glaube allein nicht reicht, aber er hilft. Wenn ich überlastet bin und Sorgen mich drücken, dann lege ich diese dem Herrgott in die Hände. Er hilft mir, die Last zu tragen.
Wie erleben Sie Gott konkret in Ihrem Alltag?
Das klingt nach einer schwierigen Frage, aber eigentlich ist es ganz einfach. Wenn ich bewusst und mit offenen Augen durchs Leben gehe, erfahre ich Gottes Gegenwart täglich. Gott ist immer da. Auch wenn wir mit offenen Augen in der Natur unterwegs sind, sehen wir überall kleinere und grössere Wunder. Das ist der Ausdruck unseres Schöpfers.
Die meisten Mensch kennen persönliche Krisen und Momente des Scheiterns. Was half Ihnen, in diesen Momenten aufzustehen und weiterzumachen?
Mir hilft das Wissen, dass Krisen und Scheitern genauso zum Leben gehören wie Erfolge. Krisen bieten die Chance, resilienter zu werden und sich weiterzuentwickeln. Ein bekanntes Sprichwort sagt: «Es kommt nicht darauf an, wie oft man hinfällt, sondern dass man wieder aufsteht.» In schwierigen Zeiten und Herausforderungen suche ich das Gespräch und die Reflexion mit meiner Familie, aber auch mit Freunden. Bewusst richte ich den Blick auch auf positive Dinge. Das hilft, um Schwieriges leichter tragen zu können.
Auf allen Ihren Taschenmessern findet sich das Schweizerkreuz. Christliche Symbole stehen heute immer stärker in der Kritik. Was sagen Sie dazu?
In unserer Familie sind christliche Werte enorm wichtig und der christliche Glaube gibt mir viel Kraft. In etlichen Räumen unseres Betriebs hängt ein Kreuz an der Wand, weil wir von dessen Kraft und Ausstrahlung überzeugt sind.
Wie wichtig ist Ihnen eine kirchliche Tradition?
In unserer Familie sind wir sehr offen. Wir leben unseren katholischen Glauben, haben jedoch keine Berührungsängste. Uns ist der christliche Glaube sehr wichtig, letztlich muss jeder Mensch selbst einen Ort für Halt und Orientierung finden. Ich respektiere unterschiedliche Überzeugungen.
Wie sieht bei Ihnen ein typischer Tagesablauf aus?
In gewissen Berufen mag es einen typischen Tagesablauf geben. Beim Verantwortlichen einer Firma verläuft der Tag immer wieder unterschiedlich. Die meisten Tage beginnen früh und enden spät.
Datum: 18.05.2022
Autor:
Florian Wüthrich / Markus Richner-Mai
Quelle:
HOPE-Regiozeitungen