«Es ist vollbracht»
Ein ungewöhnliches Leben liegt hinter Jesus. Hineingeboren in unklare Verhältnisse – für die meisten war er der Sohn Josefs, aber in seinem kleinen Heimatdorf wusste jeder, dass Maria längst schwanger war, als die beiden heirateten. Seine ersten Jahre verbrachte er als Flüchtling, als Ausländer in Ägypten – und lernte schon früh, wie es sich anfühlt, anders zu sein.
Dreissig Jahre lang lebte er im Dorf seiner Eltern. Als gelernter Zimmermann hatte er einen soliden Beruf, um sich versorgen zu können. Die besten Voraussetzungen für ein normales und ruhiges Leben. Aber sein Heimatland war von den Römern besetzt, die ihre fremde Kultur mitbrachten, Steuern erhoben und Israel spüren liessen, dass jemand anderes über sie herrschte. Wer weiss, wie oft er Zusammenstösse zwischen jüdischer Bevölkerung und den Fremdherrschern beobachtete – oder sogar miterlebte.
Dann drei sehr intensive Jahre. Ständig unterwegs und oft in Gefahr, getrieben von dem Wunsch, den Menschen Hoffnung zu bringen. Viele Tage voller Ungewissheit. Manche Menschen liebten ihn, manchmal so sehr, dass sie ihn regelrecht bedrängten und hohe Ansprüche an ihn stellten – Ruhe konnte Jesus nur finden, wenn er sich völlig isolierte. Dann auf der anderen Seite die Menschen, denen nicht gefiel, was er sagte und tat, und die ihn dafür offen angriffen – die ständigen Konfliktgespräche und Anfeindungen konnten zermürbend sein.
Und selbst unter den eigenen Nachfolgern erlebte Jesus oft Unverständnis. Jünger, die ihn verliessen, weil seine Botschaft ihnen zu anders, zu radikal war, andere, die ihm treu folgten, aber nicht verstanden, was er sie lehren wollte. Die nicht wirklich verstanden, wer er war. Umgeben von Freunden und doch allein.
Und schliesslich eine Verhaftung unter einem fadenscheinigen Vorwand. Was folgte, waren drei sehr dunkle und brutale Tage. Jesus wurde verspottet, gefoltert und von seinen Freunden im Stich gelassen, deren Angst und Verwirrung am Ende grösser war als ihre Treue. Ganz allein musste er sich einem schrecklichen Urteil stellen, einem Tod, der ihn körperlich und psychisch demütigte, an jede Grenze brachte und zerschmetterte.
Und dann dieser Ausruf: «Es ist vollbracht!» Es ist geschafft. Es ist vorbei. Die seltsamen Blicke der Nachbarn. Die Fremdheit. Das Leben unter der Besatzungsmacht. Die Ansprüche. Das Gefühl, von niemandem wirklich verstanden und gekannt zu werden. Die Einsamkeit inmitten von Freunden und Familie. Die Mühen und Entbehrungen. Und letztendlich die Schmerzen und Demütigungen. Es ist ein Ausruf voller verzweifelter Erleichterung. Ein «Endlich» aus der Tiefe seines Herzens.
Alles gegeben
Aber dieses «Endlich» trägt noch mehr in sich als Erleichterung. Es markiert nicht ein Ende, sondern einen Anfang. Es ist ein Triumphschrei. Und letztendlich ein Freudenschrei, trotz der Umstände. Denn mit Jesus stirbt an diesem Kreuz die Sünde der Menschheit. Jesus bezahlt für alles Böse, das wir tun und empfangen. Alles Schlechte und Dunkle, das unser Leben zerreisst, unsere Beziehungen zerstört, uns in Abhängigkeiten und Ängste, in Hass und Gewalt reisst. Alle «Schulden», die wir bei anderen ansammeln durch unsere Taten und Worte, unsere Passivität und unser Schweigen, Jesus nimmt es mit in seinen Tod, trägt diese Schuld für uns Menschen, damit wir eine zweite Chance bekommen. Damit wir ohne Altlasten in die Zukunft gehen können. Damit wir nach vorne statt zurück schauen können. Damit wir leben können.
Jesus hat alles gegeben. Es hat ihn alles gekostet. Aber er hat auch alles gewonnen. Sein Leben und sein Tod waren nicht umsonst. Dort am Kreuz erreicht das seinen Höhepunkt, worauf er sein Leben lang hingearbeitet hat. Er hat es geschafft. Er hat die Macht des Bösen gebrochen. Seine Freunde, seine Familie, die ganze Menschheit – sie sind sicher und können in Freiheit leben. Er kann loslassen, kann in Frieden sterben, weil das Böse endlich besiegt ist.
Jesus hat sein Leben nicht darauf verwendet, Karriere zu machen, sich selbst zu verwirklichen, eine Familie zu gründen, berühmt und beliebt zu werden. Jesus wollte mit seinem Leben und seinem Tod nur eins er reichen: die Welt zu retten. Den Menschen einen Weg aus der Dunkelheit zu schenken. Hier, am Ende seiner Reise, hat er es endlich geschafft. Nicht nur seine Freunde, sondern die ganze Welt kann endlich frei sein. Und das war all die Mühen und Schmerzen wert.
Ein grosses Opfer
Als grosser Fantasy-Fan muss ich hier an eine Szene aus «Herr der Ringe» denken. Nicht zufällig ist sie dieser ähnlich, denn Tolkien verarbeitete in seinem Werk bewusst Themen aus der Bibel. Frodo hat die Aufgabe anvertraut bekommen, den Ring der Macht zu zerstören, mit dem der böse Herrscher Sauron die Welt unterwerfen will. Am Ende hat Frodo seine Aufgabe erfüllt: Er hat den Ring in den Vulkan geworfen, in dem er einst geschmiedet worden war, und damit die Macht des Bösen gebrochen. Die Dunkelheit weicht, das Gute kann wieder aufblühen, die Welt ist gerettet.
Aber Frodo hat es alles gekostet. Am Ende seiner Reise steht er am Fuss des Vulkans, abgemagert bis auf die Knochen und übersät mit Wunden. Die letzte Etappe der Reise hat er fast nicht mehr geschafft, weil Hunger und Durst ihn gequält haben, weil die Reise durch das unwegsame Land des Bösen hart und entbehrungsreich war, weil das Böse, das er so lange in diesem Ring mit sich tragen musste, ihn zermürbt hat. Und jetzt, am Ende seiner Reise, gibt es aus seiner Sicht keinen Weg mehr zurück. Umgeben von Lavaströmen und Feuer gibt es keinen Ausweg, keine Hoffnung auf Rettung in letzter Sekunde.
Frodo weiss in diesem Moment nicht, dass er sich irrt. Dass seine Freunde längst unterwegs sind, um auch ihn zu retten. Seine Realität ist der bevorstehende Tod. «Es ist vorüber», sagt er, als der Turm des Dunklen Herrschers in sich zusammenbricht, als dessen Macht mit der Zerstörung des Rings erlischt. «Es ist getan.» Und er lächelt. Obwohl er sicher ist, dass er jetzt sterben wird. In dem Moment ist ihm das nicht mehr wichtig. Er ist nur froh, dass es endlich vorbei ist. Dass er diese Last ablegen konnte. Dass er nicht einen Schritt weitergehen muss. Dass Hunger und Durst bald zu Ende sind. Er weiss: Sein Opfer ist nicht um sonst. Seine Freunde werden leben.
Nicht umsonst
Ich kann mir so ein Lächeln auch auf den Lippen von Jesus vorstellen. Seine Realität ist im Moment seines Todes Schmerz, Einsamkeit und Dunkelheit. Aber er weiss, dass sie nicht das letzte Wort haben. Dass hier, durch sein Opfer, etwas Grosses passiert ist. Dass er etwas vollbracht hat, das alles verändern wird. Und dieses Wissen überschattet alles andere. Sein Tod ist nicht das Ende, sondern ein Neuanfang – für alle – und die Mühe seines Lebens, die Anstrengungen der letzten Jahre, der Schmerz dieser letzten Tage müssen dahinter zurückweichen.
Ich kenne Zeiten in meinem Leben, in denen ich durch die Dunkelheit gehen muss. Durch Herausforderungen, durch Probleme, durch Verlust, durch Nicht-verstanden-werden. Zeiten, von denen ich mir wünsche, dass sie zu Ende gehen. Und dass sie, im Rückblick, nicht nur Mühe und Schmerz waren, sondern irgendeinen Sinn hatten. Und es ist seltsam tröstlich zu wissen, dass Gott selbst Mensch wurde und genau das auch erlebte. Dass er die Sehnsucht kennt und versteht, den Tag zu erreichen, an dem er sagen kann:
«Es ist vollbracht.» Die Dunkelheit ist zu Ende. Das Licht scheint wieder. Es gibt Hoffnung auf einen Neuanfang. Und es ist tröstlich zu wissen, dass dieser Gott bereit ist, solche Zeiten zu durchleben. Für mich. Dass er meine Dunkelheit bekämpft und mich wie der Licht sehen lässt. Dass er die Last meines Lebens auf sich nimmt und mir aufhilft. Dass er im Augenblick des Todes lächeln kann, weil er weiss, dass ich leben werde. Dass ich ihm so viel wert bin, dass er für mich kämpft, mich nicht aufgibt. Auch wenn es ihn unendlich viel kostet.
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