Krieg im Sudan

Einheimische Christen: «Niemand interessiert es!»

Sudanesische Flüchtlinge im Tschad
Ein vergessener Krieg: Vertriebene Christen im Sudan bereiten sich auf «die schlimmste Hungersnot der Welt» vor. Der Leiter der dortigen Evangelischen Allianz gibt einen Einblick in die Lage im drittgrössten Land Afrikas.

Seit rund einem Jahr wütet der Krieg im Sudan. Fast 16'000 Menschen wurden getötet, 8,2 Millionen sind auf der Flucht, darunter 4 Millionen Kinder. Beides sind weltweite Rekordzahlen für Binnenflüchtlinge.

Die UNO spricht von «der schlimmsten Hungerkrise der Welt». Ein Drittel der 49 Millionen Einwohner des Landes leidet unter akuter Ernährungsunsicherheit. 222'000 Kinder könnten innerhalb weniger Wochen verhungern. Ein internationaler Nothilfeplan ist nur zu sechs Prozent finanziert.

«Niemanden interessiert es»

Die sudanesischen Christen haben das Gefühl, dass das alles «niemanden interessiert».

Vor fünf Jahren hatten sie noch grosse Hoffnungen. 2019 stürzte eine Volksrevolution den langjährigen Diktator Omar al-Bashir, der wegen Kriegsverbrechen gegen sein Volk gesucht wurde. Die neue Zivilregierung hob das Apostasiegesetz auf und führte weitere demokratische Reformen durch. Vieles schien vielversprechend.

Doch im Jahr 2021 setzte Armeegeneral Abdel Fattah Burhan gemeinsam mit Mohammed Hamdan Daglo, dem Anführer der Rapid Support Forces (RSF, eine regierungsnahe paramilitärische Gruppe), den Premierminister ab. Im Laufe der Zeit gerieten die beiden Generäle aneinander, bis es am 15. April 2023 zum offenen Krieg kam.

Knapp von der Kugel verfehlt

Rafat Samir, Generalsekretär der Sudanesischen Evangelischen Allianz, hat den Ausbruch der Gewalt hautnah miterlebt; er lebt derzeit in Ägypten. Die christlichen Konfessionen, darunter Katholiken, Anglikaner, Koptisch-Orthodoxe und verschiedene protestantische Denominationen, machen rund vier Prozent der Bevölkerung des Sudan aus, der auf dem Weltverfolgungsindex von Open Doors auf Platz acht steht.

Vor dem Krieg lebte er in der sudanesischen Hauptstadt Khartum im Stadtteil Bahri. «Dort hatten sowohl die Armee als auch die RSF ihre Stützpunkte. Strom und Wasser waren abgestellt. Eines Tages, es war Ramadan, ging ich bei Sonnenuntergang auf Nahrungssuche, weil ich dachte, es gäbe eine Kampfpause. Eine Kugel verfehlte mich nur um Zentimeter...»

Leichen mit Sand bedeckt

Da Rafat Samir und sein Bruder schon mehrere Zusammenstösse miterlebt hatten, erwarteten sie, dass es nach ein paar Tagen vorbei sein würde – so wie früher. «Wir bedeckten die Leichen auf der Straße mit Sand, um den Geruch zu überdecken.»

15 Tage lang ertrug Samir mit seiner Frau und den beiden Töchtern diese harten Bedingungen. Als dann eine Bombe das Nachbarhaus traf, beschloss die Familie zu fliehen. Nach drei Tagen fanden sie einen Fahrer, der sie für 500 US-Dollar die etwa zwei Kilometer aus der Gefahrenzone brachte. Noch mehr kosteten die Plätze in einem Bus, der alle zur ägyptischen Grenze bringen sollte...

Gefährliche Flucht

Ein vor ihnen fahrender Bus wurde von der RSF gestoppt, die Insassen getötet und ihr Geld geraubt. «An einem Kontrollpunkt der Armee hörten wir, dass einem späteren Bus dasselbe passiert war. Wir hatten Glück – die Soldaten durchsuchten unsere Fahrzeuge nach Waffen und wollten nur Schmiergeld, damit wir weiterfahren konnten.»

Drei Tage brauchte Rafat Samir, um mit seiner Familie über die Grenze zu kommen. Die rund hundert Mitglieder seiner Gemeinde in Khartum sind nach Ägypten, in den Tschad, nach Äthiopien, in die Nuba-Berge, in den Südsudan oder weiter nach Uganda geflohen.

«Sie verdienen keine Erlösung»

Die evangelischen Christen gehören nicht zur Elite. «Die meisten Gläubigen kommen aus den Kriegsgebieten im Sudan», beobachtet Rafat Samir. «Viele haben keine Reisedokumente, und obwohl sie arbeiten können und zu essen haben, bleiben sie arm.»

Mehr als die Hälfte stammt aus den Nuba-Bergen, aus dem Südsudan und aus verschiedenen Stämmen. «Identität ist ein grosses Problem im Sudan. Unser Land ist afrikanisch, aber wir sprechen arabisch. Für jemanden aus den Nuba-Bergen oder dem Südsudan ist ein Araber jemand, der ihre Familien getötet, ihre Töchter vergewaltigt und versucht hat, sie zu islamisieren», sagt Rafat Samir. «Als wir anfingen, Muslime zu evangelisieren, wehrten sich einige im Süden und sagten: ‘Wir wollen sie nicht im Himmel sehen, sie verdienen keine Erlösung.’»

Einst eine christliche Nation

«Jahrhunderte waren wir ein christliches Land», gibt Rafat Samir einen Einblick in die bewegte Geschichte des bis zur Abspaltung des Südsudan flächenmässig grössten Staates Afrikas. «Jahrhunderte tötete eine muslimische Bewegung viele Christen und zwang andere, zum Islam zu konvertieren.»

Wie viele andere Menschen sehnen sich auch die Christen im Sudan nach Frieden. Doch ausserhalb des Landes ist der Krieg kein Thema – Rafat Samir: «Selbst im Nachbarland Ägypten werden wir gefragt, ob wir uns noch im Bürgerkrieg befinden. Wir sind nicht auf ‘CNN’ und niemand achtet auf die Nachrichten aus dem Sudan. Das gibt der christlichen Gemeinschaft das Gefühl, dass sich niemand dafür interessiert. Niemand geht auf die Strasse und sagt: ‘Stoppt den Krieg’. Wir hören keine Menschen für uns beten. Wir sehen keine Erklärungen der Kirchen, die uns gegenüber der Regierung vertreten.»

Doch die Hoffnung bleibt. «Wir verlieren sie nie – wir wissen, dass Gott gut ist.»

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Datum: 29.04.2024
Autor: Jayson Casper / Daniel Gerber
Quelle: Christianity Today / gekürzte Übersetzung: Livenet

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