Betete König Sanherib einen Teil der Arche an?
Timo
Roller, Sie gehen davon aus, dass die Arche auf dem Berg Cudi strandete – was
spricht dafür?
Timo Roller: «Am siebzehnten Tag des siebenten Monats
setzte die Arche auf dem Gebirge Ararat auf.» – So steht es in 1. Mose, Kapitel 8, Vers 4. Im
Hebräischen steht für «Berg» eine Mehrzahlform, man könnte also auch
übersetzen: «…setzte die Arche auf den Bergen von Ararat auf.» Das Land Ararat ist identisch
mit dem aus der Archäologie bekannten «Urartu», dem Bergland nördlich der
mesopotamischen Ebene, in der heutigen Osttürkei. Der berühmte Vulkanberg «Ararat» – eigentlich «Agri Dagh» – sowie der Cudi Dagh gehören beide zu diesem
Bergland. Eine genauere geografische Bestimmung als in der Bibel finden wir in
deutlich jüngeren Schriften wie den «Altertümern» des jüdischen
Geschichtsschreibers Josephus. «Armenien», wo die Arche gelandet sei,
erstreckte sich damals viel weiter in den Süden, das «Kordyäergebirge», das
Josephus als zusätzliche Ortsangabe nennt, ist mit dem Berg Cudi identisch.
Somit ist der überlieferte Landeplatz der Arche 300 Kilometer vom sogenannten «Ararat»
entfernt, er befindet sich in der ersten Gebirgskette, die an die
mesopotamische Landfläche grenzt.
Die Arche-Noah-Tradition ist unter der Bevölkerung am Berg Cudi sehr präsent und auch noch in europäischen Schriften aus vergangenen Jahrhunderten wurde der Cudi erwähnt. Durch angebliche Archesichtungen seit etwa 150 Jahren geriet der wahre Landeplatz dann in Vergessenheit. Und heute glaubt sowieso kaum noch jemand an die historische Wahrheit der Sintflutgeschichte, daher ist auch die Diskussion um den richtigen Ort verstummt.
Inzwischen ist der Cudi Dagh erfreulicherweise wieder in den Fokus gerückt: Die weltweit grösste kreationistische Organisation, «Answers in Genesis», hält ihn für den wahrscheinlicheren Kandidaten. Auch viele Mitglieder der «Studiengemeinschaft Wort und Wissen» (W+W) stimmen meinen Ausführungen zu, der W+W-Mitarbeiter und Archäologe Peter van der Veen hat mich übrigens vor 15 Jahren auf das Thema gebracht.
Welche
Hinweise sind in den letzten Jahren dazugekommen, wie formen sich die
Puzzle-Teile zusammen?
Mein im Jahr 2014
erschienenes Buch «Das Rätsel der Arche Noah» fasst im Prinzip nach wie vor den
aktuellen Forschungsstand zusammen, es wurden seither kaum Argumente gegen den
Berg Cudi hervorgebracht. In der Hauptsache habe ich mich in den letzten Jahren
mit keilschriftlichen Überlieferungen befasst. Es wurde ein Text publiziert,
der von einer «runden Arche» erzählt. In einem längeren Artikel habe ich
Argumente für die biblische, kastenförmige Version dargelegt. Spannend ist auch die Frage
nach der Verehrung der Arche Noah durch assyrische Könige. Es gibt einige
Reliefs am Fusse des Cudi Dagh in Verbindung mit Keilschrifttexten sowie antike
Traditionen, leider aber auch etliche fehlende Puzzle-Teile. So gibt es
beispielsweise eine sehr alte Tontafel, die – ähnlich wie das viel jüngere
Gilgamesch-Epos – von einer Sintflut erzählt, bei der aber nach dem Satz «Der
Sturm, die Flut zog auf…» eine Lücke von etwa 58 Zeilen im Text ist.
Informationen, die hochinteressant wären, sind unwiederbringlich
verlorengegangen.
In
diesem Jahr wäre zu diesem Thema eine Konferenz in der Türkei geplant gewesen.
Was wären dort die Schwerpunkte gewesen?
Ich war 2013 bei einem
Symposium an der Universität Sirnak am Fusse des Cudi-Bergs und habe von meinen
Forschungsergebnissen berichtet. Es war ein einzigartiger Austausch mit
Forscherkollegen aus Amerika und auch Einheimischen, die Erkenntnisse
präsentierten, die noch nirgendwo ausserhalb der Türkei bekannt waren. Nun hätte an Ostern ein neues
Symposium daran anknüpfen sollen, die Rahmenbedingungen waren aber anfangs
etwas fragwürdig. Es exisiterte nur eine Ausschreibung auf Türkisch. Die
dauerhaften politischen Probleme in der Krisenregion haben ausserdem
offensichtlich die Struktur der Universität verändert und wohl auch die
finanziellen Mittel sehr geschwächt. Trotzdem hat sich die Sache
dann vielversprechend entwickelt und ich stand kurz davor, die Reise
anzutreten: die Ausarbeitungen waren verfasst, die Flugdaten übermittelt – doch
dann kam Corona.
Sie
wären auch für ein Referat dabei gewesen: Welche Erkenntnisse hätten sie
vorgestellt?
Es geht in meinem Paper um
das Pilgertum zur Arche und zu Noah. Die Spur der Pilger lässt sich durch die
Jahrhunderte zurückverfolgen, von religionsübergreifenden Feiern auf dem Gipfel
noch im 20. Jahrhundert über ein altes Kloster, das es auf dem Berg gegeben
hat, über Josephus, der von Überresten der Arche zu seiner Lebenszeit vor 2000
Jahren berichtet hat – bis hin zu den assyrischen Königen und dem legendären
Gilgamesch, der von Noah das Geheimnis der Unsterblichkeit erfahren wollte.
Hat
Sanherib einen Teil der Arche mitgenommen?
Der assyrische König
Sanherib, aus der Bibel vor allem bekannt durch die Belagerung Jerusalems zur
Zeit Hiskias, spielt in der Tat eine wichtige Rolle. Laut Bibel hat er einen
Gott Nisroch angebetet, eine jüdische Legende besagt, dass es sich dabei um
eine Planke der Arche handeln würde! Und überraschenderweise ist am Fusse des
Cudi Dagh auf mehreren Felsreliefs eben dieser König abgebildet – jeweils mit
einer umfangreichen Inschrift. Der Berg muss eine grosse Bedeutung für ihn
gehabt haben. Leider fehlt in den Inschriften ein zwingender Hinweis auf den
Ort als Berg der Arche Noah, es gibt nur ein paar Indizien, zum Beispiel einen
sogenannten «Pendu-Stein», der als Amulett gegen Böses und Stürme verwendet
wurde. Ähnliches finden wir beim babylonischen Geschichtsschreiber Berossos,
der von Überresten der Arche Noah berichtet, die als Zaubermittel gegen
drohende Übel aufgesammelt wurden. Übrigens kursieren auch heute noch solche
angeblichen Stücke der Arche, ich habe eines zuhause.
Sie sind
unter anderem auf einen (noch) unbekannten König gestossen – was hat es mit ihm
auf sich?
Es sind wie gesagt mehrere
Reliefs von Sanherib vorhanden – und ein einziges von einem anderen König.
Ausgerechnet dieses wurde erst viel später entdeckt und die zugehörige
Inschrift ist nicht dokumentiert. Sie ist auf einem Foto zu erkennen, das
Professor Ibrahim Baz auf dem Symposium 2013 präsentierte. Dieses Foto habe ich
hinterher Fachleuten an der Universität Tübingen gezeigt und auch das grösste
bibelarchäologische Magazin der Welt, «Biblical Archaeology Review» ist darauf
aufmerksam geworden. Es gibt mehrere Vermutungen, um wen es sich bei der
Darstellung handeln könnte, aber keine sichere Zuordnung. Sicher ist nur, dass
dieses Reliefs Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte älter sein muss als die
Sanherib-Abbildungen – und damit die Wichtigkeit des Bergs in noch früherer
Zeit bestätigt!
Welche
Projekte beschäftigen Sie neben der Arche Noah?
Im Bereich der biblischen
Archäologie war ich in den letzten Jahren mit einem Bekannten im Hiskia-Tunnel
unterwegs, um eine neue Theorie zu dessen Entstehung zu untersuchen. Dabei
haben wir einige interessante Entdeckungen gemacht und konnten uns mit dem
jahrelangen Chefausgräber Ronny Reich austauschen. Daneben beschäftigt mich und
meine gemeinnützige Firma Morija das Projekt «Papierblatt», eine Archiv- und
Unterrichtsplattform, die das Schicksal von Holocaust-Überlebenden
dokumentiert. Dazu haben wir gerade ein Buch mit dem Titel «900 Tage in
Auschwitz» herausgebracht.
Zum Thema:
Das Geheimnis des Leviatan: Wie die Dinosaurier Platz auf der Arche fanden
13'250 Bruttoregistertonnen: «600 Güterwagen passten in die Arche Noah»
Das Geheimnis der roten Ameise: Zufall für biblische Prophezeiungen ausgeschlossen
Datum: 03.07.2020
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet