Interview

«Sexualität ist das beste Bindemittel»

Veronika Schmidt veröffentlichte vor einiger Zeit ihr Buch «Liebeslust», wo sie offen und frei von Tabus über erfüllte Sexualität spricht. «idea» sprach mit ihr über ihre Erfahrungen zum Thema Sexualität und wie es zu dem Buch kam.
Veronika Schmidt führt den Blog «liebesbegehren.ch».

idea: Veronika Schmidt, Sie wollen mit Ihrem Buch «Lust machen» auf Sexualität. Sind wir noch nicht genug aufgeklärt?
Veronika Schmidt: Es gibt natürlich schon viele solcher Bücher. Mir ist aber in den Beratungen aufgefallen, dass Christen säkulare Literatur zum Thema nicht lesen, weil dort eben auch die umstrittenen Themen vorkommen. Ein Buch, das «Lust auf Sex» macht und sich gleichzeitig mit dem christlichen Hintergrund befasst, gibt es in dieser Art und Weise noch nicht. Eines der meistverkauften Bücher ist immer noch «Licht an, Socken aus», das ist aber schon ziemlich alt.

Viele junge Paare leiden Ihren Aussagen zufolge an sexueller Unlust. Woher kommt das?
Wenn der Sex nicht so ist, wie man ihn sich vorgestellt hat, dann ist die Motivation sehr klein, etwas daran zu verbessern. Das hat auch mit unserer Übersexualisierung zu tun. Die Sexualität ist allgegenwärtig. Im Privatleben stellt man fest, dass es gar nicht so ist, wie es sich immer anhört. Man denkt, dass etwas mit einem selbst nicht stimmt. Dann kommen die Medien dazu. Leute hängen lieber am Smartphone, als miteinander zu schmusen.

Hat der Pornografiekonsum von immer jüngeren Menschen negative Auswirkungen?
Ja, das sagen auch säkulare Sexualtherapeuten. Die Art und Weise, wie in der Pornografie Sex gezeigt wird, führt zu einer Veränderung im Denken, wie Sex sein müsste. Je mehr man das sieht, desto normaler findet man es. Auch christliche Männer haben das Gefühl, dass sie nicht glücklich werden, wenn sie bestimmte Praktiken nicht haben können. Doch es geht in der Pornografie um egoistischen Sex, und nicht darum, was ich gemeinsam mit meiner Frau erleben kann.

Ihre Hauptthese lautet, dass man guten Sex lernen kann. Woran messen Sie denn 'gute Sexualität'?
Wir Menschen sind so geschaffen, dass wir Geschlechtsverkehr miteinander haben können. Das ist in uns angelegt. Nicht aber, ob er wirklich befriedigend ist. Das kann man aber lernen. Gute Sexualität bedeutet, dass man den Sex gern hat und als lustvoll empfindet. Das hat nichts mit der Häufigkeit zu tun. Für die Frau heisst es auch, dass sie einen Orgasmus haben kann. Das ist nach wie vor nicht selbstverständlich.

Wer heute sagt, dass ein Sexualpartner fürs Leben reicht, erntet mitleidiges Lächeln. Sie sagen, dass das möglich ist?
Ja, wenn ich meinen Körper gut kenne und zusammen mit meinem Partner Sexualrituale habe, die bei beiden Lust wecken, dann brauche ich niemand anderen. Männer verlieben sich ja oft in Frauen, bei denen sie Sex konsumieren. Das zeigt, wie sehr Sex verbindet und Gefühle auslöst. Darum ist es so tragisch, wenn langjährige Paare den Sex schnell ausser Acht lassen. Entweder, weil sie ihn zu anstrengend finden, nicht lustvoll, oder zu wenig abwechslungsreich. Wenn man die Zusammenhänge kennen würde, wüsste man, dass Sexualität das beste Bindemittel für eine Beziehung ist.

Ist ein erfülltes Leben auch ohne 'erfüllten Sex' möglich?
Ohne «erfüllten» vielleicht nicht, aber sicher ohne «ekstatischen». Nach dem übersexualisierten Hype der letzten Jahre plädieren auch säkulare Sexualtherapeuten für «ganz normalen» Sex. Allein die Vorstellungen von der Quantität sind häufig überzogen. Einmal in der Woche Geschlechtsverkehr entspricht dem weltweiten Durchschnitt. Studien sagen, dass weniger unzufrieden macht, mehr macht aber nicht in dem Masse zufriedener, wie wir oft denken. Ich sage: «Schaut doch einfach, dass ihr regelmässig Sex habt und dass der für beide recht befriedigend ist. Das tut eurer Beziehung gut.» Wenn man jahrelang zusammenbleiben will, muss man auch in diesem Gebiet dranbleiben und eine Entwicklung miteinander machen.

Kann der Glaube dabei eine Hilfe sein?
Gerade jetzt, wo sich die Sexualität von der Beziehung abgekoppelt hat, haben wir Christen wirklich eine Chance, zu formulieren, wie sie eigentlich von Gott gedacht sein könnte. Dass Sexualität zu einer Beziehung gehört, dass sie kein Selbstläufer ist. Sowohl Christen als auch Nichtchristen sind sehr daran interessiert, mein Buch zu lesen. Nichtchristen finden schön, wie die Sexualität in das Menschsein integriert ist. Die Leute wissen, dass Sexualität, Menschsein und die spirituelle Ebene eigentlich eine Einheit bilden. 

Veronika Schmidt, Jahrgang 1961, hat Sozialpädagogik studiert. Sie ist Systemische Paar- und Familienberaterin sowie Sexualberaterin mit eigener Praxis (www.familienwerkstatt.ch). Sie lebt mit ihrem Mann in Schaffhausen/Schweiz und hat vier erwachsene Kinder.

Zum Buch:
Schweiz
Deutschland

Zur Webseite:
Webseite Verlag SCM zu «Die Kunst des Liebens»
Familienwerkstatt
Blog Liebesbegehren

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Datum: 25.05.2016
Quelle: idea

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