Interview

"Auch virtueller Ehebruch ist Sünde."

Bernfried Schnell über die Bedeutung und Gefahren der virtuellen Realität.
Bernfried Schnell

Wird die virtuelle Realität weiter an Bedeutung zunehmen?
Bernfried Schnell: Auf jeden Fall! Durch die Weiterentwicklung dieser Technik werden wir uns in einiger Zeit nicht nur aus der Ferne sehen und hören, sondern auch dreidimensional besuchen und berühren können. Da auch Fantasiewelten und -Personen simuliert werden können, wird es möglich, künstlich jede nur erdenkliche Situation für den Anwender völlig real erlebbar zu produzieren. Daraus ergeben sich zwangsläufig dramatische Veränderungen in jedem Lebensbereich.

Wo sehen Sie die Gefahren der neuen Kunstwelten?
Die virtuellen Welten bringen in vielen Arbeits-, Forschungs- und Lebensbereichen positive Auswirkungen mit sich. Doch im Unterhaltungssektor sehe ich Gefahren: Verantwortungsvolles Handeln wird in der virtuellen Realität oft zurückgestellt mit der Begründung: Es ist ja nicht wirklich.

Ununterbrochen wird der Nutzer mit künstlichen Situationen und Entscheidungen konfrontiert, die in der Wirklichkeit Konsequenzen hätten, in der kalten digitalen Welt aber einfach weggeklickt werden können.

Das heisst, der digitale Raum ist nicht wertfrei. Ein Buch, ein Film oder sogar Musik und Text sind noch lange nicht wertfrei, nur weil man sie ausschalten oder zur Seite legen kann. Umso weniger kann man das vom virtuellen Raum sagen, der ja nicht passiv konsumiert wird, sondern den Anwender interaktiv einbezieht und Entscheidungen verlangt.

Programmhersteller wissen, dass im Verbotenen ein grosser Reiz liegt. Dementsprechend konstruieren sie Situationen und Figuren, die "alles dürfen", auch Dinge, die im realen Leben undenkbar oder strafbar sind. Im Schaffen der Bedingungen und Gesetze der jeweiligen virtuellen Welt werden logischerweise auch Werte vermittelt.

Geben Sie uns ein Beispiel?
Ein Grossteil der unter Jungs beliebtesten Spiele belohnen destruktives Handeln. Der Spieler schlüpft beispielsweise in die Rolle eines kleinen Ganoven, der virtuelle kriminelle Aufträge entgegennimmt und sie ohne Rücksicht auf Verluste durchzieht. Erschiessen, Entführungen, Stehlen, Zer- stören werden als lohnenswertes Handeln erfahren. Nur auf diesem Weg winken mehr Macht, Geld, Autos, Waffen ... und neue Aufträge.

Aber ein Game allein macht noch keinen Gangster ...
Die Gefahr solcher Computererziehung liegt nicht darin, dass ein Kind gleich zum Mafiaboss oder Mörder wird, sondern in vielen kleinen, unscheinbaren Veränderungen, die seinen Charakter und sein Gewissen prägen. Unbewusst werden neue Massstäbe und Verhaltensweisen angenommen. Erwiesen zum Beispiel ist der Verlust an Empathie.

Schwindet das Mitgefühl für Leidende?
Ja, mit Empathie meine ich das Hineinversetzen in das Handeln, Fühlen und Verstehen anderer Menschen.

Hat sich früher ein Kind auf dem Schulhof verletzt und blutete es, dann verhielten sich die meisten Kameraden entsetzt und sie fühlten mit. Heute ist das anders. Mitschüler lachen vor Schadenfreude oder stehen teilnahmslos herum. Einer der Gründe für dieses Verhalten sehe ich in den Computerspielen, in denen Konflikte nicht durch Kommunikation, Kompromissbereitschaft und Zuwendung, sondern durch schnelles Zerstören des Gegenübers "gelöst" werden.

Bilder haben Auswirkungen auf unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen. Bilder und Erlebnisse – auch die virtuellen – setzen sich in unserem Unterbewusstsein fest.

Was meinen Sie zur Aussage, im virtuellen Raum gebe es keine Sünde?
Das sehe ich völlig anders. Ist etwa eine Gotteslästerung deshalb keine Gotteslästerung, weil sie digital ist? Ist digitaler Ehebruch kein Ehebruch, weil er digital verübt wurde? Wenn Jesus Christus unser Herr, Heiland und Freund ist, dürfen wir ihn dann per Computer mit Füssen treten?

Gott beurteilt alle unsere Gedanken, Fantasien und Handlungen – darin sind die im Computer geübten miteingeschlossen. Auch dafür tragen wir Verantwortung.

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Carole Huber

Artikel zum Thema: Virtuelle Realität und Glaube

Datum: 12.01.2004
Quelle: factum Magazin

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung