«... dann wäre ich ein Guru!»

Athen
Thomas Zindel

Schmerzt einem Sportler an der Sommer Olympiade die Seele, ist eine Anlaufstelle vorhanden: Ein Stab von Seelsorgern kümmert sich um die mentalen Blessuren. Einer von ihnen ist Thomas Zindel. Wir sprachen mit ihm über seine Aufgabe in Athen.

Athen 2004. Dank Thomas Zindel sind auch Livenet.ch- Jesus.ch-Nutzer dabei. Zindel ist offizieller Seelsorger an der Sommer Olympiade in Griechenland. Auf dieser Internetseite wird er regelmässig über seine Erfahrungen berichten. Zindel ist überdies Leiter von «Athletes in Action» und Herausgeber der «Bibel für Fussballer».

Daniel Gerber: Thomas Zindel, was erwarten Sie in Griechenland?
Ich habe meine Aufgabe im olympischen Dorf, und meine Erwartungen hängen stark mit diesem Auftrag zusammen. Es geht um Begegnungen, Gespräche, Gebet und dem Durchführen von Gottesdiensten. Manches lässt sich vorbereiten, aber es gibt auch jeden Tag Begegnungen, die Gott schenkt, und die sich nicht organisieren lassen.

Wir sind 40 Seelsorgerinnen und Seelsorger, neun davon von «Athletes in Action». Ich bin der einzige Schweizer. Akkreditiert wurde ich durch das örtliche Organisationskomitee, und der Auftrag ist international. Auch mit dem Schweizer Team hatte ich eine Sitzung, an der wir die Zusammenarbeit besprachen.

Im Zentrum wird ein Veranstaltungs-Kalender sein, der über die Angebote informiert. Wir werden auch Delegationen besuchen und mit den Sportlerinnen und Sportlern ins Gespräch kommen. Für solche, die es wünschen, gibt es auch seelsorgerliche Gespräche.

Kommen auch Sportler, die für einen Sieg beten lassen?
Wer kommt, hofft darauf, etwas zu spüren, weil er an einer Grenze ist. Zutiefst drin hegt er den Wunsch, das Beste herauszuholen. Ich bete nicht um einen Sieg.

Denn so könnte ich im Auge der Sportler eine Gurufunktion erhalten. Ich verstehe mich als Begleiter, der sie in Gottes Gegenwart führt. Dort können sie Probleme deponieren und Enttäuschungen verarbeiten. Gott dient den Menschen.

Falls Sie für Siege beteten, würde wohl das komplette Starterfeld der 100 Meter-Sprinter bei Ihnen auf der Matte stehen und für den Sieg beten lassen ...
... dann wäre ich ein Guru!

Was soll ein Seelsorger in diesem Bordell, in dem die Eitelkeit mit dem Doping ins Bett geht, überhaupt?
Diese Beschreibung entspricht dem, was man als erstes wahrnimmt, wenn man dort ist. Wenn man drin ist, sieht man bald, wie wackelig der äussere Schein ist. Wenn zum Beispiel eine Person über ihre Probleme spricht. Sie wollen als stark gelten, Sie sind aber nicht anders als du und ich.

Einer wird garantiert nie zu Ihnen kommen und um Trost bitten: Roger Federer!
Ich hoffe fest, dass er Gold für die Schweiz holt. So stark aufgetreten! Ich freue mich, dass er die Schweizerfahne trägt.

Was haben Sie bisher an der Olympiade erlebt?
Es ist meine vierte Olympiade, und ich habe gemerkt, dass die Nöte und Fragen immer die gleichen sind. Die stärkere Professionalisierung führt dazu, dass die Erwartung grösser wird. Schneller, höher, weiter wirkt auf die Seele des Sportlers, und sie wirkt auf seine Beziehungen. Manche haben eine gute Familie und ein Umfeld – andere nicht.

Ich las von einer Medaillenhoffnung aus Griechenland. Sie machte einen Selbstmordversuch, weil ihr Verlobter sagte, er überlebe es nicht, dass sie ins olympische Dorf einziehe. Manche haben keine tragfähige Familie. Ich hoffe, dass ich denen begegnen kann, und dass sie Gott persönlich erleben.

Was war Ihre eindrücklichste Erfahrung?
Sehr eindrücklich sind gerade afrikanische oder australische Teilnehmer und deren Gottesdienste. Wenn Länder für den christlichen Glauben erweckt sind, färbt das auf die Sportler ab. Solche Delegationen treffen sich täglich und beten. Ich hoffe, dass solche Erfahrungen auch auf dem europäischen Kontinent Realität werden.

An der Winterolympiade in Nagano kam ein Bobfahrer verzweifelt in die Kapelle. Er berichtete, wie er sich über Jahre für den Wettkampf im Viererbob vorbereitet hatte. Das Team war zu fünft angereist. Er war klar gesetzt. Dann wurde er intern gemobbt. Er sagte, er habe sich ein Leben lang vorbereitet. Das war eine Situation in der ich auch nicht weiter wusste. Ich sass da und fühlte mit. Ich teilte den ganzen Ärger und die Wut. Und wir versuchten, sie abzuladen. Er kam mehrfach vorbei, und zum Ende der Spiele hatte in ihm ein Verarbeitungsprozess begonnen.

Datum: 11.08.2004
Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet.ch

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