Hast du auch den Papst gesehen?

Vatikan
Gottesdienst

Emmanuele schwitzt. Erst halb neun morgens ist es, und doch brennt die römische Sonne bereits unerbittlich auf den Petersplatz herab, wo die Touristen vor den Sicherheitsschleusen Schlange stehen. "Und so ein Andrang im Sommer", sagt Emmanuele, der in der schicken Uniform des Sampietrino über den Ansturm wacht.

Mehr sagt er nicht, aber man sieht den jungen Mann förmlich denken: Wo es doch am Meer so schön wäre! Die Menschen auf dem Platz wollen aber augenscheinlich überhaupt nicht ans Meer. Sie bedecken artig entblösste Schultern und Knie und wollen: Die Basilika sehen. Das Grab von Johannes Paul II. Und möglichst auch den Papst.

Es ist ein ungewöhnlicher Sommer, sagt Emmanuele. Zwar treibe es die Touristen regelmässig auch im Juli und August zum Vatikan. Aber dieses Jahr seien es mehr, ob Amerikaner oder Polen, Engländer oder Franzosen. Und natürlich: Deutsche. "Besonders Bayern mit lustigen Hüten sieht man jetzt mehr als früher." Im Juni hätten sie Rom schier überschwemmt. Und nun müsse der Papst ja sogar von seiner luftigen Sommerresidenz in Castelgandolfo ins schwüle Rom fahren, weil so viele Menschen seine Generalaudienz erleben wollten.

Mehr Einzelpilger

Auch Monsignore Reinhard Heldt, der in der Präfektur des Vatikans für die Angelegenheiten deutschsprachiger Pilger zuständig ist, sieht einen neuen Trend. Rund 50.000 Menschen aus dem deutschen Sprachraum hätten in der ersten Jahreshälfte Karten für eine Papstaudienz beantragt, bis zum Jahresende wird mit insgesamt mindestens 100.000 gerechnet - etwa 20.000 Menschen mehr als im Vorjahr. Und während früher bei den Audienzen die Pilgergruppen 90 Prozent der Teilnehmer gestellt hätten, organisieren neuerdings anscheinend viel mehr den Trip zum Papst auf eigene Faust: Der Anteil der Einzelpilger liege jetzt bei mehr als 50 Prozent.

Ein "gewisser Neugierdefaktor" spiele da natürlich eine Rolle, sagt Heldt - "viele wollen jetzt mal ihren Papst im Original sehen". Aber es komme auch echte Freude darüber zum Ausdruck, dass es ein Landsmann geworden sei. Ob es sein könne, dass die Deutschen jetzt das Pilgern für sich neu entdecken? Der Monsignore hält das durchaus für möglich.

"Hast du auch den Papst gesehen?"

Davon ist auch Don Antonio Tedesco überzeugt, der Chef des deutschen Pilgerzentrums in Rom. "Früher wurde doch dem Gott Bacchus in Frascati oft mehr gehuldigt als den Heiligen auf dem Petersplatz!", ruft der kleine Italiener in seinem Büro direkt hinter den Kolonnaden und fuchtelt ausdrucksstark dazu mit den Armen. Das habe sich aber schlagartig geändert. Jetzt gehöre es auch für "ganz normale Rom-Touristen" plötzlich zum guten Ton, nicht nur das Kolosseum und die Fontana di Trevi besichtigt zu haben, sondern auch bei einer päpstlichen Audienz gewesen zu sein: "Denn die Leute wissen, dass sie daheim gefragt werden: Hast du auch den Papst gesehen?"

Reiseveranstalter ohne jeden kirchlichen Bezug und auch evangelische Gruppen fragten wegen Audienzkarten an, berichtet Don Antonio. Tausende von Deutschen hätten sein Team in den vergangenen Monaten auf Trab gehalten. Eine echte Krux sei es geworden, Übernachtungsmöglichkeiten zu finden - bis weit ins nächste Jahr seien die Pilgerhäuser ausgebucht. Und auch österreichische Besucher sprächen von "ihrem Papst" - "das ist doch grossartig", sagt Don Antonio und lacht vergnügt.

Ob das Interesse der skeptischen Leute aus dem Land Luthers jedoch auch in Zukunft anhalten wird - das mag selbst Don Antonio noch nicht beschwören. "Man muss abwarten." Jedenfalls freut er sich schon auf die Audienz am Mittwoch, bei der der Sprecher wieder minutenlang Reihen deutscher Namen verlesen wird: "Das ist für mich ein ganz neues Vergnügen."

Autorin: Veronika Eckl

Datum: 08.08.2005
Quelle: Kipa

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