Brasiliens Christotheken: "Amüsieren ohne Kokain, Joint und Alkohol"

diskothek

Ein Disko-Schuppen wie jeder andere, Rhythmen wie HipHop und Dance - über zweitausend junge Leute vergnügen sich. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man, dass es nicht "normal" zugeht.

Kein Alkohol an der Bar, keine stickige Luft, weil niemand raucht - und auch kein Geruch von Joints. "Alle amüsieren sich ohne Kokain und andere Drogen", so Missionar Wladimir de Paula. In der drittgrössten Stadt der Welt, Sao Paulo, werden immerhin monatlich mehr als 30 Tonnen Kokain, dazu viel Crack konsumiert, im Vergleich zu Westeuropa geradezu spottbillig.

"Die Leute, so zwischen 18 und 30, sehen hier in der Christothek, dass man das ganze Zeug überhaupt nicht braucht, um locker zu werden, lustig zu sein", erzählt Wladimir. Und dann springt er auf die Bühne, spielt den Animateur, zeigt dem Publikum zu Rap, Samba und Axe aus dem nordöstlichen Bahia witzige, interessante Choreographien - und das funktioniert, alle machen mit. Hatte man sich so einen zukünftigen katholischen Pfarrer vorgestellt?

Bis morgens um fünf

Nachts um halb elf geht´s in der "Cristoteca" los - erst morgens um fünf schaltet der DJ die Anlage ab, sorgt auch in anderen Kirchengemeinden Sao Paulos, manchmal sogar vor der Kathedrale für Stimmung. Erstmals haben junge Leute eine Alternative zu den barbarisch lauten Kommerz-Discos. Andere brasilianische Millionenstädte wie Rio de Janeiro und Fortaleza zogen nach. Die allermeisten Titel sind religiös - denn anders als in Deutschland gibt es dafür in Brasilien einen enormen Markt, zahlreiche Plattenfirmen. Christliche Disco-Hits sind nichts Ungewöhnliches.

Zwischendurch treten jede Nacht auch Bands auf - bei Cosme aus Rio de Janeiro sind die Massen schier aus dem Häuschen. Früher war er bewaffneter Drogenmafioso, vom berüchtigten Gangstersyndikat "Rotes Kommando", lernte eher zufällig eine Gruppe von sozial engagierten Gläubigen kennen, fand zu Jesus und spielt heute religiösen Samba und Forro und zählt zu den grossen Namen der Musikszene Brasiliens.

Junge Frauen, Männer räumen ein, früher viel getrunken, an einem Wochenende gleich mehrere Partner gehabt zu haben. "Heute sehen wir darin keinen Sinn mehr, kommen hierher." Christothek-Initiator war vor allem Gemeindepfarrer Enrico Porto aus Italien, der jeweils vor dem Start einen Gottesdienst abhält, mit dem Publikum religiöse Lieder singt.

„Wir haben dieser Welt doch wirklich Besseres zu bieten“

"Nachts sind kirchliche Einrichtungen gewöhnlich zu - und wo sollen junge Leute dann hin, um sich zu vergnügen, zu verlieben?", fragt der Geistliche. "Deshalb dachten wir - Tanzen mit Christus! Denn Christus ist doch Ursprung der Freude, des Tanzes, des Festes. Schliesslich bieten wir das beste Produkt der Welt an - Jesus Christus", fügt er schelmisch-ironisch hinzu. "Und all das in einer Stadt mit den höchsten Prostituiertenzahlen und enormem Rauschgiftkonsum. Da haben wir dieser Welt doch wirklich Besseres zu bieten."

Natürlich fragen ihn die Medien immer wieder, ob es denn verboten sei, im Minirock zu kommen, sich heftig zu umarmen. "Im Prinzip verbieten wir all das nicht. Manchmal küssen sich draussen im Hof welche - na und? Da geht man als Padre eben vorbei, gibt den Segen, macht einen Spass mit den beiden - aber heftig intervenieren, nein, das machen wir nicht." Wenn Enrico Porto in der Christothek den Gottesdienst feiert, kramen manche aus ihren Taschen Drogen hervor, weinen sogar - er holt sie dann zum Altar. "Die jungen Leute gehen im Morgengrauen verändert nach Hause. Unser Ambiente hat eine Fröhlichkeit, eine Schönheit, die alle Welt sucht, gar nicht kennt. Wir verbreiten hier Gottes Wort auf neue Art - mit Kreativität."

Datum: 16.02.2005
Quelle: Kipa

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