Tagung von „Pro Familia Schweiz“

Das Internet im Kinderzimmer fördert die Medienverwahrlosung

Familien in der Schweiz sind den neuen Medien in einem nie gekannten Ausmass ausgesetzt. Neben Chancen lauern darin viele Gefahren. Die Familien sind gefordert und müssen damit weitgehend ohne politische und rechtliche Unterstützung klar kommen. Das machte eine Tagung von „Pro Familia Schweiz“ (PFS) am 23. August deutlich.
Nebst andern Folgen setzen sie damit ihre Gesundheit aufs Spiel.
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Prof. Heinz Moser
Karolina Frischkopf

Nach Berechnungen des deutschen Hirnforschers Manfred Spitzer verbringen die Hälfte der 15-Jährigen jährlich 1000 Stunden in der Schule, aber 1200 Stunden vor dem Fernseher. Nebst andern Folgen setzen sie damit ihre Gesundheit aufs Spiel. Doch damit ist nur eines von zahlreichen Problemen angesprochen, mit denen sich Jugendliche angesichts der alten und neuen Medien herumschlagen, wie der Pädagogikprofessor Heinz Moser an der Tagung am Donnerstag in Solothurn erklärte.

Beispiele gefällig? In einer kürzlichen Befragung sagte über die Hälfte der befragten Sekundarschüler aus, dass Kollegen gegen ihren Willen Pornovideos auf ihr Handy übertragen erhalten hätten. Eine weitere Studie in Deutschland hat zutage gebracht, dass 56% der 12-17-Jährigen die 135 schulfreien Tage im Jahr häufig dafür nutzen, am Vortag bis weit in die Nacht hinein jugendgefährdende Filme zu konsumieren. Der Kriminologe Christian Pfeiffer spricht von einer „Medienverwahrlosung“. Solche Beobachtungen zeigen aber laut Moser nur die Spitze eines Eisbergs.

Medienverwahrlosung nicht zulassen

Eltern, welche die Probleme erkennen, können namentlich vom Staat keine wirksame Hilfe erwarten. Selbst die Forschung über die Problematik werde in der Schweiz vernachlässigt, so Moser. Eltern müssten sich selbst kundig über den Medienkonsum ihrer Kinder machen, ihr Vertrauen gewinnen und mit ihnen das Gespräch suchen, so die Empfehlung der Experten. Gar nicht so einfach, denn die Jugendlichen sind ihren Eltern bezüglich ihrer Kenntnisse immer wieder voraus. Durch Probieren und durch die Tipps ihrer Freunde sind sie auf dem neuesten Stand, im Gegensatz zu ihren Eltern.

An die Eltern ergeht daher die Aufforderung, sich kundig zu machen, ihre Kinder zu begleiten, sich für ihre Spiele und beliebte Webseiten zu interessieren und dabei immer wieder dazuzulernen. Dann seien sie auch in der Lage, Grenzen zu setzen.

Eine Hilfe dazu bieten die Ratings neuer Filme, Computer- und Videospiele, wie der Microsoft-Manager Peter Züger erklärte. Diese machen es möglich, dass zum Beispiel die neue Spielkonsole XBox 360 so programmiert werden kann, dass Kinder nur Spiele nutzen können, die ihrem Alter entsprechen. Das neue Windows System Vista enthalte einen verbesserten Kinderschutz, der es Eltern erleichtert, unerwünschte Webseiten zu sperren und die Nutzerzeit einzuschränken.

Nicht alle Jugendlichen gleich gefährdet

Der Basler Privatdozent für Pädagogik, Wassilis Kassis warnte in Solothurn allerdings davor, alle Jugendlichen, die viel im Internet sind, als gleichermassen gefährdet einzustufen. Wo das Gespräch im Elternhaus funktioniere und auch das übrige soziale Umfeld gut sei, ertrügen Jugendliche auch einen exzessiven Internet- oder Videospielekonsum schadlos – im Gegensatz zu weitgehend unbetreuten Jugendlichen. „In einer Familie, wo viel miteinander geredet wird, verträgt es 10 bis 15 Stunden Internetnutzung pro Woche“, so Kassis.

„Viele Eltern wollen jedoch nicht wirklich wissen, was die Kinder konsumieren!“, stellte der Pädagoge nachdenklich fest. Noch weniger wollten sie wissen, was das Kind oder der Jugendliche sonst noch liest, sieht und konsumiert (Medienmix). Doch auch unter solchen Jugendlichen sei eine gewisse Resilienz zu beobachten. Trotz ungünstiger Umstände nähmen einige durch ihren exzessiven Medienkonsum keinen Schaden.

Internet-PC gehört nicht ins Kinderzimmer

Hinter Security4kids.ch steht eine Initiative, die Eltern, Lehrer und Schüler mit den Risken des Internets vertraut machen will. Die schweizweit tätige Plattform mit Checklisten, Geschichten etc., gibt nützliche Infos weiter. Ein Netz von „Agenten“ (zum Beispiel Schüler) ist bereit, Infos an Elternabenden weiter zu geben. Die Webseite stopp-kinderpornografie.ch will Kinder und Jugendliche vor sexuellen Missbräuchen beim Chatten schützen.

kinderschutz.ch ist die Webseite von Kinderschutz Schweiz und der Fachstelle ECPAT zur Bekämpfung der Internet-Kriminalität, die sich durch Informationsarbeit und politische Aktivitäten für den Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung einsetzen. Karolina Frischkopf, Leiterin der ECPAT-Fachstelle, warnte insbesondere davor, einen Computer mit Internet-Anschluss ins Kinderzimmer zu stellen und damit weitgehend auf die Kontrolle zu verzichten.

Kein Wall gegen unerwünschte Porno-Videos

Noch wenig Schutz gibt es für Handy-Nutzer, die sich zum Beispiel gegen die ungewollte Übertragung von Pornofilmen über die Bluetooth-Technik auf ihr Handy wehren möchten. Weiter sind die Bemühungen des Verbandes der Game-Anbieter. Sie haben das „PEGI“-Logo geschaffen. Video- und Computerspiele mit diesem Logo sind mit einem Altersindex versehen. Neue Geräte können so programmiert werden, dass das Kind nur Spiele ausführen kann, die seinem Alter entsprechen.

Wie beurteilen Jugendliche selbst die verschiedenen Bemühungen um Jugendschutz? Auf einem Podium nahm dazu Alice Vollenweider, Präsidentin der Union der Schülerorganisationen, Stellung. Die Angst der Eltern sei verständlich, so die junge Frau. Für Jugendliche sei es aber oft lächerlich, worüber sich die Alten aufhielten. Vieles davon sei für Jugendliche selbstverständlich. Trotzdem sollten Eltern – und ebenso das Gesetz – Grenzen setzen. „Denn Jugendliche probieren immer wieder Dinge aus, die nicht für sie gedacht sind“, so Vollenweider. Besonders wenn sie verboten seien.

Datum: 29.08.2007
Quelle: SSF

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