Erziehung

„Soll ich eingreifen?“

„Wenn ich meine Tochter zur Schule bringe, kommt es fast täglich vor, dass ich einige sehr junge Schulkinder dabei beobachte, dass sie zusammen stehen und rauchen. Oder aber, wie eine andere Gruppe einige Mitschüler drangsaliert. Auch vorbeikommende Lehrer schreiten oft nicht ein. Meine Tochter will, dass ich unter gar keinen Umständen etwas sage – aber darf man denn einfach wegsehen?“
Kinder

Den meisten Erwachsenen geht es so wie Ihnen: Sie schauen weg. Erstens, weil sie nicht wissen, wie sie einschreiten könnten, und zweitens, weil sie schlicht und einfach Angst haben, selber zur Zielscheibe von Spott oder gar von Aggressionen zu werden.

Die Frage ist nur: Wie kann man eingreifen? Schimpfen nützt wenig oder nichts. Versuchen Sie stattdessen, mit den betroffenen Kindern ins Gespräch zu bekommen: „ Ich bin ja kein Teeny mehr, aber ich wüsste gerne, warum ihr Rauchen so cool findet, wo doch jeder weiß, dass jeder zweite Raucher früher oder später elend daran stirbt. Habt ihr schon mal versucht, aufzuhören und es nicht geschafft?“

Wichtig ist: Hören Sie gut zu! Versuchen Sie nicht, „von oben herab“ zu ermahnen, sondern versuchen Sie, zu verstehen. Seien Sie freundlich. Die Chancen stehen gut, dass beim Versuch, sich zu erklären, dem einen oder anderen klar wird, dass er süchtig ist und es tatsächlich keine guten Gründe gibt.

Im Fall der aggressiven Jugendlichen muss man dagegen sehr viel entschiedener einschreiten. Gehen Sie auf die Gruppe zu und sagen laut und deutlich, aber ohne zu schreien: „Hört jetzt damit auf! Ich werde das nicht zulassen, dass ihr einen fertig macht!“ Wenn Sie sich fürchten, bitten Sie einen anderen Erwachsenen, Sie dabei zu unterstützen. Nehmen Sie das Opfer zur Seite. Wenn möglich, beginnen Sie ein Gespräch mit den Tätern. Auch hier versuchen Sie zu fragen und zuzuhören: „Was macht euch so wütend? Seid ihr selbst schon mal verprügelt worden? Was habt ihr davon, wenn ihr einen anderen fertig macht?“

Untersuchungen zur Entwicklung von straffällig gewordenen Jugendlichen zeigen, dass ein möglichst frühes Einschreiten von Erwachsenen deutlich positive Effekte hat. Wir brauchen also viel mehr Zivilcourage, denn wir machen uns schuldig, wenn wir untätig zusehen.

Dr. Ulrich Giesekus ist Psychologe, führt eine Praxis für Psychotherapie in Freudenstadt (Schwarzwald) und arbeitet bei der „Bildungsinitiative für Prävention, Seelsorge und Beratung“ mit. E-Mail: info@gieskus.de

Autor: Dr. Ulrich Giesekus

Datum: 28.01.2005
Quelle: Neues Leben

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