«Die Kirche soll den Heranwachsenden Boden geben» – durch mehr Unterweisung

Drittklässler im Gottesdienst
Anemone Eglin
Taufe und Abendmahl stehen im Vordergrund des Drittklass-Unterrichts.
Projektleiter Pfr. Frieder Furler

Kinder von klein auf begleiten, ganzheitlich in den christlichen Glauben einführen und als Jugendliche engagieren: Dies strebt die Zürcher reformierte Landeskirche mit einem neuen Gesamtkonzept für die Religionspädagogik „aufwachsen und aufbrechen“ an.

In den vier Phasen (Vorschulalter, Primarstufe, Oberstufe, 16-25-jährige) stehen nacheinander Feiern, Lernen, Teilen und Übernehmen von Verantwortung und schliesslich Gestalten im Vordergrund.

Am Dienstag erläuterten die zuständige Kirchenrätin Anemone Eglin und Projektleiter Frieder Furler das Konzept vor der Evangelisch-kirchlichen Fraktion (EKF) der Zürcher Synode. Es ist das Ergebnis eines fünfjährigen Prozesses und soll im gesamten Kantonsgebiet innerhalb von zehn Jahren schrittweise umgesetzt werden, falls die Synode am 8. Juni zustimmt.

Es gibt viel zu tun…

Die religionspädagogische Offensive folgt auf Jahrzehnte reformierter Trägheit im Bereich der Unterweisung. Dass viele Zürcherinnen und Zürcher heute wenig vom christlichen Glauben wissen, hat die reformierte Landeskirche auch sich selbst zuzuschreiben.

Wie Pfarrerin Anemone Eglin vor der EKF sagte, ist dem Kirchenrat vor fünf Jahren noch nicht klar gewesen, „in welchem Traditionsabbruch wir stehen“. Die Folgen seien unabsehbar. Ein grosser Teil der Elterngeneration ist zwar christlicher Erziehung nicht abgeneigt, aber selbst davon nicht geprägt worden.

…packen wir’s an!

Das Konzept zielt laut Eglin darauf ab, den Kindern die Möglichkeit zu geben, Vertrauen zu Gott aufzubauen, und Liebe zu entwickeln, die sich im Engagement für Gerechtigkeit und Frieden ausdrücken kann. Die Hoffnung auf den Heiligen Geist, der sich zum Beispiel in Lebensfreude und Weltoffenheit zeigt, solle den Kindern vermittelt werden.

«Die Kirche soll den Heranwachsenden Boden geben», sagte Eglin vor der Presse. Wie Pfr. Frieder Furler erläuterte, werden die Eltern im Vorschulalter stärker einbezogen (Bildungsangebote, Mittagstisch, Hort). Nach der Konfirmation sollen Teenager als Freiwillige Jüngere leiten und animieren; da will man mehr mit dem CEVI zusammenarbeiten.

Beständig begleiten und unterweisen

Beim kirchlichen Unterricht während der Schulzeit sind die grössten Veränderungen vorgesehen. Heute erhalten von den Primarschülern nur gerade die Drittklässler Unterricht von der reformierten Kirche. Bis zum Konfirmandenunterricht klafft eine mehrjährige Lücke.

Nun will die Zürcher Landeskirche in drei etwa dreijährigen Etappen zuerst eine Unterweisung für Viertklässler, dann für Zweitklässler und endlich für die 5.-7. Klasse einführen.

Mehr Musik

Die Landeskirche gibt den Umfang (je 30 Stunden) und die zu vermittelnden Inhalte vor, will jedoch den Kirchgemeinden freistellen, ob sie wöchentliche Lektionen, Samstage, Wochenenden oder Lager durchführen. Bisher erhalten Zürcher reformierte Kinder in der dritten und neunten Klasse insgesamt 102 Stunden Unterricht; in zehn Jahren sollen es 192 Stunden sein.

Der Musik will man einen grösseren Stellenwert geben – die von den Jugendlichen frequentierten Freikirchen lassen grüssen. In einzelnen Kirchgemeinden werden neue Unterrichtsformen bereits praktiziert; diese Erfahrungen will man nutzen.

In den letzten Monaten haben Eglin, Furler und weitere Mitarbeiter der Landeskirche mit den Verantwortlichen der meisten Kirchgemeinden diskutiert, wie die Arbeit angegangen werden kann. Zudem stehen die Religionspädagogen in Kontakt mit ihren Berner und Aargauer Kollegen.

Besonderer Auftrag der Kirche

Eglin betonte vor der Presse, das neue Konzept sei keine Antwort auf die Beschlüsse des Bildungsrats zum Unterricht in Biblischer Geschichte an der Primarschule. Die Kirche befürwortet, dass das Schulfach beibehalten wird, und trägt deswegen die Volksinitiative mit.

Die Schule habe einen Bildungsauftrag, zu dem das Vermitteln der grundlegenden Kenntnisse der christlichen Wurzeln unseres Kulturkreises gehöre, sagte die Kirchenrätin. Der Auftrag der Kirche unterscheide sich davon: Ihr gehe es darum, in den eigenen christlichen Glauben einzuführen.

Die Kosten nicht scheuen

Die religionspädagogische Offensive ist nicht gratis. Der Kirchenrat schätzt für eine Kirchgemeinde mit 40 Kindern pro Jahr Zusatzkosten von 25'000 Franken, wenn alle drei Etappen realisiert sind. Um die Lehrmittel zu erstellen, Unterweisende auszubilden und Gemeinden zu beraten, gedenkt die Landeskirche ihre Stellenprozente (bisher etwa 400) fast zu verdoppeln.

Der Kirchenrat ist entschlossen, hier künftig einen Schwerpunkt setzen, sagte Eglin vor der EKF. Nicht klar ist laut der Tageszeitung ‚Zürcher Oberländer’, wie weit man bezahlte Katechetinnen für den zusätzlichen Unterricht einsetzen muss und wie weit dafür Freiwillige zu finden sind.

Datum: 29.05.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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