Explosive Armut in Pakistan

Polizei beschuldigt Christen des Priestermordes

Pater George Ibrahim

Im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen im Fall des Mordes vom 5. Juli an Pater George Ibrahim sind drei einheimische Christen beschuldigt worden, ihn bei einem Raubversuch getötet zu haben. Die als Sharif Masih, 30, Naimat Masih, 55, und Aslam Masih, 28, identifizierten Christen sollen sich seit dem 9. Juli in Haft befinden, obwohl erst Mitte August formell Anklage gegen sie erhoben wurde. Dies berichtet der Nachrichtendienst Compass Direct.

Die Polizei habe versucht, die Beweise des Mordes, bei dem Pater Ibrahim von sechs Bewaffneten erschossen wurde, auf Raub als Tatmotiv "zu trimmen", sagte Peter Jacob, der Direktor der Nationalen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden (NJPC) der katholischen Kirche. Die drei Angeklagten haben jede Verwicklung in das Verbrechen abgestritten. Mit ihnen zusammen sitzt der Muslim Mohammed Afzel, ein als Wiederholungstäter identifizierter Einbrecher, als Verdächtiger in Untersuchungshaft.

Einem christlichen Anwalt liegen einwandfreie Beweise vor, um vor Gericht zu belegen, dass es nicht um Raub ging, sondern der Pater das Ziel war. "Es war kein Raub oder sonstige Besitzstreitigkeiten unter Christen, wie die Polizei behauptet hat. Es war Terrorismus", sagte er. Pater Ibrahim hatte vor seinem Tod Morddrohungen erhalten, da der Staat beschlossen hatte, seiner Kirchgemeinde die vor 30 Jahren verstaatlichte Schule wieder zurückzugeben. Dies hatte bei einigen Muslimen zu Opposition und scharfer Kritik geführt.

Der einzige Augenzeuge des Verbrechens, der Koch des Priesters, Pervez Pyara, hatte schon bei seiner ersten Vernehmung ausgesagt, P. Ibrahim sei "absichtlich angegriffen" worden. Pyara gab etwas später auch noch genauer zu Protokoll, dass der Pater ihm gesagt hatte, er erhalte Morddrohungen von Shahzina Sadique, der ehemaligen Rektorin einer Mädchenschule. Die muslimische Schulleiterin hatte sich öffentlich gegen den Beschluss der Regierung vom letzten Herbst gewandt, die Schule zu privatisieren und unter Pater Ibrahim wieder in kirchliche Hände zurückzugeben.

Pyara gab an, dass er die Angreifer, nachdem sie P. Ibrahim getötet hatten, rufen hörte, ihre "nächsten Opfer" würden die Ordensschwestern sein, die im Kloster auf dem Kirchengelände leben. Eine dieser Nonnen hat inzwischen schriftlich ausgesagt, dass Frau Sadique während der Rückübertragungsverhandlungen für die Schule vor Gericht erklärte, P. Ibrahim sei ein "Feind des Islams" und müsse getötet werden. Einem Bericht der Daily Times zufolge ist Sadiques Mann Präsident des örtlichen Kapitels von Anjum Sipah-e-Sahaba Pakistan, einer verbotenen pakistanischen Terroristenorganisation.

Polizei untüchtig – Richter setzt neues Team ein

Einen Monat nach dem Tod des Priesters erklärte der katholische Bischof von Faisalabad auf einer Pressekonferenz, dass die Polizei keine Fortschritte in diesem Fall gemacht habe, sondern im Gegenteil etliche arme Christen aus der Gegend bedränge. In Pakistan, sagte er, sei es "normal für die Polizei, Menschen zu schlagen und Foltermethoden einzusetzen" um falsche Geständnisse zu erzwingen.

"Jeder kennt die Person, die für diesen Mord die Verantwortung trägt," sagte ein Informant aus der katholischen Kirche in Faisalabad. "Dahinter stehen bekannte Gruppen fundamentalistischer Muslime, aber die Regierung und die Polizei fürchten sich vor ihnen." "Man verhaftet sie nicht, weil ihre Familie sehr mächtig ist," kommentierte ein anderer. "Und sie hat sehr gute Kontakte zu hohen Polizeibeamten."

Der vorsitzende Richter hat laut dem Bericht von Compass Direct eine Wiederaufnahme der Ermittlungen durch die Polizei angeordnet. Die Anwälte der Angeklagten hoffen, in den nächsten Tagen einen begründeten Antrag auf Haftentlassung gegen Kaution stellen zu können.

Innenpolitik blockiert: Islamisten gegen Musharraf

Der Einfluss der Islamisten auf die pakistanische Politik hat sich durch die Parlamentswahlen vom letzten Herbst verstärkt. Die siegreichen Parteien stellen sich dem mit den USA verbündeten Präsidenten General Musharraf in den Weg; sie drängen auf eine durchgehende Islamisierung des Staates, wie sie in der an Afghanistan grenzenden Nordwestprovinz bereits verwirklicht wird.

Laut ihrem Generalsekretär will die islamistische MMA-Partei, die in der Nordwestprovinz an der Macht ist, auch dann nicht in die pakistanische Regierung eintreten, wenn ihre Forderungen nach einer Machtbeschränkung von Musharraf erfüllt werden sollten. Die Islamisten verweigern im Parlament das Ja zu den Vollmachten, die der Präsident im Rahmen des sogenannten ‚Legal Frame-work Order‘ fordert.

Der Politiker sagte, die von Musharraf vorgeschlagenen Verfassungsänderungen hätten Pakistan noch näher an den Zerfall geführt und es Afghanistan entfremdet. Dort sei nun eine von den USA eingesetzte, Indien-freundliche Regierung am Werk. Damit seien nicht nur die östlichen, sondern auch die westlichen Grenzen des Landes unsicher.

Immer mehr Arme

Experten haben die pakistanische Regierung aufgefordert, die Armut im Land genauer zu untersuchen. Laut einem Bericht der Tageszeitung ‚Dawn‘ sollen die Haushalte einzeln befragt werden. Das Finanzministerium hat sich gegen diese Methode gestellt, wohl um den Ruf Pakistans bei den Geberländern nicht (weiter) zu beschädigen.

Der Anteil der offiziell in Armut lebenden Bevölkerung ist von 25 Prozent 1992/93 auf 32 Prozent bei der Erhebung 2000/01 gestiegen. Die Zunahme hält an, weil die Bevölkerung (laut der UNO bereits 153 Millionen) jährlich um 2,6 Prozent wächst – das heisst um fast vier Millionen Menschen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Pakistanis beträgt bloss 420 Dollar, noch weniger als das des grossen Nachbarn Indien.

Vernachlässigte Primarschulen

Die explosive soziale Lage, welche den Islamisten in die Hände spielt, hat mit der Vernachlässigung des Bildungssektors zu tun. Statt vier Prozent (wie von der Unesco empfohlen) gibt das Land bloss 1,7 Prozent des Bruttonationalprodukts für Bildung aus. In einem Beitrag in der Zeitung ‚The Dawn‘ wird Pakistans tiefe Alphabetisierungsrate (bei den Männern um 40 Prozent, bei den Frauen um 70 Prozent) verglichen mit Ländern wie Sri Lanka, wo neun von zehn Einwohnern lesen können.

Laut der neusten Erhebung hat das Land 162‘200 Primarschulen; 19,5 Millionen Kinder besuchen sie. Allerdings existieren viele dieser Schulen bloss auf dem Papier, wie in einem Beitrag in der Zeitung ‚The Dawn‘ beklagt wird. Die Sekundarstufe in der 6. Klasse erreichen nur noch 3,9 Millionen Kinder. Damit wächst die Zahl der Analphabeten in Pakistan weiter.

Private Organisationen nehmen dem Staat einen wachsenden Teil der Bürde ab; laut der Unesco geht jeder dritte pakistanische Primarschüler in eine private Schule! Nun wird kritisiert, dass die Regierung sich aus ihrer Verantwortung davon schleicht. Während Mitte des letzten Jahrzehnts um die 5‘000 neue Schulen pro Jahr aufgingen, waren es 2002 nur noch 800.

Datum: 18.09.2003
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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