Türkei

Hoffnung für die Christen in Südostanatolien

Christen in Südostanatolien.

Unter allen Christen in der Türkei haben es die Christen in Südostanatolien besonders schwer. Seit 1984 befindet sich das Gebiet im Ausnahmezustand. Die Christen werden dort bei den Kämpfen zwischen Türken und Kurden aufgerieben. Insgesamt leben in der Türkei ungefähr 100 000 Menschen unterschiedlichen christlichen Bekenntnisses. Die meisten Christen in Südostanatolien sind syrisch-orthodox. Ihre Kirche hat sich im fünften Jahrhundert von der byzantinischen abgespalten. Die syrisch-orthodoxe Kirche erstreckte sich einst bis nach Indien und China. Viele Völker bekannten sich zu dieser Konfession.

Die Angehörigen der anderen syrischen Konfessionen bezeichnen sich vielfach als assyrische Christen. Sie betrachten sich nicht als übernationale Religionsgemeinschaft, sondern als Volksgruppe. Dieses Selbstverständnis hat auch eine andere politische Dimension: Die assyrischen Christen fordern nicht nur Religionsfreiheit, sondern auch Volksgruppenrechte. Die Christen in Südostanatolien sprechen zudem nicht türkisch, sondern aramäisch. Diese Tatsache legitimiert die Forderung, sie als Minderheit zu schützen. Die Christen, die sich als assyrisch bezeichnen, betrachten sich seit Beginn einer nationalen Renaissance-Bewegung im 19. Jahrhundert als Nachfahren der Assyrer aus dem alten Mesopotamien.

Bewegungsfreiheit ohne Einschränkungen

Er habe Hoffnung für den Tur Abdin, die Hochburg der syrisch-orthodoxen Kirche im südostanatolischen Grenzgebiet der Türkei, signalisierte der österreichische Theologe Hans Hollerweger bei einer UNO-Tagung über die "Indigenous Populations" in Genf. Es bleibe noch viel zu tun, aber es gehe "aufwärts", sagte der Linzer Theologe, der sich seit vielen Jahren für den Tur Abdin einsetzt, dessen Klöster in römische Zeit - 4./5. Jahrhundert - zurückreichen.

Als Anzeichen für "den Übergang zur Normalisierung" bezeichnete Hollerweger die Bewegungsfreiheit ohne Einschränkungen und die Strukturverbesserung im Bereich des Strassennetzes, der Wasserversorgung, des Handynetzes, aber auch den wirtschaftlichen Aufschwung und die Erneuerung der Baulichkeiten in Klöstern und Dörfern. In drei Dörfern, in denen nur mehr Kurden leben, finanzieren die ausgewanderten Christen die Kirchenrenovierung, die grossteils durch kurdische Arbeiter durchgeführt werde, berichtete der Theologe. Dies sei ein Zeichen, dass sich auch das Verhältnis zwischen kurdischer und christlicher Bevölkerung verbessert hat.

Einige Dörfer seien komplette Baustellen, weil viele christliche Familien, die in den Tur Abdin zurückkehren wollen, ihre Häuser renovieren oder neue erbauen. Immer noch gebe es die Meinung, dass im Tur Abdin nur mehr alte Menschen leben. Die Tatsachen zeigten das Gegenteil, so Hollerweger: In den verbliebenen christlichen Dörfern seien etwa 45 Prozent der Bewohner unter 20 Jahren. Als einzige Region im Orient wachse im Tur Abdin die christliche Bevölkerung wieder. Um der Jugend Zukunftschancen zu eröffnen, müssten die wirtschaftlichen Strukturen verbessert werden, zum Beispiel durch den Verkauf landwirtschaftlicher Produkte an die Ausgewanderten in Europa.

Aussicht auf EU-Beitritt hilft

Die politische Lage habe sich im Zusammenhang mit den Bestrebungen Ankaras zum EU-Beitritt sehr verbessert, stellte der Theologe fest. Manche Querschüsse von rechtsradikaler oder fundamentalistischer Seite verunsicherten zwar, doch werde die positive Entwicklung nicht aufzuhalten sein. Zu den Querschüssen zählte Hollerweger die Erklärung des Abgeordneten der regierenden "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung", Resul Tosan, die Rückkehr der Christen in den Tur Abdin stelle eine "potenzielle Gefahr für die Einheit des türkischen Staates" dar.

In ähnlicher Weise wurde auch Hollerwegers Bildband "Lebendiges Kulturerbe Tur Abdin" vor einem Jahr durch eine türkische rechtsgerichtete Zeitung angegriffen. Solchen Einzelaktionen stehe das ausserordentlich gute Einvernehmen der lokalen türkischen Behörden mit den Bischöfen und den Vertretern der Christen gegenüber, sagte der Theologe.

Vor wenigen Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass von türkischen Stellen ein Symposion über den Tur Abdin abgehalten wird, meinte Hollerweger. Ende Juni fand ein solches Symposion unter Teilnahme qualifizierter Wissenschaftler aus Ankara und Istanbul in Midyat statt. Innerkirchlich werde die Entwicklung gefördert durch die Wiederbesetzung des seit 1969 vakanten Bischofsitzes von Mardin durch den jungen Erzbischof Philoxenos Özmen. Er wohnt im Kloster Der-ul-Zafaran - dem historischen Sitz des syrisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien - und versucht in Mardin und in den Dörfern durch enge Kontakte mit der Bevölkerung ein lebendiges Gemeindeleben aufzubauen.

Hollerweger, emeritierter Professor für Liturgiewissenschaft in Linz und Initiator der "Freunde des Tur Abdin", war erst im Juni im Tur Abdin und konnte so in Genf von der neuesten Entwicklung berichten und sie kommentieren. - Vor dem Palais de Rumine in Lausanne demonstrierten am Donnerstag rund 100 Personen für die Anerkennung der syrisch-orthodoxen Bevölkerung als Volk der Assyrer. Im Gebäude hatten die europäischen Siegermächte und die Türkei am 24. Juli 1923 den Vertrag von Lausanne unterzeichnet. Dieser regelt bis heute namentlich die Grenzen der Türkei und die Rechte der nichtmuslimischen Minderheiten. Die Assyrer versammeln sich jeweils am Jahrestag der Vertragsunterzeichnung in Lausanne.

Datum: 06.08.2003
Quelle: Kipa

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