Honduras

Tegucigalpas Kinder zwischen Gewalt, Prostitution und Hoffnung

Die Strassenkinder in Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras, erleben Tag für Tag Dramatisches. Ihre Zukunftsaussichten sind düster, die Lebenserwartung äusserst gering. Die Hilfswerke «Casa Alianza» und «Casa Girasol» wollen den Kindern gemeinsam neue Hoffnung schenken.
Rund 500 Strassenkinder wohnen im Krisenzentrum von «Casa Alianza».(Fotos: David Sommerhalder)
Eine andere Welt: «American Style» im Einkaufszentrum.
Offene Türen für Strassenkinder: Das Zentrum von «Casa Alianza» liegt mitten im Zentrum von Tegucigalpa.
Im «Casa Girasol» erfahren Nachbarskinder (im Bild) und Strassenkinder mehr über den christlichen Glauben.
Der Fussballplatz vom Kinderheim «Rafael» - hier sollen in Zukunft Strassenkinder spielen.

Vom «Casa Girasol» aus (lesen Sie die ersten zwei Teile des Berichts: Strassenkinder in Honduras: «In zwei Jahren bin ich tot») geht es mit dem Pickup in die zwölf Kilometer entfernte Hauptstadt. Die Blicke der Einheimischen spiegeln Verwunderung wider, als sie die Touristen sehen, die auf der offenen Ladefläche des Fahrzeugs sitzen. Dort sieht man für gewöhnlich keine «Gringos» - diese halten sich vornehmlich in klimatisierten Wagen hinter getönten Scheiben auf.

Blick nach Amerika

Die sozialen Unterschiede, welche das Land beherrschen, sind überall zu sehen. Slumartige Behausungen wechseln sich ab mit vergitterten Häusern, bei denen das blank polierte Auto im Vorgarten steht. Der Bus fährt vorbei am verwitterten Friedhof für die Armen und an der gepflegten Anlage, wo die Reichen ihre letzte Ruhe finden. Bei einem Einkaufszentrum in Tegucigalpa wird ein Zwischenstopp eingelegt. Die Shopping-Mall ist eine für die reichere Schicht; wer zu arm aussieht, wird nicht hineingelassen. Hier trifft man mitten im Entwicklungsland auf eine andere Welt. Die Autos auf dem Parkplatz, die Geschäfte mit Unterhaltungselektronik und die Schnellimbiss-Restaurants im Innern des Gebäudes wiederspiegeln den «American Way of Life». Wer es sich leisten kann, orientiert sich an amerikanischen Standards.

Für die Bewohner vom «Casa Girasol» ist die Mall eine gute Gelegenheit, Lebensmittel einzukaufen und im Internetcafé Mails abzurufen oder mit Angehörigen zu telefonieren. Sie hätten auch schon auf den verschiedenen Märkten in der Stadt eingekauft, erzählt Missionar Andreas Schmid. Doch hier sei es wesentlich komfortabler, und zudem könne man viel Zeit sparen, da man nicht bei jeder Banane noch verhandeln müsse.

Krisenzentrum für Strassenkinder

Die Fahrt geht weiter mitten ins Stadtzentrum. Hier steht das Zentrum von «Casa Alianza». Die Kinderhilfsorganisation ist in Honduras, Mexiko und Nicaragua tätig und gehört zum US-amerikanischen Werk «Convenant House». Das Gebäude ist als Anlaufstelle für die Strassenkinder Tag und Nacht geöffnet. Hier können sie duschen, erhalten eine warme Mahlzeit und die Möglichkeit, langfristig von der Strasse wegzukommen.

Geleitet wird das Haus von der Programmdirektorin Doctora Irma Benavides. Die Spanierin arbeitet seit 18 Jahren für das «Casa Alianza». Acht Jahre davon war sie als Streetworkerin tätig, besuchte die Kinder direkt auf den Strassen, versorgte kleinere Verletzungen, spielte mit ihnen oder hörte einfach nur zu.

Weg von der Strasse

Nun leitet Doctora Irma das Krisenzentrum, in dem rund 500 Kinder und Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren leben. «65 Prozent der Kinder können wir stabilisieren und von der Strasse wegbringen. 25 Prozent gehen zurück auf die Strasse, 10 Prozent zurück zu ihren Familien», erklärt sie. Wenn die Kinder hierherkommen, würde man ihnen aufzeigen, in welcher Situation sie sich befinden und was die Zukunft bringt, wenn sie weiter auf der Strasse bleiben. «Wir bieten ihnen diverse Programme an, von medizinischer und psychologischer Betreuung bis hin zu Ausbildung und Erziehung.» Im Zentrum gibt es einen Computer-Raum, eine kleine Bibliothek und verschiedene Sportplätze, wo sich die Jugendlichen betätigen können. Mädchen und Jungs dürfen den Tag gemeinsam verbringen, um halb sieben gehen alle in ihre separaten Trakte.

Leid und Missbrauch

Was die Strassenkinder zum Teil mit 14 Jahren bereits erlebt haben, ist kaum fassbar. Da gibt es zerstörte Familien - ein Junge erzählt, dass sein Vater im Drogenrausch die ganze restliche Familie getötet hat -, oder Kinder, die überhaupt keine Familie haben. Viele Mädchen wurden missbraucht, Kinderprostitution und Kinderhandel sind ein in den letzten Jahren stark zunehmendes Problem in Honduras. Viele der Jugendlichen sind drogenabhängig, schnüffeln Leim oder konsumieren andere Drogen.

«Casa Alianza» wird konfessionell neutral geführt. Doch weil Doctora Irma wie auch weitere Leitungsmitglieder überzeugte Christen sind, sind sie glücklich, dass sie die Kinder in die Camps von «Casa Girasol» schicken können. «Ich erachte die Lager als sehr nützlich und wichtig. Die Kinder erkennen, dass es auch andere Menschen gibt, die sich für sie einsetzen und interessieren. Sie werden in „Casa Girasol" im Glauben gestärkt und ermutigt», so die Programmdirektorin.

Von der Welt vergessen

Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Hilfsorganisationen besteht seit rund einem Jahr. Die Camps sind auch für Alexander Blum, Gründer und Gesamtleiter von «Casa Girasol», ein Traum, der in Erfüllung ging. Zum ersten Mal in Kontakt mit den Strassenkindern kam Blum im Jahr 2000, als er als Austauschstudent nach Honduras reiste. Das Jahr in Mittelamerika prägte ihn nachhaltig. Die Situation der Strassenkinder erschütterte den Thurgauer. «Wahnsinn!», dachte er. «Warum hat die Welt diese Jungen und Mädchen vergessen?» Er wünschte sich, etwas für die verwahrlosten und ausgehungerten Kinder und Jugendlichen zu tun.

Ein Plan - und das Haus dazu

2006 reiste er bereits zum vierten Mal nach Honduras, dieses Mal zusammen mit einer Kollegin. Im Vorfeld zeichneten sie Pläne für ein Haus, das sie gerne kaufen würden, um dort ein Angebot für die Kinder zu schaffen. Vor Ort erzählten sie aber niemandem von ihrem Plan. So staunten die beiden Schweizer nicht schlecht, als sie plötzlich von Einheimischen gefragt wurden, ob sie auf der Suche nach einem Haus seien. Noch grösser war die Überraschung, als sich herausstellte, dass das Grundstück genau den vorher gezeichneten Plänen entsprach.

Das Haus wurde gekauft und «Casa Girasol» (Haus der Sonnenblume) getauft. Ein sechsköpfiger Förderverein begleitete von nun an das junge Hilfswerk. Neben Blum gehören ihm dessen Mutter als Präsidentin und vier Bekannte an. Heute leitet Alexander Blum das Hilfswerk von der Schweiz aus.

Ein Kinderheim und eine Fussballmannschaft

Das neuste «Casa Girasol»-Projekt ist das Kinderheim «Rafael». Das Haus wurde von «Casa Alianza» bereits einmal als Kinderheim betrieben, musste dann aber aus finanziellen Gründen geschlossen werden. «Casa Girasol» kann es nun übernehmen und will es noch dieses Jahr wiedereröffnen. Bis das Haus 20 Jungs von der Strasse ein neues Zuhause bieten kann, muss allerdings noch einiges geschehen. Durch den langen Stillstand sind zahlreiche Renovierungsarbeiten angefallen. Der Fussballplatz vor dem Haus bringt Andreas Schmid zum Träumen: «Die Jungs könnten hier Fussball spielen und als „Rafael"-Team in der regionalen Liga mitmachen!» Als talentierter Fussballer entdeckt zu werden, ist für viele Jugendliche in Honduras die einzige grosse Hoffnung. Im «Rafael» könnten einige von ihnen schon bald ihren Lieblingssport betreiben - und noch eine tiefergehende Hoffnung entdecken.

Links zum Thema:
Bei einem Camp für die Strassenkinder mithelfen
Mehr über das Kinderheim Rafael erfahren
Die Webseite von Casa Alianza Schweiz

Datum: 21.08.2009
Autor: David Sommerhalder
Quelle: Livenet.ch

Werbung
Livenet Service
Werbung