Nigeria

Wegweiser für den Schwarzen Kontinent?

Jeder fünfte Afrikaner lebt in Nigeria. Korruption und Megakirchen, Scharia-Urteile sowie blutige Unruhen um Weidegründe und die wahre Religion bringen den 150-Millionen-Staat in die Schlagzeilen. Livenet hat mit dem Arzt und Missionsleiter Joshua Bogunjoko über das Land gesprochen, das die Zukunft Afrikas mitbestimmt.
Tausende versammeln sich zum Gottesdienst in Ayobo im Süden Nigerias.
Joshua Bogunjoko
Iran als Modell: Schiiten feiern in Zaria im Norden Nigerias den Geburtstag von Ayatollah Khomeiny.
Quds-Tag
Gewaltbereitschaft: Nachdem die Polizei zwei christliche Teenagerinnen im Gliedstaat Bauchi aus der Hand von Kidnappern befreit hatten, brannten wütende Islamisten sechs Kirchen nieder (Mai 2008).
Zuma Fels in Jos.

Livenet: Wie bewerten Sie als Nigerianer die Einführung der Scharia, des islamischen Gesetzes, in den nördlichen Gliedstaaten Nigerias? Was hat sie gebracht?
Joshua Bogunjoko: Sie erscheint mir vor allem als Spiel, mit dem sich Politiker aufspielen. Viel eher als dass man glaubt, dass die Leute die Scharia brauchen. Nehmen wir die Prostitution, die bekämpft werden sollte. Sie lebt von den Freiern – und Sie werden nicht lange suchen müssen, bis Sie bekannte Persönlichkeiten unter den Freiern finden, Christen oder Muslime. Diese Leute können Sex kaufen, ohne die schweren Strafen, welche die Scharia androht, gewärtigen zu müssen.

Wenn eine Frau wegen Ehebruchs angeklagt wird und ihr die Steinigung droht, stellt sich doch die Frage: Wo ist der Mann? Ohne den Mann wäre es nicht zum Ehebruch gekommen. Wer eine Ziege oder eine Kuh gestohlen hat, dem wird nach der Scharia eine Hand abgeschlagen. Aber was geschieht mit jenen, die der Regierung Geld gestohlen haben?

Die Leute auf der Strasse wollen grundsätzlich gute Muslime sein. So erscheint mir die Einführung der Scharia weniger als Versuch, ethisches und sittlich korrektes Verhalten zu bewirken, denn als Spiel der Politiker zu ihrer Profilierung: Die einfachen Leute sollen sie für gute Muslime halten.

Von fern kann man den Eindruck gewinnen, dass Muslime und Christen in Nigeria in verschiedenen Welten leben.
Dies ist ein vielschichtiges Thema. Ich erwähne nur einen Unterschied zwischen den beiden Religionen. Wenn Muslime zu Allah beten, haben sie eine andere Erwartung in Bezug auf die Wirkung ihres Gebets. Muslime beten hoffend, dass Allah antworten werde. Christen beten mit der Gewissheit, dass Gott auf ihr Gebet antwortet, da Jesus als der Mittler dies verbürgt.

Christen sprechen deutlich aus, was ihnen auf dem Herzen ist. Dagegen rezitieren Muslime Verse des arabischen Koran. Es kann sein, dass der Imam ihr Anliegen ausspricht, worauf sie mit Amen bestätigen und weitere Sätze aus dem Koran rezitieren.

Was gibt Ihnen Hoffnung für Nigeria?
Die Wirkung des Evangeliums in der jungen Generation. Mehr junge Christen übernehmen Verantwortung in den Kirchen. Ich hoffe, weil ich dies wahrnehme, und einige werden sich auch in der Politik engagieren. Zur selben Zeit gibt mir zu denken, wie andere junge Christen die Kirche in Nigeria ummodeln.

Wer Wunder wirkt, hat Zehntausende von Anhängern.
Ja genau. Das ist meine Sorge, dass viel auf falscher Lehre aufgebaut wird. Der christliche Glaube fokussiert auf das Ego – und darauf, was ich von Gott bekommen kann –, statt zu fragen, wie Gott durch mich wirken und andere segnen will. Das ist ungut. Viele der Megakirchen predigen ein Wohlstandsevangelium: Segnungen und Segen und nochmals Segnungen. Die Leute bekommen wenig feste Nahrung.

Einzelne Verheissungen werden aus der Bibel herausgepflückt, aus dem Zusammenhang gerissen – und wenn die Leute dann in eine schwierige Lage geraten in ihrem Privatleben, haben sie keinen festen Boden unter den Füssen. Sie haben Gott nur als den Geber aller guten Gaben vorgestellt bekommen. Viel mehr hätte man sie darauf vorbereiten sollen, dass wir in einer gefallenen Welt leben, in der Gott uns Dinge zustossen lässt. Im Glauben können wir mit ihm wandeln – es ist ein Glaube, der gibt, der nicht bloss empfängt.

Wie gross ist der Sog der Megakirchen auf junge Leute? Wie verlockend ist es für sie, zu einer ganz grossen Kirche zu gehören?
Junge Christen neigen solchen Grosskirchen zu. Ich bedaure diesen Trend, da er in der Regel nicht zu vertiefter Gemeinschaft führt. Man kann so lange zur Kirche gehen und niemand kennen. Einige der Grosskirchen haben Hauszellen. Doch leider sind die Kirchen versucht, sich selbst aufzubauen; sie bemühen sich zu wenig, in der Gesellschaft Salz und Licht zu sein. Viele kleine Kirchen könnten in ihrem Stadtteil, in ihrer Nachbarschaft für Jesus Zeugen sein. Wenn sich hingegen viele Tausende an einem Ort versammeln, was hat die Umgebung davon? Wird ihr Christus bezeugt? Grosskirchen sollten nicht Leute von anderen Gemeinden abziehen, sondern Menschen für Christus gewinnen und sie zum Leben mit ihm anleiten. So weit ich es verfolgen kann, tun die meisten wenig dafür.

Was halten Sie von den Massenversammlungen, die etwa Reinhard Bonnke in Nigeria, auch im islamisch geprägten Norden, durchführt?
Ich bin nicht von Zahlen getrieben. Statistiken brauche ich nur zu Bildungszwecken. Ich brauche nicht die erhobenen Hände derer zu zählen, die Christus in ihr Leben einladen. Wir haben so und so viele Wiedergeborene. Aus eigener Erfahrung weiss ich: Ich ging mindestens zwei oder dreimal nach vorn, bevor ich wirklich begriff, welche Verpflichtung das Ja zu Jesus eigentlich bedeutete. Ich war gefühlsmässig bewegt, aber verstand noch nicht, worum es ging. Was hatten mein Sünder-Sein und die Auferstehung von Jesus miteinander zu tun? Das war mir noch nicht klar.

Wenn Wunder geschehen, staunen die Menschen und erkennen Gott als ihren Urheber an…
Ja. Menschen wollen Antworten auf ihre Fragen, Lösungen für ihre Probleme. Aber Bauchentscheidungen halten nicht unbedingt lang. Als ich zur Universität ging, wurden zu Beginn des Studienjahres mehrere evangelistische Abende gehalten. Dabei sagten 30 oder 40 Studierende Ja zu Christus. Am Ende des Jahres stellte man fest, dass trotz allen Bemühungen nur drei von ihnen in der christlichen Gruppe mitmachten.

Da fragten wir uns, ob wir weiter so viel Zeit und Energie einsetzen sollten. In der Folge konzentrierten wir uns auf persönliche Gespräche, in denen der Glaube erklärt und auf Fragen eingegangen wurde. So konnten Studenten eine Entscheidung für Christus treffen, nachdem sie das Evangelium verstanden und begriffen hatten, dass er auf ihr Leben Anspruch erhob.

Wenn ich das sage, habe ich keinen Zweifel, dass Gott auch Massenversammlungen braucht. Aber in welchem Verhältnis ihre Wirkung im Leben der Menschen zu den veröffentlichten Zahlen steht, ist für mich eine grosse Frage. Nach meinem Eindruck drängt der Trend zu Massenveranstaltungen das persönliche Gespräch in den Hintergrund.

Was leisten Grossveranstaltungen im Bezeugen des Evangeliums unter Muslimen?
Ich zweifle daran, dass es ihnen so wirksam mitgeteilt wird. Das Evangelium muss nicht nur verkündigt, es muss auch verstanden werden. In der Bibel lesen wir von einem Höfling aus Äthiopien, der nach dem Besuch Jerusalems eine Schriftrolle las. Als er Philippus bemerkte, bat er ihn, sie ihm zu erklären (Apostelgeschichte 8,26-39).

Muslime sind nicht neutral, sondern aufgrund ihrer Tradition negativ voreingenommen gegen Grundlagen unseres Glaubens: Christus ist der Sohn Gottes. Wenn er nicht als Sohn Gottes gestorben ist, geschah es nicht zu unserer Rettung. Wenn er nicht von den Toten auferstanden ist, gibt es kein ewiges Leben. Diese drei Dinge müssen begriffen werden. Sonst können Sie nicht sagen, dass Sie die christliche Botschaft verstanden haben. Zusätzlich zur Verkündigung in der grossen Versammlung ist es nötig, das Evangelium im persönlichen Gespräch zu erläutern, damit die Menschen erfassen, was es für sie konkret bedeutet.

Wie beten Sie für Ihr Land Nigeria?
Ich bete vor allem für die Kirche von Christus. Gott hat sie gesegnet, so dass sie jedenfalls im Süden des Landes zahlenmässig deutlich gewachsen ist. Aber sind wir auch in die Tiefe gewachsen? Zeigt das Evangelium Wirkungen im Alltag des Einzelnen?

Wären die Christen Nigerias Salz und Licht, sähe die Nation anders aus. Es kam vor, dass Leute an mich herantraten und Schmiergeld forderten. Ich sagte, als Christ besteche ich nicht. „Nun, ich bin auch Christ“, war die Antwort. Gemeindeleiter haben nichts dagegen, Geld anzunehmen, ja dringen darauf! So lange Christen sich diesen Praktiken nicht verweigern, können wir doch nicht erwarten, dass die Gesellschaft gesundet.

Sind wir willens, in Nigeria den Preis für unseren Glauben zu zahlen? Im Norden des Landes wird er gezahlt, keine Frage. Im Süden des Landes kann man hingegen sehr komfortabel Christ sein, vielleicht zu komfortabel.

Wie beten Sie für die Kirchen?
Ich bete dafür, dass Christen ihr Augenmerk mehr darauf richten, wie Gottes Reich fortschreitet und was sie beitragen können. Wir sind nicht berufen, unser Reich zu errichten, eine Grosskirche mit 60'000 oder 100'000 Mitgliedern aufzubauen. Wenn meine Landsleute nicht dies tun, sondern zusammenarbeiten, kann Nigeria in der Weltmission eine bedeutende Rolle spielen.

Dies ist mein Gebet: dass Gott die Kirchen aufweckt, dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen und zu den Menschen jenseits ihrer Mauern, ausserhalb ihrer Nachbarschaft und sogar jenseits der Landesgrenzen gehen. Nigeria ist von Ländern umgeben, in denen die Christen vielleicht ein oder zwei Prozent der Bevölkerung stellen. Tschad, Mali, Niger, Burkina Faso und die Staaten der Region bis hin nach Senegal sind Länder, in die Nigerianer ohne Visa einreisen können. Der Bedarf an Menschen, die Jesus bezeugen, ist riesig. Nigerianer tun noch nicht, was sie könnten.

Als Missionare ziehen sie Länder in Europa oder Brasilien vor…
Ja, absolut (lacht). Das gibt Prestige. Als meine Frau und ich in den armen Nachbarstaat Niger ausreisen wollten, fanden Freunde dies unsinnig. Andere waren auf dem Sprung nach Europa, den USA und Saudi-Arabien. „Du gehst in die Wüste? Was willst du dort ausrichten?“ Nun, in der Wüste war vielleicht nichts für mich zu holen – aber es gab da Menschen für den Herrn, und darum nahmen wir den Auftrag an.

Diese Menschen haben Anrecht auf das Evangelium ebenso wie wir in Nigeria. Das Wort aus Apostelgeschichte 4,12 gilt allen: „Es gibt keinen anderen Namen, der den Menschen gegeben ist, in dem sie gerettet werden können, als den Namen Jesus“.

Der Nigerianer Joshua Bogunjoko arbeitete während eines Jahrzehnts als Arzt im Nachbarland Niger. Seit 2006 ist er Mitglied der Gesamtleitung von SIM International (1500 Missionare in 46 Ländern) und zuständig für Europa und Westafrika.

Links zum Thema:
SIM (Serving in Missions): Arbeitsfelder in Afrika und Europa
Webseite von SIM Schweiz
BBC-Dossier zu Nigeria

Datum: 23.10.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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