Wolfgang Huber

Glauben und Denken gehören zusammen

Deutschland begeht den Reformationstag am 31. Oktober, im Gedenken an den Thesenanschlag Luthers 1517, der den Stein der Reformation ins Rollen brachte. Zu diesem Anlass hat der EKD-Ratsvorsitzende und Berliner Bischof Wolfgang Huber skizziert, wie Denken und Glauben, Gewissheit und Selbstkritik aufeinander bezogen sind – sein sollten. Den Beitrag veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung online.
Wolfgang Huber
Pfarrkirche "Maria am Wege", Windach/D.

Laut Huber gehört die Verbindung von Glauben und Vernunft „zu den bestimmenden Merkmalen des Protestantismus“. Zwar habe sich Martin Luther „gegen einen Herrschaftsanspruch der Philosophie über die biblische Botschaft“ gewehrt. Doch auch der Reformator wollte die Vernunft für die Erkenntnis der biblischen Wahrheit nutzen. Von daher gehöre die „Verbindung von Glauben und Bildung“ zum Wesen des Protestantismus.

Religion: nicht auf private Sinnsuche zu reduzieren

Das Zueinander von Glaube und Vernunft sei immer wieder gefährdet gewesen, schreibt der EKD-Ratsvorsitzende. „Immer wieder machen sich Tendenzen zur Ästhetisierung wie zur Politisierung der Religion breit. Im einen Fall wird die Religion zu einer privaten Sinnsuche in der Welt des Schönen und Erhabenen, im anderen wird sie zum Medium des Bürgerkriegs. Die eine Gestalt des Religiösen spinnt sich in einer hochindividualisierten Welt ein; die andere sucht die Masse und meidet jegliche Differenzierung.“ Beide Tendenzen wollten mit der vernünftigen Seite des Glaubens nichts zu tun haben.

Der Grund der Würde des Menschen ist in Gott

Zum deutschen Reformationstag formuliert Huber: „In seiner evangelischen Gestalt konzentriert sich der christliche Glaube darauf, dass Jesus Christus die Wahrheit des Evangeliums in Person ist. Diese Wahrheit befreit den Menschen aus der Selbsttäuschung, er verdanke sein Leben sich selbst und könne ihm aus eigener Kraft einen bleibenden Sinn verleihen. Sie verankert die Würde des Menschen in der Wirklichkeit Gottes und somit in einer Macht, die grösser ist als er selbst; nur deshalb kann diese Würde als unantastbar gelten.“ Daher verstehe sich die evangelische Kirche als eine Kirche der Freiheit. Wer zu dieser Freiheit berufen sei, müsse über seinen Glauben Auskunft geben können, fährt Huber fort. Und diese Pflicht könne der evangelische Christ nicht delegieren.

Christsein heisst, sich von Gott bestimmen lassen

Der Glaube sei nicht als irrational zu sehen, weil er als eine Einstellung zur Wirklichkeit verstanden werde, die allem Wissen vorausliegt, schreibt Huber. „Der Glaube ist in der Tat nicht nur eine im Wissen beheimatete Gewissheit, sondern er ist eine umfassende Daseinsgewissheit. Zu ihr gehört das Vertrauen in die Gegenwartsmächtigkeit Gottes ebenso hinzu wie die innere Zustimmung dazu, sich im eigenen Leben von der Gegenwart Gottes bestimmen zu lassen.“ Der Relativismus habe „das Lebensgefühl in Europa in der zurückliegenden Generation auf beunruhigende Weise geprägt“. Dagegen könne als Gegenkraft „Glaube auf der Suche nach Einsicht“ in Anspruch genommen werden.

„Zögerliche kirchliche Lernprozesse“

Im Weiteren thematisiert der EKD-Ratsvorsitzende auch die Versuchung der Gewalt, die dem Christentum in seiner Geschichte nicht fremd gewesen sei. „Wie lange hat es gedauert, bis die Christenheit ihr Verhältnis zum säkularen Staat bestimmt, die Menschenrechte bejaht oder mit der Demokratie als Lebensform Frieden geschlossen hat? Dabei waren das alles Entwicklungen, die dem christlichen Glauben selbst den entscheidenden Impuls verdankten – und doch waren die damit verbundenen kirchlichen Lernprozesse allzu zögerlich. Wie zäh haben sich Formen der Gewalt im Christentum festgesetzt! Wie tief hatte sich der Antijudaismus in unsere Glaubensvorstellungen gefressen! Das Verhältnis von Vernunft und Glaube schliesst dunkle Kapitel ein.“

Ehrlicher Dialog mit dem Islam

Diese Kapitel der Kirchengeschichte seien im Dialog mit dem Islam nicht zu verschweigen. „Wenn der Islam, der über weite Strecken eine Religion der Herrschaft ist, dem Frieden dienen soll, den sein Name enthält, dann muss das Christentum, das eine Religion der Liebe ist, auch von den Verschattungen dieser Liebe in seiner eigenen Geschichte sprechen. Nur so kann für die heilsame Verbindung von Vernunft und Glaube geworben werden.“

Der Text von Wolfgang Huber im Internet „Glaube und Vernunft“

Quelle: Livenet / FAZ online

Datum: 03.11.2006
Autor: Peter Schmid

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