Jugendkult

Plötzlich hat die Oma auch ein Handy und ein Tattoo...

Der grau melierte Mann fliegt mit dem Surfbrett über die Wellen. Die reife Mama im knappen Bikini flirtet mit der Sonne. Stolz präsentiert die Oma ihr Tattoo und ihr neues Handy. "Ach, könnte ich doch ewig jung bleiben!"
Oma

Jugendkult heute. Direkt daneben eine Clique von Jugendlichen, Radio voll aufgedreht. Du spürst den Insider-Club handfest. Auch das wird mit Jugendkult in Verbindung gebracht. Die Gesellschaft zerbricht sich zunehmend den Kopf über die Entwicklungen im Bereich der Kinder und Jugendlichen. Die Häufigkeit der Berichte in den Tageszeitungen gibt klare Signale. Gleichzeitig ist unter den Jugendlichen eine starke Dynamik spür- und sichtbar.

 

Stark und schön

"Jugendkult" - was steckt dahinter? Kult hat mit Verehren, Anbeten zu tun. Dass jugendliche Schönheit und Kraft verehrt wird, ist aber noch nichts Ungewöhnliches.
Es ist verständlich, dass im Supermarkt die Poster mit jungen starken Männern mit Waschbrettbauch oder hübschen Frauen mit hautengen Kleidern dominieren. Wo sich junges Leben entfaltet, schaut man hin. Wo Kraft und Schönheit ihren Höhepunkt finden, ist Bewunderung. Das war bereits so, als Griechen vor einigen tausend Jahren Vasen verzierten. Mit kräftigen jungen Kriegern und hübschen Frauen. Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn die Kosmetikindustrie in Kombination mit der Schönheitschirurgie alles daran setzt, um den Menschen zu helfen, möglichst lange jung zu wirken. Klar: Noch nie vorher in der Geschichte war es möglich, dass derart breite Bevölkerungsschichten die Finanzen hatten, um an ihrem jugendlichen Image herumzupolieren. Trotzdem ist es nichts Neues. Die Schönheit der Jugend ist Richtwert und wird verehrt.

Unbegrenzte Vielfalt

Relativ neu ist hingegen die Vielfalt an ausgeprägten Jugendkulturen. Mittlerweilen wird man müde, wenn man den Überblick über die verschiedenen Gruppen erhalten will. Die einen sind politisch geprägt. Andere orientieren sich an Stadtteilen. Die dritten frönen einer speziellen Sportart, treffen sich im Wald beim Bier. Sie hängen gemeinsam vor dem PC und sind am "Gamen"... Eine Entwicklung, die mit der Industrialisierung im 18./19. Jahrhundert einsetzte, als grosse Teile der Jugend aus den herkömmlichen Bereichen wie Familie und Kirche herausgelöst wurden. Dank der vorhandenen Finanzen konnte sie immer wieder neue Blüten treiben. Einerseits eine motivierende Angelegenheit. Denn Jugendkulturen zeigen auch eindrücklich die Kreativität, den Glauben an die Zukunft, die Lebensfreude, die Gott in die Jugend hineinlegte. Andererseits sind da Signale, die es verunmöglichen, Jugendkulturen einfach so zu feiern. Ja, die Jugendlichen werden zum Teil alles andere als verehrt - sie werden vielmehr in die Enge getrieben.

Immer extremer

Mittlerweilen hat die Wirtschaft längst erkannt, welches Potenzial in der Jugend liegt und umwirbt sie massiv. Die Werbemaschinerie bringt die neuesten jugendlichen Trends aber nicht nur zur Jugend. Plötzlich hat die Oma auch ein Tatoo, um aufzufallen. Entsprechend führt der Wunsch nach Akzeptanz die Jugendlichen in immer extremere Formen - bis hin zum Ganzkörpertatoo, zum Piercing in der Zunge, zu Selbstzerstümmelungen, um sich von den "Gruftis" doch noch abheben zu können.

Immer einsamer

Gleichzeitig werden die immer extremeren Jugendlichen immer einsamer. Unsere gewinnorientierte Gesellschaft erhöht den Druck auf die Arbeitenden je länger desto mehr. Dieser Leistungsdruck ist nicht besonders förderlich: weder für die Stimmung zu Hause noch für die Kreativität, mit der Kinder erzogen werden, noch für die Nerven, mit denen man den herausfordernden Teenies begegnet. Je gestresster die Eltern - umso distanzierter und einsamer die Kinder.

Ersatzeltern gefragt

Und wenn die Karriere plötzlich einen Umzug einfordert, der die Familie aus dem sozialen Gefüge herausreisst, die Ehe über dem Stresslevel zerbricht, so bleiben dem Jugendlichen nur noch Restposten der elterlichen Liebe. Ersatzeltern namens Fernseher mit mässig hohem Niveau verschärfen die Sache. Auf der anderen Seite sind oft tiefe Verletzungen, bittere Enttäuschungen, Tränen, die ungesehen während Jahren vergossen wurden. Ist es da verwunderlich, wenn sich die Jugendlichen in Jugendkulturen und Cliquen hineinflüchten, wenn sie sich das soziale Netz mit ihren Kollegen aufbauen, sich dort eine Art Ersatzfamilie aufbauen, in der sie Verständnis, Anerkennung, Geborgenheit, Abenteuer finden?

Fehlende Perspektive

Und Tomaten haben sie auch nicht auf den Augen, die Jugendlichen von heute. Sie nehmen wach wahr, dass die Erwachsenen, die ihr Leben investieren, um reich zu werden, nicht wirklich glücklich sind. Es fällt auf, wenn sich kaum mehr jemand getraut, Kinder in diese Welt zu setzen. Und wenn ein Senior noch lächelnd beifügt: "Ach, bin ich froh, nicht mehr jung zu sein, die Zukunft dieser schlimmen Welt gestalten zu müssen!", so erhöht dies nicht unbedingt das Vertrauen in die Generation der Väter. Normale Reaktion ist Abgrenzung, Suche nach neuen Wegen, Ausprobieren, was es sonst noch gibt. Besonders drückend wird es, wenn die Perspektivenlosigkeit bis in die christlichen Gemeinden durchdringt.

Neue Initiative

Wenn Jugendliche realisieren, was Jesus mit dieser Welt vorhat und sie daneben resignierte Tanten, schlafende fromme Nachbarn und entmutigte Eltern sehen und merken, dass die Hoffnung auf Veränderung trotz Jesus an einem kleinen Ort gelandet ist, so muss eine neue Initiative gestartet werden. Bereits bei den Israeliten wurde die junge Generation separiert, weil die Alten nicht mehr an die Zukunft glaubten und nicht bereit waren, neues Land einzunehmen. (5. Mose 1,35)

 

Grosse Zerissenheit

Diese Zerrissenheit, in der vordergründig verehrt und hintergründig trennend der Boden unter den Füssen weggezogen wird, ist weder "kulty" noch "trendy", sondern traurig und daneben. Die einfache Lösung für das vorhandene Desaster wäre: "Klag die Jugendlichen an! Drück sie an die Wand! Fordere ein, dass sie ihre Jugendkulturen aufgeben!" Doch wird man stets verlieren. Jugendliche werden immer in die Zukunft investieren, Hindernisse umschiffen, die ihren Weg nach vorne behindern - auch wenn dies die eigenen Eltern sind.

Eine neue Kultur

Die herausfordernde Lösung geht ans Leben:
- Es bedeutet Verzicht, wenn ältere Generationen die Jugend wohl bewundern, ohne alles daran setzen zu müssen, selber auch noch jugendlich zu wirken.
- Es beinhaltet ein hohes Risiko, sich als Erwachsener zu entscheiden, sich nicht länger von wirtschaftlichen Interessen leiten zu lassen und stattdessen Zeit in Kinder und Jugendliche zu investieren.
- Es braucht viel Kraft, um sich für Nöte der Teenies und Jugendlichen zu öffnen und damit den Boden zu legen für eine neue Kultur des Vertrauens und der Nähe zwischen den Generationen.

Was wir brauchen

Es war letzte Woche, als wir einen Jugend-Gottesdienst feierten. Erst spät entschieden wir uns, Jugendliche aufzurufen, nach vorne zu kommen. Vier Seelsorger waren angefragt. Doch dann waren da plötzlich 20 Jugendliche, die Rat suchten. Gut, dass im Raum hinter der Bühne Väter und Mütter am Beten waren und wir sie rufen konnten. Was hätten wir gemacht ohne ihre Unterstützung?
Wir brauchen keinen Jugendkult. Wir brauchen eine Reich-Gottes-Bewegung, in der Jung und Alt zusammenspannen, damit der Segen Gottes ungehindert fliessen kann.

Autorin: Christian Stricker, bald 37, zusammen mit dem jüngsten Sohn Joel. Irgendwie fällt es ihm nicht mehr leicht, sich noch zu den "Junggebliebenen" zu zählen. Verheiratet, drei Kinder, an verschiedensten Stellen in Amriswil als Pastor mit Teenies und Jugendlichen am Werk. Erlebte gerade wieder einmal eine Tannenzapfenschlacht mit Teenies. Erhielt ein kräftiges Kompliment von ihnen: "Er isch halt au no chli en Bueb!"

Datum: 23.07.2004
Quelle: Chrischona Magazin

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