Paul Bernhard Rothen

Was Pfarrer gestalten können

Welche Leitung braucht die Kirchgemeinde? Was leistet das Pfarramt? Der streitbare reformierte Theologe Paul Bernhard Rothen betont neben den pastoralen Aspekten die Bedeutung des evangelischen Pfarramts für die Gesellschaft und Kultur Europas. Rothens Gedanken interessieren, gerade weil sie quer in der Landschaft stehen.
Streiter für ein gesellschaftlich relevantes Pfarramt: Paul Bernhard Rothen.
Das Münster im Herzen der Basler Altstadt.
«Ein gefährdeter Pfeiler der europäischen Kultur»: Seine Erfahrungen im Pfarramt hat Bernhard Rothen in einem 400-seitigen Buch reflektiert.
Verkündiger und Seelsorger in der Stadt: Bernhard Rothen auf der Terrasse des Pfarrhauses am Rheinknie.
Der Basler Reformator Johannes Oekolampad; Statue vor dem Münster.

Das Pfarramt ist ein einzigartiges Amt. Es ist, wie Bernhard Rothen im Gespräch darlegt, geschichtlich gewachsen aus den wechselnden Interpretationen der neutestamentlichen Bibelstellen zum Binden und Lösen (Matthäus 16 und 18, Johannes 20). Mit dem Amt ist Macht verbunden. Rothen bejaht diese Macht. Sie sei aber geistlich unfruchtbar. Deswegen müsse sie richtig verstanden, begrenzt und für das Wort in Dienst genommen werden.

Rothen hat 18 Jahre als Basler Münsterpfarrer gewirkt. Infolge eines Konflikts mit der Leitung der Münstergemeinde muss er die Stadt verlassen; die Gemeinde Hundwil (AR) hat ihn als Verkündiger gewählt.

Im Gespräch stellt er das Pfarramt in den Zusammenhang der gesellschaftlichen Entwicklung: Wo die alten Bindungen und Ordnungen verloren gegangen sind und Menschen doch Halt und religiöse Orientierung suchen, hat der Pfarrer als Verkündiger und Seelsorger eine wichtige - nicht unbedingt eine zentrale! - Stellung.

Pfarramt als Pfeiler der Kultur

Im Frühjahr ist Rothens Buch «Das Pfarramt. Ein gefährdeter Pfeiler der europäischen Kultur» erschienen. Der engagierte Gemeindepfarrer hat es Jahre mit sich getragen; es verbindet kulturgeschichtliche, sozialpsychologische und theologische Erwägungen. Rothen hat im Pfarrhaus hoch über dem Rheinknie vor elf Jahren auch eine Gemeinschaft von Theologiestudierenden aufgebaut, die er begleitet.

Das Pfarramt - ein Pfeiler? «Ein Pfeiler stabilisiert. Im Hintergrund steht das Wort aus dem Timotheusbrief, dass die Kirche ein Pfeiler der Wahrheit ist. In der Kirche Jesu Christi ist wiederum das Pfarramt ein Pfeiler.» Pfeiler geben dem Ganzen Stabilität und ermöglichen Bewegung; «Kinder können darum herum rennen.» Wenn sich dagegen alles zu bewegen beginnt, «droht totalitäre Manipulation, etwa in einer Massenkultur. Wenn Klarheiten und Orientierungsmarken wegfallen, wird der Mensch zum Opfer von Mächtigen, die totale Ansprüche erheben.»

Konkurrenz um die Kanzel

Pfarrer und Pfarrerinnen haben den Auftrag, das Wort Gottes zu verkündigen und die Sakramente zu verwalten. «Damit ist ihnen ein wichtiger Platz auf dem Feld des geistlichen und religiösen Gestaltens anvertraut. Indem sie das Evangelium zur Sprache bringen, verhindern sie, dass irgendetwas anderes Raum gewinnt.» Rothen erwähnt das Aufkommen freier Bestattungsredner am Rheinknie. «Wenn nicht der Pfarrer das Evangelium, verkündigt ein anderer eine andere Botschaft.»

In Basel, sagt der aus dem Bernbiet stammende Rothen, waren die Pfarrer in vergangenen Jahrhunderten stärker obrigkeitlich eingebunden als in anderen Orten; «in Bern und Zürich waren sie freier, Strafpredigten zu halten, und konnten Unmut in der Bevölkerung über die Obrigkeit aufnehmen und so versöhnend wirken». Die mittelalterliche Kirche sei im Vergleich dazu noch freier gewesen; die konfessionelle Bindung nach der Reformation habe zu geschlosseneren Gemeinwesen geführt. «Im 17. und  18. Jahrhundert hatten die Pfarrer die Obrigkeit zu vertreten. Wenn sie trotzdem prophetische Mahnworte und Strafpredigten hielten, hatte das eine reinigende Wirkung, auch wenn das Unrecht weitgehend bestehen blieb. Die Wahrheit war wenigstens offen ausgesprochen.»

Die Heilstaten verkündigen

Für Rothen steht die Verkündigung der Heilstaten Gottes im Zentrum des Pfarramts. Gott ist Liebe. Das wird daran fassbar, dass er etwas getan, dass er sich in Jesus Christus offenbart hat. Pfarrer sind beauftragt, diesen Kern des christlichen Dogmas in die Lebenslagen der Menschen hinein zu vermitteln. «Das Dogma kommt auf verschiedenste Weise zu den Menschen; Pfarrer leisten nicht den einzigen, aber einen wichtigen Beitrag dazu.» Allerdings hätten manche Geistliche kaum mehr etwas zu sagen, weil sie seit der Aufklärung das Bibelwort auf eine Moral oder ein religiöses Gefühl reduzierten.

Das verkündigte Gotteswort ist den Menschen in die Herzen geschrieben (2. Korinther 3). «Ist der Pfarrer in der Gemeinde unterwegs, nimmt er wahr - und das ist ein Privileg -, was sie davon schon mit sich tragen.» Rothen besuchte kürzlich einen schwer geprüften Mann. «Er sagte mir, wenn er Gott wäre, würde er sich über die wunderbare Schöpfung Erde freuen - nicht aber über die Menschen. Ich sagte ihm, das stehe in der Bibel (1. Mose 6). Er war völlig erstaunt.»

Nicht jedem das Seine

Noch grössere Probleme bereitet den Pfarrern laut Rothen das  Anspruchsdenken, das von der Gesellschaft in die Kirche überschwappt: «Der eine will Loblieder, der zweite einen ernsthaften Predigtgottesdienst, der dritte soziales Engagement.» Jedem das Seine zu bieten, widerspreche dem Gott der Bibel, «der die Menschen liebt, sie aber auch erlösen will aus ihrem Anspruchsdenken, sie befreien will zum Leben mit ihm und ihren Mitmenschen».

Arbeitsteilung in der Gemeindeleitung

In den laufenden Debatten um Gemeindeleitung nimmt Bernhard Rothen grosse Verwirrung wahr. Er selbst hat kantig Position bezogen. Dass die Berner Kirche den Kirchgemeinderäten ein Weisungsrecht dem Pfarrer gegenüber gegeben hat, findet er falsch. «Da geraten Dinge durcheinander. Zu einem freiheitlichen Gemeinwesen gehört, dass man unterschiedliche Kompetenzen auseinandernimmt und für gegenseitigen Respekt sorgt.» Die Kirchenvorsteherschaft habe das lokale Erbe der Gemeinde zu verwalten, die Finanzmittel, die Infrastruktur, aber auch die Sitten und Gewohnheiten im Hinblick auf den Gottesdienst und den Unterricht zu beaufsichtigen.

«Der Pfarrer soll nicht sagen, welcher Küchenbauer fürs Gemeindehaus berücksichtigt werden soll. Wenn es aber um die Eignung von freiwilligen Mitarbeitern für die Sonntagschule geht, soll er seinen Entscheid nicht begründen müssen. Er weiss manches, das durch das Seelsorgegeheimnis geschützt ist. Wenn es aber darum geht, Zeit und Umfang des Unterrichts festzulegen, ist eine gemeinsame Verantwortung gefragt.»

Innerer Kampf

Rothen weiss um die Kämpfe im Herzen der Pfarrer, wenn sie darum ringen, dass das Evangelium seine Frucht trage. «Zuerst und zuletzt sind da nicht Konzepte, Strategien und Teamsitzungen gefragt, sondern das Gebet.» Er habe als junger Pfarrer erst lernen müssen, für die Gemeindeglieder zu beten - das hatte ihm im Studium niemand gesagt. «Das Gebet entscheidet wesentlich darüber, was aus dem Pfarramt wird. Wir nehmen kaum mehr wahr, dass es eine gewaltige Macht ist, die uns und unsere Umgebung verändert.»

Dem Bibelwort vertrauen

Rothen plädiert für das Vertrauen des Verkündigers ins Bibelwort. «Stützen wir uns auf soziologische Analysen oder suchen wir unser Recht in Erfolgserlebnissen? Unsere Zeit ist nicht darauf eingestellt, das Kreuz auf sich zu nehmen und Jesus nachzufolgen. Vielleicht ist es schon viel, wenn ich als Pfarrer 30 oder 60 Menschen helfe, den Weg der Nachfolge zu gehen.» Zwischen zahlreichen Amtspflichten hin- und hergerissen, tun Pfarrerinnen und Pfarrer gut daran, Orte und Zeiten zu suchen, um das Wort Gottes weiterzugeben. «Das ist im heutigen Betrieb nicht einfach.»

Frei von Menschenfurcht

Im 21. Jahrhundert kommt es im Pfarramt laut Rothen auf ein Doppeltes an: «die Freiheit der Verkündigung und die Bindung der Verkündigung an das Wort, das in der Bibel gegeben ist, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die Hinwendung zu den Menschen, unter denen dieses Wort sehr vielfältig und mit unerhört aktuellen Bezügen schon am Werk ist. Wir brauchen Freiheit von Menschenfurcht: dass wir uns nicht modernem Anspruchsdenken und Managementdenken beugen. Das Wort soll die Mächte der Welt in Dienst nehmen, nicht die Mächte das Wort.»

Datum: 31.12.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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