Le Phare

Gemeinde – einmal ganz anders

"Le Phare" in Fleurier – ein zukunftsweisendes Modell aus dem Welschland
Der Leuchtturm ist Ausdruck eines neuen, ganzheitlichen Gemeindemodells
belong - behave - believe / dazu gehören - mitmachen - glauben// www.lephare.ch
Fleurie Phare

Strategischer könnte ein Haus kaum gelegen sein: mitten im Herzen eines Hauptortes des malerischen Val de Travers, direkt neben dem Coop: dieses Haus kennt jeder. Der Place du Marché ist ein Vekehrs- und Handelsknotenpunkt, und das neu renovierte Haus ist prächtig von allen Seiten zugänglich. Der Standort ist Symbol: "Le Phare" (Der Leuchtturm) ist Ausdruck eines neuen, ganzheitlichen Gemeinde-Modells – 7 Tage in der Woche offen.

Eigentlich ist "Gemeinde" keine richtige Bezeichnung; zutreffender wäre "Reich Gottes zum Berühren". Statt "eglise" steht "Cyber Café" auf dem grossen Schild vor der Tür – und klein daneben: "centre evangelique". Damit ist das Programm angegeben: nicht die Kirche wird rausgehängt, sondern der Treffpunkt. Le Phare ist ein soziales Zentrum, 7 Tage in der Woche offen, in dem Christen den ganzen Tag lang unaufdringlich präsent sind, um den Menschen ihrer Stadt zu dienen. Vor allem Dutzende von Teenies betrachten das Zentrum mittlerweile als ihr zweites Daheim.

"Unser Ziel ist es, zu versuchen, die Gebote Christi angepasst and die lokale Kultur auszuleben" steht in einer unscheinbaren Broschüre. Als ich Ronald Morand, den Leiter, bei unserem ersten Telefongespräch frage, ob er der Pastor sei, wehrt er sofort ab: diese Bezeichnung passt ihm nicht. Sie riecht zu sehr nach Gemeinde und religiösen Strukturen, die für die meisten Leute unzugänglich sind. "Das Evangelium ist ein viel zu wertvoller Schatz, um ihn hinter Kirchenmauern einzusperren", ist er überzeugt.

Alles unter einem Dach

Das "centre evangelique" ist ein multifunktionaler Treffpunkt. Wenn man reinkommt, ist man zunächst in einem gemütlichen, hellen Café - das Herz des ganzen Zentrums. Am Sonntag und an einem Wochentags-Abend wird es zum Gottesdienstraum aus- und umgebaut. Alles ist einladend, farbig, hell, sogar ein kleiner Kinderspielplatz ist integriert.

Angegliedert ist ein einfacher Copy-Service und eine Art Bücherladen mit christlichen Büchern

Ins Café integriert ist eine Boutique mit Kunst- und Gebrauchsgegenständen aus der 3.Welt. Hier gibt’s Teppiche aus Armenien, Patchwork aus Thailand, Schmuck aus Indonesien oder Gewürze aus Madagaskar – alles zu gerechten Preisen eingekauft. Hier findet man Stücke, die nicht alltäglich sind, die einheimischen Produzenten bekommen einen fairen Preis, der ihre Menschenwürde respektiert, und vom Erlös werden ersts noch soziale Projekte von "Le Phare" unterstützt.

Ein einfacher Mahlzeiten-Service ist ebenfalls im Aufbau: die Küche ist schon da, sie muss nur noch fertig eingerichtet werden. Im "Le Phare" gibt’s für ein paar Franken ein einfaches Mittagessen, was speziell Schüler gern in Anspruch nehmen.

Eine "Stunden-Kinderkrippe", in der man Kinder stundenweise gegen eine geringe Gebühr abgeben kann, wird ebenfalls von den Müttern der Umgebung geschätzt.

Oben gibt’s Büros, mehrere PCs – das eigentliche Internet-Café- und gemütliche Sitzecken. Eine öffentliche Videothek – mit nicht nur frommen Filmen - , Kassetten- und CD-Ausleihe rundet das Programm ab.

Werte: Teilen, Gnade, Vergebung, Annahme

Die Geschichte von "Le Phare" ist untrennbar mit ihrem Gründe und Leiter Ronald Morand verknüpft. Mit 19 begann er sein eigenes Geschäft, mit 30 war er einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner der Region, Vorsitzender der örtlichen Handelskammer, engagiert in der Leitung einer örtlichen Gemeinde und allseits beliebt. Innerlich begann er sich aber zu fragen, ob das "alles" sei, was man als Christ in unserer Gesellschaft tun kann. Immer mehr wurde ihm deutlich, dass sich Christen in ihrem Lebensstil von der Umwelt wenig unterscheiden und darum auch wenig Einfluss auf die Gesellschaft nehmen können. Eine Zeit des Ringens mit Gott begann, und immer deutlicher wurde die Herausforderung von Mt.6.33, zuerst nach dem Reich Gottes zu trachten und alles andere von Gott zu erwarten.

Statt des Erfolges kam die Krise. Das Geschäft ging bergab; Spannungen in der Gemeinde und in der Ehe folgten. Mit 35 hatte er nichts mehr: kein Geschäft, keine Gemeinde, kein Haus und keine Familie. Er lebte in einer Wohnung, träumte aber mit einem Hauskreis zusammen den Traum vom Reich Gottes mitten in der Gesellschaft - neue Werte und neues Leben zum Anfassen.

Vor Jahren hatte er sein Geschäft in einem zentralen Gebäude am Place du Marché in Fleurier gehabt. Nachdem er das Haus räumen musste, stand es 6 Jahre lang leer, obwohl sich Dutzende darum bemühten. Die Vision hielt sich hartnäckig in Ronald Morand, dass hier eines Tages ein evangelikales Zentrum entstehen würde. Er wartete und liess sich nicht durch Angebote, doch das halbe Haus zu nehmen, beirren. Und tatsächlich: eines Tages vor etwa 2 Jahren bekam er einen Anruf vom COOP, der Besitzerin der Liegenschaft, mit dem Angebot, das ganze Haus zu mieten.

Ronald Morand: "Heute habe ich alles wiederbekommen: ein Geschäft – für und mit Gott- , eine neue Gemeinde, die meiner Vision völlig entspricht, und eine neue Familie: ein paar Dutzend Kids nennen mich 'papa', ich bin so etwas wie ein zweiter Vater für sie ".

Langsam füllt sich das Café. Man merkt, wie sehr Ronald Morand mit dem Herzen bei seinen Leuten ist – jeder, der hineinkommt, lenkt ihn ab. Stolz zeigt er mir ein Geburtstagsbuch, das seine Kids für ihn gemacht haben – voll mit Glückwünschen und Liebeserklärungen. Das sind Kids, die von ihren Eltern nicht viel haben, nach denen Tag und Nacht niemand fragt. Sie haben im "Le Phare" eine neue Heimat, Familie und Geborgenheit gefunden. Hier kann man rumhängen und einfach "sein". Hier wird nicht frontal drauflos evangelisiert, aber Gottes Liebe und ein Stück Schönheit des Reiches Gottes ist fast mit Händen zu greifen.

Die Zeitung

"Le Phare Info": das Centre evangelique gibt eine Zweimonatszeitung heraus, die gratis abonniert werden kann und von vielen Menschen des Tales gelesen wird. Hier gibt’s ganz fromm – biblisch – zentrale Erklärungen, Betrachtungen und Zeugnisse neben ganz weltlichen Themen: einem Portrait des Fleischerladens gegenüber oder des Autorenn-Teams aus dem Kanton ("wichtige Leute, die jeder kennt", so Ronald Morand). Aber auch Halloween und Pokemon werden angesprochen: offensiv und ohne Scheu, aber auch ohne frommen Zeigefinger. Meine Vermutung bestätigt sich: wer ganz in der Welt lebt, kann ganz klar vom Evangelium reden. Ueberhaupt: aus der Grundhaltung der Gnade heraus – "grace" ist eins der häufigsten Begriffe, die Ronald in unserem Gespräch braucht – geht man manches Risiko ein. Ein Beispiel: im hauseigenen Internet-Café finden ein paar Mädchen Seiten mit Anweisungen für okkulte Praktiken. Sie probieren die Anleitung zu Hause aus und erleben starke dämonische Manifestationen – so starke, dass sie damit zu den Christen zurückkommen und um Hilfe bitten. Heute sind zwei Mädchen überzeugte Nachfolgerinnen Christi.

Lehre und Bibelschule

Ronald Morand ist dauernd dabei, neue Projekte zu verwirklichen. So bietet er seit dem letzen Jahr eine KV-Lehre an, die gleichzeitig eine dreijährige Jüngerschaftschule ist. Eine bestechende Idee: Büro und Bibel, weltliche und geistliche Ausbildung zur gleichen Zeit. Ein junger Mann ist bereits im Programm, in diesem Jahr gibt es weitere "Jünger-Lehrlinge". In einem Jüngerschaftsprogramm werden einige Dutzend junge Leute systematisch in ein Leben des Glaubes eingeführt.

Die "Gemeinde dahinter"

Aus der anfänglichen Hauszelle, die das Projekt trug, ist eine Gemeinschaft mit heute 170 Erwachsenen und Kindern geworden. Neben dem Gottesdienst trifft man sich in mehreren Hauszellen, die in der ganzen Gegend verstreut sind. Einmal im Monat gibt es Gottesdienst am Abend, Essen inklusive. Die Gemeinde mit Jugend und Sonntagschule versteht sich als eine Schule des Lebens, nicht nur des Wissens.

Vernetzt

Le Phare ist Modell, aber nicht isoliert. Ständig sind Künstler oder Referenten aus dem gesamten französischsprechenden Bereich zu Gast. Das Werk ist Mitglied in den wichtigsten evangelikalen Netzwerken des Kantons und des Welschlandes; daneben ist Ronald Morand Mitglied einer Dienstgruppe von Pastoren und Leitern aus der Gegend; "das ist sehr nötig für mich, denn unsere Arbeit ist keine Erfolgsstory, sondern hart. Es gibt Rückschläge und Angriffe. Darum ist es lebenswichtig für mich, mit anderen Leitern zusammen zu beten und einander zu ermutigen", betont er.

Die Idee eines ganzheitlichen "centre evangelique" breitet sich aus. Morand selbst leitet ein weiteres ähnliches Projekt in Le Landeron. Immer mehr kommen auch Besucher ins Le Phare, die sich inspirieren lassen und nach ähnlichen Prinzipien eigene Projekte verwirklichen wollen.

"Transformation"

Aufs Stichwort "Transformation" angesprochen, meint Ronald Morand: "Ich halte Transformation wirklich für möglich. Die Leute haben Durst nach den Werten des Evangeliums. Sie lehnen die Kirche und viele Traditionen ab, aber nach den Werten sehnen sie sich. Die Gemeinde von Christen muss die Gesellschaft infiltrieren, um die Werte des Evangeliums bekannt zu machen. Ich sehe schon, dass solche Werte in Betracht gezogen werden – im Bereich der Schulen, der Politik, der Medizin. Wir haben bereits Kontakte zu den Schulen, den Sozialämtern und dem Arbeitsamt. Zu Kontakten zum Gesundheitswesen wird es hoffentlich auch noch kommen. Im Kanton Neuenburg gibt es Versuche, Menschen zu helfen, die nicht vom sozialen Netz aufgefangen werden, und da sind wir dabei."

Zukunftsmusik

Viele ehrenamtliche und einige vollzeitliche Mitarbeiter – die meisten teilzeitlich, nur einer 100% angestellt – halten den Betrieb am Laufen. Ronald Morand mit seinem Team hat noch lange nicht alles verwirklicht, was er sieht. Die Kinderhüte soll ausgebaut werden, ebenso das Angebot an Mahlzeiten. Das ganze Dachgeschoss ist eine einzige Baustelle – neben einem Raum für Jugendgottesdienste gibt es mehrere Studier- und Schulungsräume, denn auch die Bibel-und Jüngerschaftsschule soll ausgebaut werden. Ronald Morand werden noch lange nicht die Ideen ausgehen, und das "Centre Evangelique" wird immer mehr zu etwas, was das Reich Gottes sein soll: einem Stück Sauerteig, der kräftig in die Gesellschaft hineingeknetet wird. Man darf gespannt sein.

Datum: 16.05.2003
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Focusuisse

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