Interview

Miteinander unterwegs – bis Christus sich zeigt

Was zieht Menschen heute zu Gott? Erwin R. McManus gehört zu den kreativen Querdenkern der westlichen Christenheit. Livenet hat den in Kalifornien lebenden Autor und Leiter der Mosaic-Bewegung bei einem Besuch in Zürich getroffen.
Am liebsten beantwortet Erwin McManus Fragen – spontan.
Nahe bei den Leuten: McManus in Zürich, September 2007.

Livenet: Was nehmen Sie in den Kirchen Europas wahr?
Erwin McManus:
Ich komme seit etwa fünf Jahren her und wandere ein bisschen herum. Zuvor hatten wir uns bei Mosaic viele Jahre vor allem mit Asien beschäftigt. Ich erlebe eine grosse Offenheit. Es scheint aber, dass europäische Christen das Evangelium von Jesus noch immer in die Gestalt des westlichen Christentums übersetzen und so an die Leute herantragen wollen.

Die Menschen sehnen sich nach etwas, das in ihren Seelen Anklang findet und widerhallt. Wenn Sie in Kathedralen eintreten, wird Ihnen auch bewusst, dass die Kirche Macht missbrauchte und sich ins Zentrum stellte. Es ist verständlich und auch emotional nachvollziehbar, dass Menschen davor flüchten, dass sie mit dieser Art von Kirche nichts mehr zu tun haben wollen. Andererseits erlebe ich nicht, dass Menschen von Gott weglaufen – sie laufen vielmehr zu ihm hin. Doch die Realität Gottes und die Wirklichkeit der Kirche sind nicht verbunden.

Ist das in Kalifornien anders?
Man beschrieb mir Los Angeles als eine dem Evangelium verschlossene Stadt. Doch ich habe tausende Menschen erlebt, die auf die Botschaft eingingen, um die Wirklichkeit von Jesus zu erleben. Los Angeles ist ja nicht der Durchschnitt der USA und steht dem evangelikalen, konservativen Milieu polar gegenüber. Los Angeles liebt eher Castro als George Bush (lacht). Los Angeles ähnelt Europa – mit asiatischen Flutwellen.

Natürlich ist so eine Stadt fürs Evangelium verschlossen – für das Evangelium, wie es Jerry Falwell, Pat Robertson und James Dobson predigen. Ich habe meiner Frau tausendmal gesagt: Hätte ich das Evangelium auf ihre Tour gehört, wäre ich wohl nie Christ geworden. Nicht weil ich nicht für Jesus offen war, sondern weil sich in mir etwas gesträubt hätte, ihre Welt als jene anzunehmen, die Jesus schaffen will. Sage ich dies, dann nicht, um hart zu urteilen – ich will einfach zum Ausdruck bringen, dass ihr Stil in meiner Seele kein Echo fand.

Wonach haben Sie sich gesehnt?
Ich suchte etwas, das mich tiefer in Verbindung bringen würde mit den Menschen und den Nöten in der Welt. Bevor ich Christ war, wollte ich dem Leiden auf der Welt ein Ende machen. Mich erstaunt, dass Christen denken, ohne Gott könnten Menschen keine edlen Wünsche haben. Ich träumte von Auswegen aus dem Hungerelend, vom Sieg über Krankheiten. In mir brannte das Verlangen, aus der Welt einen besseren Ort zu machen.

Und jenes Verlangen – davon bin ich überzeugt – brannte in mir, weil Gott mich geschaffen hatte. Ich kannte Gott noch nicht, aber das Verlangen verband mich irgendwie mit ihm. Als ich dann zu Jesus kam, gingen mir die Augen auf und ich merkte: Oh, auf diese Weise kann ich die Welt verändern!

Was heisst das für uns? Immer wieder zu Jesus zurückkommen, sein Leben betrachten, hinsehen, wie er mit Menschen umging…?
Ich vermute, es ist mehr als das, es geht tiefer und ist schwieriger. Heute Morgen kam mir beim Duschen ein ketzerischer Gedanke: Evangelische Christen haben sich darauf konzentriert, die Bibel zu studieren. Und wir wollen mit derselben Klarheit Christen sein wie unsere Vorväter im ersten Jahrhundert. Zwischen ihnen und uns gibt es aber einen Graben. Haben wir vielleicht das Studium der Bibel derart betont, weil uns Christus, der lebendige Herr, weit weg gerückt ist? In seiner Person, durch seinen Geist, prägte und verwandelte er damals die Menschen.

Ich liebe die Schrift – doch am Schluss geht es darum, dass ich in inniger Gemeinschaft mit Jesus lebe. Wenn ich das tue, werde ich der Mensch, den Gott im Sinn hat. Ich glaube, dasselbe gilt für meine Gemeinschaft, für Mosaic – und auch für Europa. Wenn Leute sehen, wie Gott Menschen verwandelt, werden sie zu Jesus hingezogen. Vermutlich wird dies auf neuen Wegen geschehen. Ob sie aus den Kirchen kommen? Ich befürchte, dass die etablierte Kirche der Feind Nummer 1 dieser neuen Bewegung von Jesus sein wird. So ist es jedenfalls in den USA gewesen.

Wie meinen Sie das?
So viele US-Christen erkennen ihre göttliche Berufung darin, konservative Republikaner zu sein. Sie sind keine Heuchler, sondern meinen das von ganzem Herzen. Sie sind gute Leute, besorgt um die Schwachen und Wehrlosen. Aber diese Christen neigen dazu, uns auszugrenzen, weil wir nicht genau ihre Sprache sprechen. Oder dieselbe Sache von einer anderen Seite angehen – was Angst auslöst. Neue Bewegungen treffen bei den etablierten Kirchen auf Vorbehalte. Obwohl Mosaic sich den alten Werten des Christentums verpflichtet fühlt, stossen wir auf Ablehnung und Angst. Lesen Sie die Blogs und einschlägigen Websites, wo wir als Gefahr für die Christenheit hingestellt werden...

Kritisieren und verurteilen ist einfach. Schwerer ist, ein fruchtbares Gespräch zu führen und das Gegenüber zu verstehen. Warum fällt es Christen schwer, Leute zu achten, mit denen wir ein gehaltvolles Gespräch haben können, auch wenn wir uns nicht einig werden?

Was muss man sich unter Mosaic vorstellen?
In Kalifornien gibt es vier Gemeinschaften (campus) in Los Angeles. Und eine in Berkeley, der humanistischen Hochburg. Dort wollen wir mit den Leuten im Gespräch sein. Mosaic ist eine Bewegung, die an verschiedenen Orten Gestalt gewinnt. Es gibt mehrere Mosaic-Gemeinschaften in Neuseeland und in anderen Ländern. Wir halten Kontakt und ermutigen einander. Eine atemberaubende Sache, wirklich.

Wir nennen uns nicht Mosaic-Kirche, sondern einfach Mosaic – ein Werk aus kleinen Stücken, die zusammengefügt werden durch die Hand des Meisters, Jesus, der etwas Wunderschönes schafft. In Mosaic treffen sich Menschen aus vierzig Ländern. Wir sind fast zu 50% asiatisch, und fortlaufend kommen bei uns Buddhisten, Hindus, Muslime und Atheisten zum Glauben an Jesus Christus. Sie sind regelmässig zwei bis vier Jahre mit uns unterwegs, bevor sie zum Glauben finden.

Wir gehen auf die pluralistische Gesellschaft ein und gestalten sinnvolle Gemeinschaft, in der wir lange genug unterwegs sein können, damit sich Jesus den Menschen offenbaren kann. Und so lernen sie ihn kennen. Wenn dies geschieht, sollten wir feiern – überall auf der Welt.

Also kommt es darauf an, dass Menschen lange mit Ihnen unterwegs sind.
Ja, mein eigentlicher Wunsch ist, dass Menschen den Gott, der sie geschaffen hat, kennen lernen und von der Liebe, die Jesus für sie hat, eingehüllt werden. So bin ich im Grund ein Oldtime-Evangelist! (lacht) – aber ich merke, dass die Formen und die Sprache der Kirche, die einst echt wirkten, heute nicht mehr so ehrlich wirken, in der Welt, in der wir leben.

Ich weine, wenn ich allein bin, über die Menschen, die Gott nicht kennen. Mein Herz bricht, wenn ich sehe, was in der Welt ohne Gott abgeht. Wie können Menschen in der Leere, der Finsternis und Einsamkeit leben?

Bei Mosaic versuchen wir, die Trennlinie zwischen der christlichen Welt und dem säkularen Leben auszuwischen und ins Gespräch zu kommen. In ein gehaltvolles Gespräch über geistliche Themen – und dann sehen wir, wohin es uns führt. Ich traue Gott und seiner Gegenwart unter uns so viel zu, dass wir uns mit anderen auf den Weg machen können. Leben ist wie ein Weg nach Emmaus. Ist Jesus bei uns und gehen wir lange genug miteinander, geschieht es, dass seine Worte in den Herzen brennen.

Lesen Sie den zweiten Teil des Gesprächs mit Erwin McManus: „Jesus im Leben der Menschen mehr zutrauen“

Datum: 01.01.2009
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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