Leo Bigger über die Erfolgsstory ICF

Klare Alternativen bieten, Entscheidung fordern und Spannungen aushalten

Die trendige Jugendkirche ICF wurde vor acht Jahren in Zürich lanciert. Heute gibt’s ICF bereits zehnmal in der Schweiz, sechsmal in Deutschland, je einmal bei Rotterdam, in London und in Norwegen. Vor dem jüngsten Medienwirbel interviewte Livenet den Zürcher Hauptpastor Leo Bigger zur Dynamik der Bewegung.
‘…dass Menschen in die Freiheit hineinkommen’: Leo Bigger beim Predigen
Als Netzwerk wachsen: der Zürcher ICF-Hauptpastor Leo Bigger
ICF-Chor
Event-Gottesdienste: die Bühne in der celebration hall in Zürich

Livenet: Leo Bigger, bist du der Chef einer neuen Kirche?
Leo Bigger: Wir sind im Prinzip wie ein Netzwerk. Jeder geht selber hinaus und gründet seine Kirche. Aber jeder wird gecoacht und von Mentoren betreut…

Von wem? Von dir?
Nun, ich coache sechs Kirchen. Und die coachen auch wieder sechs Kirchen, so dass jede ein Teil davon ist. So multipliziert sich das. Von den sechs sind zwei in Deutschland, vier in der Schweiz. Die neuen ICF in Skandinavien und Deutschland coacht im Moment mein Bruder.

So ist das ICF in wenigen Jahren eine Freikirche, eine eigentliche Denomination geworden?
Man kann es Denomination nennen. Wir tun das nicht. Wir bezeichnen uns als movement (Bewegung). Am Schluss kommt es vielleicht auf etwas Ähnliches heraus. Mit dem Unterschied, dass nicht von Zürich aus bestimmt wird, was die einzelnen Kirchen machen müssen.

Wir haben zwei Dinge gemeinsam: denselben Namen und das Ziel, Menschen für Jesus zu gewinnen. Wie die Kirche am Ort das macht, theologisch oder strukturell, ist jeder selbst überlassen.

Kopieren die deutschen ICF die Muttergemeinde in Zürich?
Manches wird kopiert, das merke ich. Gewisses entwickeln sie selber, machen sie anders. Wir machen in Zürich ein Intensiv-Weekend für Leute, die zum Glauben kommen. Es findet nach vier Wochen statt. Sie werden getauft.

Von einer ICF-Kirche in Deutschland weiss ich, dass sie es anders nennen und das Programm ganz anders gestalten. Sie haben in der Schulung andere Themen und Abläufe. Sie müssen ja herausfinden, was für ihre Kultur das Beste ist.

Ich sage immer, was für Zürich funktioniert, was sich hier bewährt, kann man vielleicht mitnehmen – Gedankenanstösse. Anderes muss man vielleicht komplett ändern. Das weiss ich nicht.

Wie die Leute in Skandinavien funktionieren, weiss ich nicht. Ich sage immer, sie müssen das selbst herausfinden. So wie ich herausfinden muss, wie ein Zürcher funktioniert. Schon Zürich und Bern sind komplett verschieden.

Ihr malt scharfe Kontraste zwischen dem Leben mit Jesus und dem Leben vorher. Dämonen sind überall ein Thema, in allen ICF-Gemeinden. Wenn ihr Jugendliche zu Jesus einladet, sagt ihr ganz markant, dass man Dämonen wegweisen muss, schon vor Jahren und immer noch.
Ja, das machen wir immer noch. Das hat zu tun mit der generellen Zeitentwicklung. Heute kannst du alles gut finden, egal was du denkst, Hauptsache es stimmt für dich. Unsere Gesellschaft hat keine Grenzen mehr. Ich merke einfach, die Leute, die in die Kirche kommen, sehnen sich nach klaren Richtlinien – wo jeder weiss, was wir meinen.

Da kommt beispielsweise jemand in die Kirche und fragt: Ist Sex vor der Ehe richtig oder falsch? Diese Frage stellen die Leute. Sie wollen ein Ja oder ein Nein – Schwarz-Weiss, nicht: „Nun, weisst du, ich muss dir erklären…“ Sie wollen wissen, was richtig und was falsch ist.

Entscheidungsfreudig, mit klaren Alternativen wollen sie leben. Und ihr bietet klare Optionen, wirkt aber damit autoritär. Die Medien haben euch das vorgehalten…
Zu Beginn hatten wir grundsätzlich eine sehr positive Presse. Dann kam im Jahr 2000 die Sache mit Mister Schweiz. Dass er sich vom homosexuellen Lebensstil distanzierte, brachte uns Negativ-Schlagzeilen ein.

Negativ-Berichterstattung hat auch ihr Gutes: Im Sommer kam jemand ins ICF, der nicht gläubig ist. Er suchte eine fundamentalistische Kirche, gab den Begriff im Internet ein und stiess auf ICF. Hier entschied er sich für Jesus. Gott kann alles brauchen.

Du leitest ICF zusammen mit deiner Frau. Sie predigt auch. Ist es die Regel, dass Ehepaare leiten? Sucht ihr Ehepaare als Leiter für entstehende Gemeinden und setzt sie ein?
Das ist unterschiedlich. Im manchen Fällen kommt ein Mann und sagt, er will ein ICF anfangen. Er ist verheiratet oder befreundet. Dann muss man die Vision miteinander entwickeln. Wir haben uns sicher distanziert von der Idee, dass der Mann die Kirche leitet und die Frau im Hintergrund irgendetwas tut. Wir sagen: Wenn du die Kirche leitest, muss es eine gemeinsame Sache der Familie sein.

Das ist in Zürich unsere Philosophie. Wir schreiben das niemandem vor. Aber es ist klar, wenn sie sehen, dass Frauen aufblühen, dass meine Frau auf der Bühne steht, steckt das Frauen irgendwo an. Es bringt sie aus den Büschen. In einer Stadt haben wir einen Leiter, der nicht befreundet ist und die Gemeinde mit einem Team von Männern und Frauen gestaltet.

Am internationalen Mitarbeiterkongress im Sommer waren die weiblichen Teilnehmer in der Mehrheit…
Ja, das ist generell so, auch im ICF Zürich haben wir mehr Frauen.

Warum?
Eine gute Frage. Weiss nicht. Hast du die Antwort?

Ihr zieht sie an.
Ja, sicher ein Stück weit (schmunzelt).

Ein anderes Thema. Ihr versprecht den Leuten Gutes: dass sie von Gott gesegnet werden, wenn sie für ihn leben. Da ist die Rede von Gesundheit, Erfolg und Reichtum. Ihr kommt sehr nahe an das so genannte Wohlstandsevangelium heran.
Wie grenzest du dich davon ab, wenn du predigst?

Ich bin nicht unbedingt ein Wohlstandsevangelist. Sie predigen: Du gibst – und du bekommst. Für mich geht es um die Gesinnung, das Prinzip: Auch wenn ich alles gebe, weiss ich, dass mein Gott alles für mich bereithält. Da liegt ein Unterschied: Es muss nicht alles gleich eintreten.

Ich sehe es in meinem eigenen Leben. Ich habe ein extrem schönes Auto verschenkt. Nun habe ich ein altes, rostiges Auto bekommen. Wenn man das nimmt, würde das Wohlstandsevangelium ja nicht aufgehen, das sagt: Du gibst – und du bekommst einen Ferrari. Danach sehne ich mich nicht. Der Reichtum liegt darin, dass ich weiss: Ich kann mein Bestes verschenken, und habe und bekomme alles, was ich brauche. Wenn Gott mir einen alten Opel schenkt, bin ich damit genauso zufrieden. Das meine ich mit Einstellung.

Wenn es um die Heilung von Krankheit geht, weiss ich natürlich, dass auch der Apostel Paulus sein Leiden ertragen musste. Grundsätzlich möchte ich jedoch den Leuten vermitteln, dass wir in den Wunden von Jesus geheilt sind, wie er gesagt hat. Ich weiss, das passiert nicht immer so. Mit der Spannung – wenn Jesus nicht heilt – muss man leben können.

Und du sagst auch auf der Bühne, dass Heilung nicht immer eintritt?
Das sage ich auch. Vielleicht nicht bei jeder Gelegenheit, aber generell handhaben wir es so in der Kirche. Denn ich sehe in der Bibel genauso Leute, die krank waren. Gott liess es zu. Natürlich kann man bei Paulus einen Grund für sein Leiden annehmen, etwa Stolz – man kann immer etwas herausfinden.

Ich vertrete nicht die Auffassung, dass körperliche Heilung immer zum Leben mit Jesus gehört. Doch ich will den Leuten grundsätzlich sagen, dass Jesus uns gesund macht. Und zwar zweifach: Entweder werde ich körperlich gesund oder ich erlange die Einstellung, die mich gewiss macht: Wenn ich sterbe, ist es okay.

Eine Frau in unserer Kirche ist an Krebs erkrankt. Sie betete um Heilung. Wir hatten mit ihr den Glauben, dass das geschieht. Sie starb in diesem Glauben – ohne bitter zu werden. Das bewegt mich sehr.

Als Jugendkirche könnt ihr ins Leben aufbrechen. Da ist Krebs kaum ein Thema...
Wir hatten bisher drei Beerdigungen im ICF. Dass sich jemand das Leben nimmt – das geschieht häufiger bei den Jungen.

Nochmals: Jesus kann heilen, und wir wollen das auch erwarten. Wenn es nicht geschieht, wollen wir nicht Erklärungen finden, warum es nicht passiert. Dann müssen wir es einfach stehen lassen. Ich merke, die meisten können mit dieser Spannung nicht gut umgehen.

Wenn du in der Predigt sagst, dass es darum geht, durchs Kreuz, durchs Leiden jetzt hindurch zu gehen ins Paradies, weckst du eine enorme Erwartung. Du sprichst davon, dass wir Belastendes ein für allemal hinter uns lassen können, Dinge vielleicht, die wir als Erbe von Generationen mit uns tragen. Vielleicht mussten schon mein Vater und mein Grossvater unten durch. Ebenso geht’s mir nicht grossartig, auch wenn ich jetzt gläubiger Christ bin. Nun sagt mir Leo von der Bühne: Geh durchs Kreuz hindurch und dann bist du das los.
Wenn du die Erwartung so forcierst, muss darauf nicht die Enttäuschung folgen, die Frustration, dass es bei mir nicht klappt, dass ich es nicht schaffe – wohl weil ich nicht richtig glaube…? Ist da nicht der Absturz programmiert?

Ein Absturz kann folgen, muss nicht folgen. Generell geht es darum, Schritt für Schritt, dass Menschen mehr in die Freiheit hineinkommen. Rückschläge gibt es, das ist immer so. Die Frage ist, worauf wir uns ausrichten. Prägt die Erfahrung unseren Glauben – oder die Bibel? Lebe ich erfahrungsorientiert oder halte ich mich an Verheissungen? Diese Entscheidung muss ich in meinem Leben immer wieder treffen.

Bin ich erfahrungsorientiert und am Boden, weil es zum fünften Mal nicht geklappt hat? Oder sage ich: ‚Nein, es steht in der Bibel, und darum halte ich daran fest’? Auch da ist eine Spannung, die man nicht aus der Welt schaffen kann. Wir haben es nicht im Griff – diese Spannung macht es aus, Jesus nachzufolgen.

Es gibt kein Patentrezept. Das macht die Leute auch abhängig von Jesus. „Gehe hindurch“ – es stimmt, du kannst nicht einfach hindurch gehen, und alles ist gelöst. Aber doch können gewisse Dinge heute gelöst werden und werden auch gelöst. Es geht darum, Schritt für Schritt in diese Freiheit hineinzukommen.

Macht ihr im ICF klar, dass es um einen langen Prozess geht?
Ich sehe es anders an. Ich erwarte, dass heute jeder Person wenigstens etwas bewusst wird. Nicht alles. Alles ist nicht möglich. Aber zum Beispiel, dass jemand merkt, dass in seiner Kirche ein Geist der Armut herrscht, dass man nicht übers Geld redet und auch nicht gibt. Wenn er das merkt, setzt ein Prozess ein. Ich erwarte, dass jedem Mitarbeiter bei einer Predigt etwas bewusst wird, mindestens ein Punkt, so dass er daran arbeiten kann.

Der Evangelist Charles Spurgeon fragte einen Prediger, durch dessen Botschaften keine Menschen zum Glauben an Christus kamen, ob er das überhaupt erwarte. Nein, war die Antwort. Da sagte Spurgeon: Darum geschieht es auch nicht. Ich gehe mit dem Glauben auf die Bühne, dass jedem etwas geschieht.

Was Wohlstand und was Heilung betrifft, sage ich immer: Was ist die Alternative? Sollen wir predigen: „Bleibe krank, und du wirst getröstet“? – oder: „Wir sind geheilt in den Wunden von Jesus. Wir sollen für die Kranken beten. Ihnen wird es besser gehen“? Auf welche Seite fallen wir angesichts der Spannung?

Meine Generation will Jesus erleben. Sie will Action sehen. Wenn ich nur Theorie höre, haut mich das nicht um. Die ältere Generation fuhr auf eine tolle Auslegung eines Bibeltextes ab, die alles verständlich machte. Die jungen Leute kannst du dafür nicht mehr begeistern. Die wollen Jesus erleben.

Ich weiss, das hat auch seine Gefahren. Aber ich möchte Jesus erleben, sehen, dass er etwas bewegt. Die jungen Leute kommen hierher mit der Erwartung, Jesus zu begegnen. Ich auch. Jesus hat alles, kann alles, ist alles. Davon gehe ich aus. Und doch hat Jesus Wege und Gedanken, die sich nicht mit unseren kreuzen.

Am nächsten Sonntag werde ich genau über diese Spannung predigen: Das Reich Gottes ist angebrochen – und doch noch nicht da. Ein grösseres Spannungsfeld gibt es nicht.

Jesus sagt, dass wir beten sollen und Kranke dann gesund werden. Wir tun es – bei einigen geschieht es, bei anderen nicht. Das Schlimmste ist, das theologisch erklären zu wollen und Ausreden zu bringen. Das ist gefährlich. Man muss die Spannung stehen lassen. Damit müssen wir leben. Grundsätzlich gehe ich davon aus: Jesus hat alles, kann alles, ist alles.

Datum: 19.02.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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