Bill Johnson im Interview

«Den Hunger nach dem Übernatürlichen hat Gott in uns hineingelegt»

Wie kommt die Kirche dazu, alles zu empfangen, was Gott ihr geben will? Der kalifornische Pastor und weltbekannte Autor Bill Johnson spricht im Livenet-Interview über Geheimnis, Mitarbeiterförderung, Glauben an den gütigen, mächtigen Gott – und Krankheit.
Entschlossen, mehr von Gott zu erbitten: Bill Johnson

Livenet: Sie sprechen von Gottes unvorstellbarer Grösse und Güte. Wie hängt damit die «Kultur der Ehre» zusammen, die Sie in Ihrer Gemeinde pflegen?
Bill Johnson:
Wenn Christen Gott als ihren Diener betrachten, werden sie enttäuscht. Das ist meine Beobachtung. Wenn sie Diener des Herrn sind, übertrifft er ihre Erwartungen immer. Je nachdem wie wir uns Gott nähern, wirkt er mit seiner Güte ganz unterschiedlich auf uns ein. Warum betonen wir die Kultur der Ehre? Es kann nicht darum gehen, dass wir eine solche Kultur schaffen, damit die Glaubenden uns Leiter besser behandeln. Sie ist die Atmosphäre, in der sie ihr Bestes geben; darum pflegen wir sie.

Wie kommen Menschen dazu, ihr Bestes zu geben?
Wir suchen das Gold im Leben der Menschen. Um den Dreck in einer Person zu finden, ist keine starke prophetische Gabe nötig. Doch wir schauen aus nach dem Gold, der Berufung, den Begabungen und Fähigkeiten, die Gott geschaffen und in eine Person hineingelegt hat. Wir sind dafür da, diese zu bezeichnen und hervorzurufen. Jesus bezeichnete Petrus als Felsen, als ihm Beständigkeit noch fehlte.

Wir ehren Gottes Berufung über den Menschen und ihre Gaben – und weil alle in seinem Bild geschaffen sind, kann ich das bei jedem Menschen tun. Weiter erkennen wir an, dass der Geist Gottes auf bestimmten Menschen ruht. Die Leute von Nazareth verpassten ihre Gelegenheit, weil sie die prophetische Vollmacht von Jesus verneinten. Unsere Haltung entscheidet darüber, was wir von einer Gabe geschenkt erhalten.

Sie suchen das Gold, doch hat jeder auch Dreck.
Die Güte Gottes lässt uns die Menschen anders sehen. Manche haben Probleme, und wir wissen darum. Unsere Erfahrung ist: Wenn wir ihnen einen Sinn im Leben und ein Ziel vermitteln, sodass sie sehen, wie gut Gott es mit ihnen meint, sind sie eher willens, sich zu ändern. Die Kultur der Ehre feiert, was ein Mensch ist, ohne über das zu stolpern, was er nicht ist.

Sie schliesst ein, dass wir Leute ermahnen und vor den Konsequenzen (ihres Eigenwillens) warnen. Ich mag nicht, wenn man so tut, als wäre alles in bester Ordnung, wenn es nicht stimmt. Doch wir wollen Menschen mit den Augen des Glaubens sehen, wie es Jesus tat; wir wollen über das Augenfällige hinausschauen. Jesus sah, was aus Petrus werden würde, und sprach es aus.

Kultur der Ehre – ist das eine Absage an überschiessende Kritik in westlichen Gesellschaften?
Kritik ist für den Teufel, was Lobpreis für Gott ist. Der Teufel nährt sich von Kritik. Er bringt Leute gegeneinander auf. Ihm gefällt es, wenn ein Kritik-Geist in die Kirche eindringt. Ein Pädagoge hat gesagt, dass ein Kind sieben positive Rückmeldungen benötigt, um mit einer negativen fertigzuwerden.

Wenn Gott nicht himmelhoch über uns ist, ist er nicht Gott. Doch an den übernatürlichen Gott zu glauben, mit erneuertem Denken, fällt Europäern schwer. Warum?

Die Kirche läuft Gefahr, das Übernatürliche zu verlieren, wenn sie die Dinge voraussehen und sie im Griff haben will. Wir möchten wissen, wann der Gottesdienst beginnt, was da abgeht, abgehen darf… Alles ist voraussehbar und kontrolliert. Wir stellen einen Gott vor, den jeder verstehen kann. Es bleibt da sehr wenig Geheimnis (mystery) übrig. Doch dem Übernatürlichen ist das Geheimnis eigen.

Was Sie von Kirche sagen, spiegelt bloss den Alltag, den wir im Griff haben wollen, mit Natur- und Sozialwissenschaften …
Wir verpassen so viel, wenn wir alles unter Kontrolle haben wollen! Denn wir reduzieren Gott auf unser Mass und schaffen ihn in unserem Bild. Dem übernatürlichen Gott wahrhaftig zu folgen, schliesst Geheimnis ein. Ich sage nicht, dass wir uns nicht um Verstehen und Sorgfalt bemühen sollten. Gott will, dass wir verstehen. Erkenntnis seines Wesens, Verständnis für sein Tun und Weisheit fürs Leben zu erlangen, ist eine hohe Tugend im Reich Gottes. Aber dem Verstehen geht Vertrauen voraus – Vertrauen, weil es um Geheimnis geht.

Wie vermitteln Sie das Ihrer Gemeinde?
Ich bringe zum Ausdruck, dass Gott mir so und so viel Verständnis gegeben hat. Und dann beginnt er etwas Anderes zu tun, er handelt in einer Weise, die mir nicht vertraut ist. Mittlerweile habe ich gelernt, seine Gegenwart anzuerkennen; so weiss ich, dass es Gott ist. Aber ich weiss weder, was er tut, noch was ich tun soll! Da haben wir das Geheimnis. Und an diesem Punkt geraten viele Leiter in Panik. Sie fürchten: Angst wird die Leute packen, wenn wir nicht wissen, was wir tun. Es geht so weit, dass viele Leute die Gefahr, getäuscht zu werden, höher einschätzen als die Fähigkeit Gottes, sie vor Täuschung zu bewahren. Dabei ist Geheimnis wesentlich fürs Leben des Christen. Es muss Dinge geben, die wir nicht verstehen. Sonst haben wir Gott geschrumpft, dass er uns ähnlich wird – statt dass wir uns in sein Bild verwandeln lassen.

Nehmen Sie den Gelähmten am Teich Bethesda in Jerusalem. Jesus heilt ihn – eine grandiose Geschichte. Geschähe sie in unseren Tagen, würden Theologen und Reporter alle Kranken am Teich interviewen, die nicht geheilt worden sind. Moderne Theologie geht in vielem von dem aus, was nicht geschehen ist. Die Bibel feiert, was geschehen ist.

Mit dem Mangel an Geheimnis in der säkularen westlichen Welt wird auch verständlich, warum viele sich von östlichen Religionen und Anschauungen faszinieren lassen.
Absolut. Es gibt einen angeborenen Hunger nach dem Übernatürlichen. So sind wir geschaffen. Gott hat das Verlangen in uns hineingelegt.

Sie sehen die christliche Gemeinde als Instrument von Gottes Reich. Christen sollen von Gottes Reich her leben – in der Gemeinde. Wie meinen Sie das?
Das Reich ist der Raum, in dem Gott herrscht. Die Kirche befindet sich in dem Raum – aber Kirche und Reich sind nicht dasselbe. Sonst hätten kirchliche Amtsträger das Reich zu verwalten. So ist es nicht. Das Reich ist der Raum, in dem Gott seine perfekte Herrschaft übt – der Himmel.

Krebs, Verwirrung, Zerbrochenheit, Hass – sie alle gibt es im Himmel nicht. Denn im Himmel ist unbegrenztes, vollkommenes Vertrauen auf Gott. In unserem Raum herrschen dagegen Angst und Misstrauen, alles Andere.

Sie und ich, als Gläubige, werden immer die Eigenschaften jener Welt spiegeln, die unser Bewusstsein bestimmt. Wenn ich mir ständig alle Nöte, Schwierigkeiten und Versuchungen bewusst mache, dann wird mein Predigen, Reden und Handeln – auch die Lieder, die ich schreibe – diese Züge meiner Umwelt zum Ausdruck bringen. Aber Gott hat uns in Christus einen Platz im Himmel gegeben (Die Bibel, Epheser 2,6). Und das ist der Platz, von dem aus wir zu leben haben. Da ist alles bezogen auf Gottes Willen, den wir in einem gewissen Mass erfahren – und zuerst sind wir in Christus, und wir mühen uns nicht ab. Jesus hat alles für mich vollbracht; ich kann ruhen.

Von diesem Platz aus macht Gott mich zu einem Werkzeug des Wandels und der Hoffnung. Denn ich sehe Gottes Zusagen, wie immer die Situation ist, wie hoffnungslos es in der Welt aussehen mag. Wie aussichtslos natürliche Umstände auch sind – es gibt eine Antwort. Dies meint Jesus, wenn er uns lehrt, den Vater zu bitten: «Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.»

Dass wir noch nicht im Himmel leben, erleben wir schmerzhaft bei einem schweren Unfall, oder wenn Krebs jemand in nächster Nähe trifft.
Mein Vater ist vor acht Jahren an Krebs gestorben.

Sie haben in Bern gesagt, dass wir Christen nicht in der Spur von Hiob leben, sondern Jesus nachfolgen. Wie meinen Sie das?
Im Alten Testament lesen wir von vielen Begebenheiten, die im Widerspruch zu dem stehen, was Jesus tat und vollbrachte. Manche Leute gewichten diese alttestamentlichen Erfahrungen so, dass sie das Werk von Jesus in den Schatten stellen. Man versucht dann Altes und Neues Testament zusammenzubringen: Gott gibt eine Krankheit, Jesus heilt sie; Gott gibt eine Krankheit, so dass Jesus seine Macht erweisen kann. – Das macht keinen Sinn.

Und bedenken Sie: Wenn wir für Krankheiten im Alten Testament zugestehen, dass Gott sie sendet, dann müssen wir das auch bezüglich der Erlösung zulassen: Dann haben alttestamentliche Standards immer noch Einfluss, wenn es zu verstehen gilt, was Jesus als unser Erlöser getan hat. Das geht nicht. Kurz: Eine alttestamentliche Erfahrung oder ein Standard kann nicht ausser Kraft setzen, was Jesus erreicht hat. Und er hat offenbart, dass Krankheit vom Teufel kommt.

Heute denken jedoch viele Christen, dass Gott Krankheiten erlaubt oder gar dahinter steht. Was ist in 2000 Jahren geschehen? Es ist der Grund, dass es uns so schwer fällt zu heilen. Jesus hat jeden geheilt, der zu ihm kam – er ist unser einziger Standard. Ich habe keine Entschuldigung, ich habe (für Krankheiten und die Unfähigkeit zu heilen) keine Erklärung – ich habe einen Hunger. Ich muss nicht erklären, warum jemand gestorben ist und eine Theologie darum herum konstruieren. Gott kann in seiner Souveränität den Tod brauchen – aber ich werde ihm das nicht zuschreiben.

Was geschieht, soll mein Verlangen verstärken, dass ich realisiere, dass wir noch nicht am Ziel sind. Wir sind noch nicht bei dem Standard angelangt, den Jesus fürs Leben und den Dienst gesetzt hat. Die Enttäuschungen, die ich erlebe, will ich als Motivation einsetzen, weiterzugehen und nach mehr zu verlangen (hunger to press into more).

Wir haben beschlossen, so zu leben – auch wenn in unserer Bewegung manchen diese Sichtweise nicht behagt. Das ist kein Problem für mich. Ich weiss, wie ich zu leben habe: dass ich keine Lehre um das herum baue, was nicht geschehen ist. Vielmehr verdeutlicht mir das: Der Standard von Jesus ist hier (hält Hand hoch) – meine Erfahrung ist hier (hält andere Hand halb hoch). Ich werde die Bibel nicht auf meine Erfahrungsebene herabziehen, damit ich mich wohl fühle. Ich bin nicht da, um mich behaglich zu fühlen. Was Jesus tut – darauf lebe ich hin.

Datum: 04.06.2012
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet

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