Irland

Alte Wunden heilen

Es war ein Wunder: Nach Jahrzehnten, in denen Misstrauen, Hass und Gewalt Nordirland plagten, haben Protestanten und Katholiken unter dem harten Kämpfer Ian Paisley vor einem Jahr eine Regierung gebildet. Das Wunder hat viele Hintergründe, darunter den, dass Christinnen wie Shirley Bowers seit Jahren für die Versöhnung von Engländern und Iren gebetet und konkrete Schritte getan hatten.
Miteinander unterwegs: Das Arise-Team 2003 in Irland mit Fr. Danny McDonald.
Schritt um Schritt von Gott geführt: Shirley Bowers (links) und Rosemary Smith in Thun.
Bowers übergibt Geistlichen in der Kathedrale von Kilkenny einen ‚Schlüssel der Einheit‘.
Nach der Versöhnungsfeier im Franziskanerkloster Wexford, 2002.
Freudentränen: Versöhnung auf der Brücke von Athlone.

Shirley Bowers lebt im mittelenglischen Huntingdon, dem Geburtsort von Oliver Cromwell, der 1649 Irland eroberte, verheerte und die Iren blutig und erbarmungslos unterwarf – eine Tragödie für das Inselvolk, die, seiner Seele eingeschrieben, bis heute nachwirkt. Bowers und ein Team von Beterinnen haben seit 2002 Brücken der Versöhnung zwischen Briten und Iren gebaut. Diesem Unterfangen waren über zehn Jahre des Gebets für die Einigung der Christen in Huntingdon und Umgebung vorangegangen.

In ihrem Buch „In der Geschichte liegt die Hoffnung“ beschreibt Bowers, wie Gott sie zurüstete und führte, und skizziert den Weg der Versöhnung. Livenet sprach mit Shirley Bowers und Rosemary Smith bei ihrem Besuch in Thun im September 2007.

Livenet: Shirley Bowers, wissen Sie, was Ihr Gebetsnetzwerk ‚Arise Ministries’ im Friedensprozess in Nordirland bewirkt hat?
Shirley Bowers: Es geht darum zu verstehen, wie tief die Menschen von der Vergangenheit geprägt sind. Gerry Adams (1) war genauso verletzt wie jeder andere. Er hat selbst ein Buch geschrieben mit dem Titel ‚Hope and History – Making Peace in Ireland’. Er musste auch erst erfahren, was Gott für sein Volk getan hatte. Was er persönlich glaubt, weiss ich nicht. Ich beschloss, ihm mein Buch zu senden. Er schrieb mir zurück, dass er sich für den Frieden einsetzen werde, und brachte zum Ausdruck, dass wir weiter für ihn beten sollten. Ich bete, dass er das Buch selbst liest und hört, was Gott – nicht ein Politiker – in Irland getan hat.

Was bedeutet es, dass Sie vom Geburtsort Oliver Cromwells stammen?
Interessant ist, dass ich als einzige im Arise-Team von Huntingdon komme, aus der Stadt in der Cromwell (2) geboren wurde. Gott sagte, dass er jemand von diesem Ort brauche, der in den Riss stehen soll (3). So weiss ich, dass er mich gerufen hat. Ich hatte einst grosse Zweifel, aber sie sind weg.

Als ich nach Irland reiste und darauf den Brief mit der Bitte um Vergebung in die Orte brachte, die Cromwells Truppen verwüstet hatten, weinten so viele Leute und waren tief gerührt. Es war offensichtlich, dass Gott allein dies hatte wirken können. Er hat mich gerufen, in den Riss zu stehen, hinzustehen für das, was Cromwell angerichtet hatte. Nun steht man hin für den ganzen Mann, das Arge und das Gute. Man kann auch für alles Gute danken, was er getan hat, was Gottes Willen entsprach und richtig und gerecht war. Aber es gilt auch all das zu sehen, was Schmerzen und Leid verursacht hat.

Was weiss man in England über diese Vorgänge?
Wir haben entdeckt, dass dieser Abschnitt der Geschichte in unseren Schulen nicht angemessen gelehrt worden ist. Andererseits haben irische Historiker Busse getan haben über die Weise, wie sie Geschichte lehrten. Sie haben erkannt, dass sie im Unterricht die Wut und Erbitterung fortpflanzten, dass sie den Ressentiments weitere Nahrung gaben. Wir erlebten das 2002 bei einem Geschichtslehrer und auch in den Jahren seither. In der Folge des Besuchs des stellvertretenden Bürgermeisters von Huntingdon in Irland 2003 ist ein Schüleraustausch aufgebaut worden, der dem gegenseitigen Verstehen dienen soll. Geschichte soll Geschichte werden – und die Zukunft von Hoffnung bestimmt sein. Es darf nicht sein, dass wir der Bitterkeit erlauben, von Generation zu Generation fortzudauern.

Welche Rolle spielt der Brief, den Sie nach Irland brachten?
Der Brief (4) wurde verfasst von einem Pastor. Ich sah ihn durch. Wir beschäftigten uns in der Kirchgemeinde mit ihm und bekräftigten ihn. Darauf unterzeichneten ihn insgesamt acht Pastoren der Stadt Huntingdon. Hinter dem Brief standen sowohl Katholiken wie Anglikaner, Baptisten und Methodisten und auch Vertreter der Huntingdon Community Church – die ganze Bandbreite an Kirchen. Wir fotokopierten das Schreiben und rahmten es. Unser Vorgehen war, den Brief an die zivilen und geistlichen Vertreter jeder Stadt, die wir in Irland besuchten, zu übergeben. 2007 haben wir eine Ausfertigung auch in den Tea Shop gebracht, zum Sitz des irischen Premierministers. Ich rechne mit einem Treffen am Sitz des Premierministers. Die Arbeit geht weiter.

Wie stark ist Ihre Gebetsbewegung?
Das Kernteam von ‚Arise Ministries’ besteht aus etwa zehn Personen. Einige haben unsere Grundsätze von Gebet und Versöhnung mitgenommen und sind an andere Orte oder ins Ausland gezogen. Wir sind ein Netzwerk.

Von wem haben Sie das gelernt?
Gott zeigte mir den Weg Schritt um Schritt. Entscheidende Impulse gab John Mulinde, indem er mich lehrte, einen Gebetsaltar für meine Familie aufzurichten und anhaltend für mein Gebiet zu beten. Wir motivierten Leute in jedem Ort, jedem Dorf unseres Gebiets, dies zu tun. Alle Beterinnen und Beter trafen sich einmal monatlich. Wir kamen aus ganz verschiedenen christlichen Kirchen zum Gebet zusammen und brachen die Uneinigkeit, die unser Gebiet prägte. Preis dem Herrn, ich bin dankbar, dass dies geschah. Wir erleben eine geistliche Einheit wie noch nie zuvor. Pastoren bestätigen, dass sie das nirgendwo sonst erlebt haben.

Rosemary Smith: Vor zwanzig Jahren sah das noch ganz anders aus. Wir hatten wohl eine der uneinigsten Kirchenszenen. „Mit euch reden wir nicht“ – diese Einstellung war verbreitet. Pastoren sprachen schlecht übereinander. Es kam vor, dass Glieder einer anglikanischen Gemeinde nicht in die andere anglikanische Gemeinde gehen wollten. Dies scheint vorbei, Gott sei gelobt. Der Unterschied zwischen damals und heute ist zum Staunen.

Shirley Bowers: Vor zwanzig Jahren begannen wir für Einheit zu beten. Wir baten Gott nicht nur, die Uneinigkeit zu heilen, sondern fragten, was sie verursacht hatte, welche geistlichen Mächte darin wirksam waren, denen wir noch nicht gewehrt haben.

Wie sehen Sie den Friedensprozess in Nordirland?
Nordirland: Gott hatte uns gesagt, dass es zu einer Koalitionsregierung kommen würde. Das Wunder ist geschehen – wir wissen, dass es Gottes Zeitpunkt war. Doch die Heilung muss noch stattfinden. Im Land sind noch sehr viele Wunden offen. Obwohl sich die Verhältnisse nun besser darstellen, brauchen die Menschen weiterhin Gebet. Wir dürfen nicht so tun, als sei nun alles in Butter. Gott hat uns mehr Dinge offenbart, für die wir beten sollen.

Was beschäftigt Sie nun?
2002 gab mir eine Frau in Wexford ein Buch mit dem Titel ‚To Hell or Barbados’. Ich hatte vernommen, dass durch Cromwell und seine Männer irische Katholiken in die Sklaverei verkauft wurden, aber mich nicht damit beschäftigt. Erst in diesem Jahr habe ich das Buch gelesen – es traf mich mitten ins Herz. Ich erkannte die tiefen Wurzeln der Kräfte, welche Irland und England geprägt haben: Wir haben Männer, Frauen und Kinder als Sklaven verkauft, nach Barbados, Jamaica und Nordamerika. Cromwell und sein Kreis taten dies zur Finanzierung des Commonwealth. Der Autor des historischen Werks hat herausgefunden, dass Nachkommen jener Menschen auf Barbados heute noch wie Sklaven leben.

Cromwell wollte die unbotmässigen Iren loswerden. Soldaten wurden nach Polen, Österreich und Frankreich verkauft. Sie konnten ihre Familien nicht mitnehmen und durften nicht zurückkehren; ihr Leben durften sie bloss behalten, wenn sie für diese fremden Mächte kämpften. Die Menschen auf Barbados sind immer noch unfrei: Viele sind Alkoholiker und haben keine rechte Schulbildung. In der Kirche sitzen sie auf Sklavenbänken. Der Autor beschliesst sein Buch mit dem Wunsch, dass sich einmal jemand für diese Vergessenen einsetzt.

Und das wollen Sie tun?
Ich weiss, dass wir in England nie davon hörten, und auch die Iren, die ich besuchte, wussten nicht davon. Im Zuge der Debatte um schwarze Sklaven, die in England wieder in Gang gekommen ist, sollte auch über diese weissen Sklaven gesprochen werden. Es ist unser Auftrag, ihnen zu helfen. Mit einem Iren, der seit fünf Jahren für diese Gruppe betet und schon einmal versucht hat, nach Barbados zu reisen, will ich hinfliegen. Ein Mann, der meine Ausführungen darüber hörte, weinte danach während zwei Stunden, weil ihm bewusst wurde, dass er direkt von einem Soldaten Cromwells abstammt, der in Irland Land erhielt, welches Einheimischen weggenommen worden war. Er realisierte, dass sein Vorfahr im Sklavenhandel tätig gewesen war. So geht die Arbeit weiter. Bis Gott Halt! sagt, bete ich weiter und lasse mir Schritte zeigen. Es ist beides: beten und gehen – bereit sein, das zu tun, was Gott dir zeigt, und es gehorsam ausführen.

„Wenn Gott eingreift“: Shirley Bowers’ Buch über ihren Gebets- und Versöhnungsdienst

Datum: 20.03.2008
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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