Dramatische Geschichte

Sammelband über die Täufer

Als eine reiche Gabe für alle, die sich mit den Täufern in Bern und in der Deutschschweiz beschäftigen, kommt der Sammelband „Die Wahrheit ist untödlich“ daher. Er zeigt, wie um die Wahrheit gerungen wurde, wie eng reformierte und täuferische Geschichte verflochten waren – und welche Fragen sich heute noch stellen.
US-Mennonit zu Besuch in der Heimat seiner Vorfahren.
Symbol der bernischen Herrschaft im Emmental: Schloss Trachselwald bei Sumiswald.
Die Täuferverfolgung hat die Kirchengeschichte Berns mitgeprägt.
Der Zwang, Täufer zu denunzieren, zerriss Dorfgemeinschaften (Bild vom Drama Täuferjagd, 2005).
Viel Härte, zwischendurch Milde: Hanspeter Jecker beschreibt die Wellen der Repression.
Abschied: Nach 150 Jahren Verfolgung wurde die Auswanderung in die Niederlande und später nach den USA möglich (Bild vom Drama Täuferjagd, 2005).
Amische in den USA leben versuchen heute nach wie ihre Gründerväter zu leben.
Nach dem Gottesdienst in der Mennonitengemeinde Moron im Berner Jura.
"Was ist unsere gemeinsame Geschichte?", fragte Prof. Rudolf Dellsperger am Ende der Ringvorlesung.

Im Wintersemester 2006/07 fand an der Universität Bern ein Vortragszyklus über Täufer und Reformierte statt. Wenige Wochen später, zum Beginn des Emmentaler Täuferjahrs im März, lagen die Referate als Buch vor. Man darf den Herausgebern – dem Berner Kirchengeschichtsprofessor Rudolf Dellsperger und dem Forscher Hans Rudolf Lavater sowie dem durch Hanspeter Jecker vertretenen Schweizerischen Verein für Täufergeschichte – dafür gratulieren, dass sie den Sammelband ohne Verzug erstellt haben. So kommt Gelehrsamkeit zeitig unters Volk. Wie Scheinwerfer leuchten die Referate wichtige Bereiche des vielschichtigen Themenfeldes aus, einander ergänzend und relativierend, denn neben Reformierten wurden auch sechs Täufer von Dellsperger zu Vorträgen eingeladen.

Prediger aus dem Aargau und Basel

Dem einleitenden Referat des Winterthurers Martin Haas, der die Berner Täufer im politischen und gesellschaftlichem Umfeld der Deutschschweiz des 16. Jahrhunderts situiert, spürt man den jahrzehntelangen Umgang des Reformationshistorikers mit seiner Epoche ab. Haas spannt den Bogen vom Beziehungs-Netzwerk (‚Cluster in Aarau’) eigenständiger Bibelleser, die populäre Erweckungsprediger wurden, zum harten, doch unsteten Durchgreifen der Obrigkeiten, welche durch die Reformation viel Macht gewannen, aber auch Verantwortung für die Besserung der Sitten übernahmen. Urkundlich erwähnt ist die erste Gemeinde in Bern 1527. Die ersten in der Zähringerstadt hingerichteten Täufer stammten aus dem Aargau und Baselbiet, später wichen die Verfolgten in Grenzgebiete (Solothurn, Emmental) aus.

Verwandtschaft und Freundschaft

Da die frühen Quellen, abgesehen von drei öffentlichen Disputationen, noch nicht ediert wurden, ist „von den Täufern in Bern zu wenig die Rede“, schreibt Martin Haas in seinem Aufsatz des Bandes, der die Entstehung der Berner Täuferbewegung im Schweizer Kontext beleuchtet. Im damals bernischen Aargau bestanden 1525 täuferische Beziehungen zu Zürich; für Bern bedeutsam wurde vor allem der Wanderprediger und gewandte Debattierer Pfistermeier aus Aarau. Die erste in den Quellen fassbare Gemeinde in Bern selbst war 1527 ein „Ableger aus Basel“. Von sechs Täufern, die 1529/30 hingerichtet wurden, stammten vier von dort. Laut dem Winterthurer Historiker Haas spielten Verwandtschaft und Freundschaft eine wesentliche Rolle bei der Ausbreitung täuferischer Lehren.

Weiter schreibt er, „dass die Täufer bald überall dort auftauchten, wo die Bauern unruhig waren“ – die Unzufriedenheit über die Abgaben und das Regime der Gnädigen Herren (schon 1513 hatten Bauern den Weinkeller des Vogts von Trachselwald ausgetrunken) führte den Wanderpredigern Hörern zu. Von der Obrigkeit verfolgt, wichen die Täufer, die im dünnbesiedelten Land „unzählige Versammlungsorte“ hatten, in die Grenzgebiete zu Solothurn und zu Luzern aus. „Die Lücken im Herrschaftsgefüge wurden zur Chance für die Täufer.“ Aus umfassender Kenntnis der Deutschschweizer Quellen skizziert Martin Haas das Netzwerk der frühen Täufer und geht dabei auch auf die harschen, unsteten und letztlich wirkungslosen Reaktionen der Berner Obrigkeit ein.

Lehre und Leben

Pfr. Hans Rudolf Lavater, der mit Haas den lange erwarteten Quellenband zur Ausbreitung der Berner Täufer herausgeben wird, geht der Spiritualität und dem Lehrgefüge der Täufer nach, was nicht einfach ist, da kaum Quellen vorliegen, in denen sie sich frei darüber äussern. Die meisten Schriftstücke entstanden in Verhören und staatlich angeordneten Disputationen. Die Täufer trauten dem Laien zu, die Bibel zu verstehen und auszulegen – „Schrift und Wahrheit fallen in eins“. Mehr als Bekenntnis und korrekte Lehre interessierte die Täufer das gottgefällige Leben.

Lavater vergleicht die täuferischen Lehrstücke, wie sie sich im Zusammenwirken von Theologen und Laienpredigern entwickelten und im Schleitheimer Bekenntnis 1527 niedergelegt wurden, mit Zwinglis Theologie. Die Täufer betonten den Gehorsam in der Nachfolge und die Gemeinschaft der durch Busse erneuerten und geheiligten Menschen; sie lehnten die staatskirchlichen Kompromisse der Reformatoren, Waffendienst und Eid inbegriffen, ab. In der Erwartung der Wiederkunft von Christus halfen die Täufer einander mit Hab und Gut aus. Die Dynamik der Bewegung verdeutlicht Lavater am Beispiel des ‚Aarauer Clusters’. Aus ihm stammte der Bäcker Pfistermeier, der als Laienprediger im Bernbiet nachhaltig wirkte – bis zu seinem Widerruf 1531.

Übervater Zwingli

Die Unterschiede im Kirchenbegriff arbeitet Pfr. Ulrich J. Gerber heraus. Der Schüler des bekannten Reformationsforschers Gottfried W. Locher sen. hält fest, „dass die frühen Schweizer Täufer nur zu erfassen sind, wenn sie im Dialog mit Zwingli theologisch unter Berücksichtigung der Ereignis-, Sozialgeschichte und der sozialpsychologischen Prozesse im damaligen staatspolitischen Machtgefüge in der Frühzeit der Zürcher Reformation verstanden und gedeutet werden“. Im religiös stark bewegten 16. Jahrhundert wollten engagierte Gläubige die Christenheit erneuern – unter Einsatz ihres eigenen Lebens.

Kirchenmodelle im Konflikt

Die Biographie, der eigene Weg, prägte die Kirchenmodelle der Reformatoren nicht weniger als jene der Täufer, wie Ulrich J. Gerber einleuchtend skizziert. Die Reformatoren waren alle „Theologen des Wortes Gottes mit unterschiedlicher Akzentuierung der Pneumatologie“ (Lehre vom Heiligen Geist). Zwingli nahm kirchliche und politische Obrigkeit in die Pflicht, miteinander das göttliche Gebot auszuführen, wogegen Calvin die Kirche eher als Instrument der Herrschaft von Christus sah.

Die Täufer traf die Ausgrenzung und Verfolgung ohne Verzug, daher dachten sie die wahre Kirche als von weltlicher Herrschaft geschieden und konnten mit dem Konzept der unsichtbaren Kirche nichts anfangen. Mit aller Entschiedenheit wollten sie „die sichtbare Kirche, die Gemeinde der Heiligen, verwirklichen“. Gerber skizziert die verschiedenen täuferischen Ansätze (bis hin zu den Hutterern und Amischen) und verweist auf Menno Simons’ monophysitisches Verständnis von Christus (dass sein Fleisch ‚himmlisch’, nicht menschlich war). Darin sei begründet, „dass die Kirche für Menno eine reine Gemeinde ohne sündige Elemente sein muss“. Gerber zitiert hier Ernst Saxer und bemerkt, dass die Alt-Täufer in unseren Breitengraden erst vor wenigen Jahrzehnten den Namen „Mennoniten“ annahmen.

Freiwilligkeits- statt Untertanenkirche

Hanspeter Jecker, der führende Historiker der Schweizer Mennoniten, stellt facettenreich die staatliche Verfolgung dar, die mit dem Entscheid Berns für die Reformation 1528 einsetzte und beinahe zehn Generationen anhielt. Die Täufer setzten Akzente, „welche kirchliche und politische Obrigkeiten auf Jahrhunderte hinaus nicht nur in Bern, sondern – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – europaweit nicht zu dulden gewillt waren“. Manche Akzente wurden, was nicht erstaunt, als Reaktion auf Zwangsmassnahmen noch verschärft.

Abendmahl, Taufe, Trauung: ein Müssen

Untertanen mussten damals, Jecker erinnert daran, zur Kirche gehen, das Abendmahl nehmen und sich, wenn sie heiraten wollten, vom Pfarrer trauen lassen. Sie hatten ihre Kinder zur Taufe zu bringen und amtlich eintragen zu lassen. Kriegsdienst war Pflicht. All das lasen die Täufer in der Schrift nicht. Sie wollten nur aufgrund des Glaubens – freien Willens – zur Kirche gehören. Das Taufen von Erwachsenen und die Verweigerung der Säuglingstaufe folgten daraus. Und „das eigene Leben sollte bei aller bleibenden Gebrochenheit abzudecken versuchen, was man glaubte“: Die Täufer wollten mit der Erneuerung des Menschen in der Gemeinschaft ernst machen. Das „Priestertum aller Glaubenden“ wurde praktiziert.

Verhör unter Folter normal

Jecker verfolgt das ruckige Auf und Ab der Repression anhand der ersten Täufermandate von 1531, 1534, 1566 und 1579. Diese Verordnung der Obrigkeit hielt fest, ein aufgespürter Täufer sei in Haft zu nehmen, nach seinen Kontakten zu befragen (auch unter Folter) und seine Güter zu konfiszieren. Zwischendurch hatten Täufer ihren Besitz innert kurzer Frist verkaufen und wegziehen können.

Da auch dieses unbarmherzige Mandat sein Ziel nicht erreichte, suchte Bern 1585 gesamteidgenössische Absprachen zur Täuferverfolgung zu erwirken. Immer wieder mussten die Gnädigen Herren zur Kenntnis nehmen, dass das Volk auf dem Land mit Täufern auch darum sympathisierte, weil Pfarrherren und Kirchenangestellte liederlich lebten (was Massnahmen gegen die Missstände provozierte). Auch die grenzübergreifende Solidarität mit Verfolgten (Gaben aus der Ostschweiz, aus dem Elsass und den Niederlanden trafen ein) machte tiefen Eindruck.

Aus Zürich vertrieben, in Bern unausrottbar

Aus den amtlichen Quellen, die bekanntlich nicht die ganze Wahrheit sagen, bringt Hanspeter Jecker zahlreiche sprechende Belege für die Härte der Kampagnen bei. Als von den 1630er Jahren an Zürcher Täufer ins Bernbiet flohen, erstarkte die Bewegung erneut. 1640, 1644 und 1659 wurden die Massnahmen mehrfach verschärft, im letztgenannten Jahr auch eine „Täuferkammer“ zur Koordination der Eliminationsbemühungen eingerichtet. 1670 klagte aber der Pfarrer von Schlosswil, dass „gar vil die widerteüfferischen und unsere versammlungen besuchen, ja der mehrere theil diese Sect gut sprechend, in ihrem Herzen derselbigen anhangend und hold sind…“

Galeere, Exil und Spaltung

Weil die Ausweisungen von Männern nichts fruchteten, wurden sieben Täufer 1671 auf venezianische Galeeren abtransportiert. Mennoniten im Elsass und den Niederlanden luden die Verfolgten ein, und im kalten Herbst machten sich 700 Frauen und Männer auf den Weg ins unbekannte Exil. Nach einigen ruhigeren Jahren (in denen das Täufertum erneut zunahm) wurde nach 1690 Kinder aus täuferisch eingesegneten Ehen die Erbfähigkeit aberkannt und der Vertrieb und Besitz täuferischer Literatur unter Strafe gestellt. In diesen Jahren – unter schwerem Druck – spalteten sich die Amischen ab. Die Verfolgung wurde nach 1700 nochmals intensiviert, was die Täufer zur Auswanderung in den Jura und nach Nordamerika veranlasste. Erst 1743 wurde die Täuferkammer aufgelöst und allmählich liess der Druck nach.

Auswanderung noch im 19. Jahrhundert

Der Untergang der alten Eidgenossenschaft 1798 bedeutete noch nicht das Ende der Härten. Als die Erweckungsbewegung aufkam, verbot die Kantonsregierung 1823 die „Proselytenmacherei“. Nach 1830 zogen die jungen, evangelistisch aktiven Gemeinden der Neu-Täufer die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich. Eine letzte täuferische Auswanderungswelle nach Übersee verursachte die 1874 eingeführte Militärdienstpflicht.

Bei allem Mut, den die Täufer in Bedrängnis bewiesen, stellt Jecker auch einen „teils bis heute nachwirkenden ‚traumatisierten’ Geist der Ängstlichkeit, der Verzagtheit und der Menschenfurcht“ fest. Manche hätten es nicht mehr gewagt, ihren Glauben offen und frei zu bekennen. Der Historiker schliesst seinen Überblick mit selbstkritischen Fragen und der Feststellung, die Repression habe „den Dialog zwischen zwei Geschwister-Kirchen verhindert, welche in ihren jeweiligen Stärken und Schwächen auf Ergänzung und Korrektur angewiesen wären“.

Täufer heute, in den USA und in Bern

Auf die weiteren Beiträge im sorgfältig edierten, mit zahlreichen Anmerkungen versehenen Band kann hier nicht näher eingegangen werden: Sie handeln von Auswanderung und Deportation, von den Amischen im US-Bundesstaat Indiana und der jungen Stadtberner Mennonnitengemeinde, von der Geschichte und Identität der Neu-Täufer, vom Berner Synodus, der grundlegenden reformierten Kirchenordnung von 1532 und der (begrenzten) ökumenischen Ausstrahlung der Mennoniten als Friedenskirche. Zum Abschluss der Ringvorlesung gab es ein Podium ; die vier Statements, zwei von reformierten Kirchenleitern und zwei von Mennoniten, sind abgedruckt.

Perspektivisch vielfältig schlägt der 330-seitige Sammelband den Bogen von der Reformationszeit in die Gegenwart. Die zahllosen bewegenden Details lassen die Dramen erahnen, die sich zwischen Saane und Hohgant abspielten. Diese Geschehnisse, so weit sie auch zurückliegen, machen das Emmentaler Täuferjahr zu einem Geschehen, dessen Dynamik noch nicht abzuschätzen ist.

Die Wahrheit ist untödlich
Berner Täufer in Geschichte und Gegenwart
Beiträge eines Vortragszyklus an der Universität Bern im Winter 2006/2007
Hg. Rudolf Dellsperger und Hans Rudolf Lavater
Mennonitica Helvetica 30/2007
C Schweizerischer Verein für Täufergeschichte
www.mennonitica.ch
Simowa Verlag AG, Bern
ISBN 978-3-908152-16-3

Datum: 19.04.2007
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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