Demissionieren oder missionieren

„Gott vermag neues Leben hervorzubringen“

"Wege in die Zukunft der Kirche lassen sich nur finden, wenn wir den Gläubigenmangel, den Gemeindemangel, den Priestermangel und den Geldmangel zugleich bedenken." Der Basler Bischof Kurt Koch hat vor der katholischen Synode Basel-Stadt die dramatischen Herausforderungen und mögliche Massnahmen dargelegt. Seine Gedanken sind auch in evangelischen Kirchen zu bedenken. – Hier Auszüge aus dem Referat, mit Zwischentiteln der Presseagentur Kipa:
Allerheiligen Kirche Basel
Der Basler Bischof Kurt Koch

"Kirche wird immer sein. Aber wird Kirche immer bei uns sein? Wenn wir fragen: Lebt oder stirbt die Kirche?, dann meint das unsere Kirchenstunde. Da helfen uns keine Erwägungen. Da hilft nur die ehrliche Bestandsaufnahme dessen, was ist, und der innere Versuch, damit fertigzuwerden." Diese Worte hat der gegen den Nationalsozialismus standfeste Jesuit Alfred Delp bereits im Jahre 1941 geschrieben.

Selbstverständlich hat er als gläubiger Christ nie daran gezweifelt, dass die Kirche als ganze nicht untergehen kann. Nicht die Frage, ob die Kirche Zukunft hat, hat ihn bewegt, sondern die Frage, welcher Kirche eine gute Zukunft beschieden sein wird. Damit hat er jene Herausforderung beim Namen genannt, vor der wir auch heute in der Kirche in Westeuropa überhaupt, konkret im Bistum Basel und noch zugespitzter im Dekanat Basel-Stadt stehen.

Neue missionarische Situation

Die wichtigsten Symptome dieser Herausforderung sind heute mit Händen zu greifen: Wir müssen stets deutlicher feststellen und dabei auch mühsam lernen, dass wir nicht (mehr) in der Lage sind, mit unseren Kräften, mit unseren finanziellen Mitteln, mit unserem Personal, mit unserer Kreativität und unserem Prestige allein die Kirche aufzubauen.

Unsere in den vergangenen Jahrzehnten eingeübte und auch heute noch weithin vorherrschende Mentalität, dass wir selbst die Kirche aus eigener Kraft gestalten und nach unserem Belieben ordnen können, wird durch die Realität immer mehr in Frage gestellt. Auf jeden Fall wird uns heute vieles aus der Hand genommen, von dem wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten gemeint haben, wir hätten es geschaffen und wir hätten es dabei geschafft. Vieles von dem aber ist in der Zwischenzeit brüchig geworden. Wir befinden uns inzwischen auch in unseren Breitengraden in einer neuen missionarischen Situation.

"Vererbtes" Christentum löst sich auf

Dies sind freilich Symptome eines tiefgreifenden Wandels, dem wir auf den Grund gehen müssen. Dieser Grund besteht im Kern darin, dass wir uns in unseren Breitengraden heute am endgültigen Ende der konstantinischen Gestalt des Christentums und der Kirche befinden. Unter der konstantinischen Gestalt der Kirche verstehe ich die durchgehende Vergesellschaftung des Christentums, und zwar in dem Sinn, dass man gleichsam aufgrund der Geburt Christ wird und selbstverständlich in die Kirche hineinwächst.

Die Zeichen der Zeit weisen daraufhin, dass dieses "vererbte" Christentum immer deutlicher aufgelöst wird und dass die mit dieser Gestalt gegebene Selbstverständlichkeit des Hineinwachsens der Menschen in die Kirche aufgrund ebenso selbstverständlicher Sozialisationsprozesse des Glaubens immer unwirksamer wird.

Die gesellschaftlichen Stützen der Volkskirche, die bisher das Christwerden und Kirchesein getragen haben, verschwinden unaufhaltsam. Die massiv zurückgegangenen Finanzen sind dafür nur ein besonders deutliches Symptom neben vielen anderen. Zudem darf man sich nicht vor dem Gedanken verschliessen, dass aufgrund von sehr schnell vor sich gehenden Wandlungen im Verhältnis zwischen Kirche und Staat niemand garantieren kann, dass die öffentlich-rechtliche Anerkennung unserer Kirche selbstverständlich auch in der Zukunft jederzeit Gültigkeit haben wird.

Einerseits kleiner und andererseits pluraler

In diesen wenigen Facetten sehe ich die äusserst labil und fragil gewordene Situation der volkskirchlichen Situation unserer Kirche hierzulande begründet. Ihre Auswirkungen kann man dahingehend zusammenfassen, dass die Kirche einerseits kleiner und andererseits pluraler geworden ist. Viele Kirchenglieder nehmen deshalb nur noch in Auswahl am kirchlichen Leben teil.

Dies führt zu einer ausgesprochenen Mentalität von Nachfrage und Angebot und damit zu einer Marktsituation, die die Kirche dazu verführt, sich selbst dem Marktprinzip anzupassen und ihre Dienste kundenorientiert zu erfüllen. Kundenorientierung kann jedoch bei der Neugestaltung des kirchlichen Lebens nicht das erste Kriterium sein, wenn wir uns an Jesus halten. Wie der Tod am Kreuz am Ende seines Lebens unmissverständlich zeigt, hat Jesus ganz und gar nicht kundenorientiert gehandelt. Er hat in erster Linie auftragsorientiert gehandelt.

Und weil sein Auftrag ihm klar vor Augen stand, hat er sich auch intensiv darum bemüht, seine Botschaft vor allem in der anschaulichen Sprache seiner Gleichnisse an den Mann und an die Frau zu bringen. Im Geist Jesu muss sich deshalb auch die Kirche heute in erster Priorität auf ihren Auftrag besinnen. Dann, aber erst dann, sind auch sogenannte kundenfreundliche Überlegungen durchaus angebracht.

Die grundlegende Alternative

Diese Auftragsorientierung stellt uns vor eine grundlegende Alternative, die ich bewusst zugespitzt formuliere: Wollen wir uns resignativ einem allmählichen Verschwinden des Christentums und der Kirche ergeben und allein die verbliebenen Restbestände verwalten, oder glauben wir daran, dass das Evangelium derart Leben fördernd ist, dass wir auch heute neue Christen und Christinnen gewinnen können?

Wollen wir unsere Bemühungen auf ein möglichst reibungsloses und schmerzfreies Abwickeln der grossen Tradition der Volkskirche beschränken, auch wenn wir selbst keine Zukunft dafür mehr sehen, oder wollen wir als Kirche auch heute "Menschenfischer" für Gott sein? Oder um die Alternative mit den Worten der grossen Madeleine Delbrel zu formulieren: Wollen wir demissionieren oder misssionieren?

Sie spüren zweifellos, dass uns diese Alternative in die Mitte unseres Glaubens hinein führt. Denn das Evangelium, das uns als Kirche anvertraut ist, enthält eine derart faszinierende Botschaft, dass wir nur dann aus ihr leben können, wenn wir sie auch weitertragen und nicht selbstgenügsam für uns behalten. Selbstgenügsamkeit im Glauben verfehlt nicht einfach etwas am Glauben, sondern verfehlt den Glauben. Deshalb bleibt sich die Sendung der Kirche gewiss in allen Zeiten gleich, weil sie auf den Auftrag des auferstandenen Christus selbst zurückgeht: "Geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe" (Mt 28, 19-20).

Demgemäss weist die Sendung der Kirche vier Dimensionen auf: eine missionarische ("Geht zu allen Völkern"), eine pastorale ("Macht alle Menschen zu meinen Jüngern"), eine liturgische ("Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes") und eine prophetische ("Lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe").

In erster Linie ein Gläubigenmangel

Uns ist aufgetragen, diese Sendung unter den heutigen Bedingungen wahrzunehmen. Dies ist das Grundanliegen, von dem der "Pastorale Entwicklungsplan im Bistum Basel" bewegt ist und das in den Leitsätzen deutlich zum Ausdruck gebracht wird: "Den Glauben ins Spiel bringen".

In struktureller Hinsicht enthält er die Herausforderung, über die bisherigen Grenzen auch der Pfarreien hinauszuschauen und in grösseren pastoralen Räumen zu denken. Der Grund dafür ist nicht einfach der zunehmende Geldmangel und auch nicht der Priestermangel. Sie sind gewiss auch Anlässe. Doch in erster Linie haben wir heute – verglichen mit unserer Vergangenheit – einen Gläubigenmangel und erst in zweiter Linie einen Priestermangel. Und weil die Pfarreien zahlenmässig stets kleiner werden und folglich nicht mehr alle Aufgaben wie früher wahrnehmen können, muss man auch von einem Gemeindemangel reden.

Wege in die Zukunft der Kirche lassen sich nur finden, wenn wir den Gläubigenmangel, den Gemeindemangel, den Priestermangel und den Geldmangel zugleich bedenken. Ich will ihnen dies an einem Beispiel illustrieren, das unser Bistum nicht betrifft: In der Grossstadt Frankfurt a. M. gab es im Jahre 1925 23 Pfarreien, heute zählt man 53 Pfarreien und 12 anderssprachige Missionen. Die Zahl der Pfarreien hat sich in der Zwischenzeit beinahe verdreifacht, obwohl die Katholikenzahl heute wieder dort angelangt ist, wo sie 1925 war. Von daher stellt sich von selbst die Frage, ob man verantwortungsvoll dabei stehen bleiben kann, oder ob hier nicht Umstrukturierungen unbedingt angesagt sind.

Solche Umstrukturierungen wollen wir im Bistum Basel nicht einfach "von oben" verordnen, sehr wohl aber anregen. Neugründungen von Pfarreien sind in der Vergangenheit stets "von unten" gewachsen. Weil neue Bedürfnisse entstanden sind, hat der Bischof auf Antrag der Glaubenden neue Pfarreien gegründet. Heute müsste der Weg in umgekehrter Richtung gegangen werden, indem in den Regionen selbst überlegt wird, wie das kirchliche Leben strukturiert werden soll, damit die Kirche auch heute ihre Sendung wahrnehmen kann(…)

Glauben, Zeit, Personal und Geld miteinander teilen

Als ersten Schritt in diese Richtung sehen wir Pastoralräume vor, die ein besseres Zusammenwirken der vorhandenen Kräfte ermöglichen wollen. Es geht dabei im Kern darum, dass wir in diesen Pastoralräumen angesichts der schwächer werdenden Ressourcen intensiver als bisher ein Vierfaches miteinander teilen, nämlich den Glauben, die Zeit, das Personal und das Geld. Dies ist gewiss auch ein Beitrag, dass die Kirche in der Region solidarischer und dies heisst immer auch katholischer wird.

Ich bin mir wohl dessen bewusst, dass Innovationen zunächst immer Ängste auslösen. Diese Ängste muss man ernst nehmen und zugleich bedenken, dass auch in diesem Zusammenhang die Angst letztlich kein guter Ratgeber ist. Innovationen können vielmehr nur gelingen, wenn sie mit Hoffnung auf massgebliche Besserungen und in Geduld, die der lange Atem der Hoffnung ist, verwirklicht werden.

Fehlende Überzeugung

Denn in erster Linie geht es dabei nicht um eine strukturelle, sondern um eine spirituelle Frage, wie sie der Bischof von Erfurt, Joachim Wanke, treffend so umschrieben hat: Was uns in erster Linie fehlt, ist nicht das Geld und auch nicht das Personal. Was uns vielmehr fehlt, ist die Überzeugung, dass uns mit dem Evangelium ein so kostbarer Schatz anvertraut ist, der uns bewegt, andere Menschen für ihn zu gewinnen.

Und was uns manchmal fehlt, ist die biblische Überzeugung, dass Gott auch heute in der Kirche wirkt und dass sein Wirken viel stärker ist als unsere menschliche Schwachheit und kirchliche Unfruchtbarkeit. Wie in der biblischen Botschaft Unfruchtbarkeit das Symbol radikaler Hoffnung auf Gott ist, so vermag Gott auch heute neues Leben hervorzubringen, wo menschliche Unfruchtbarkeit nichts mehr in die Welt zu bringen vermag (…)

Datum: 21.06.2006
Quelle: Kipa

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