Den Riss heilen

Begegnungstag von Reformierten und Täufern in Zürich

Durch die Zürcher Reformationsbewegung ging ein tragischer Riss: Zwingli verstiess seine Freunde, die das Evangelium radikal umgesetzt haben wollten. In einem feierlichen Gottesdienst, der am Samstagnachmittag im Grossmünster stattfand, hat der Zürcher Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich die Nachfahren der damals verfolgten und vertriebenen Täufer als Mitchristen gewürdigt und sie um Verzeihung gebeten. Die Bitte wurde angenommen.
„Von den Täufern lernen“: Kirchenratspräsident Ruedi Reich bekennt im Gottesdienst, dass die reformierte Kirche geirrt hat. Rechts der Mennonit Ernest Geiser.
An den Ursprungsort zurückgekehrt: Mennoniten aus den USA vor dem Grossmünster
Die Tafel zum Gedenken an die hingerichteten Täufer am Limmatufer in Zürich
Ein US-Mennonit betet im Grossmünster in seinem traditionellen Dialekt.
Dankbar: Lloyd Hoover, ein Bischof der Mennoniten in Pennsylvania, und Thomas Gyger, Leiter der Konferenz der Schweizer Mennoniten (rechts)
Larry Miller in der Kirche Zwinglis und Bullingers
Grossmünster
Stadtrat Robert Neukomm (links) im Gespräch mit Kirchenratspräsident Ruedi Reich
Die Brüder Stoltzfus aus den USA in Zürich
Das Schweizer Fernsehen berichtete von der Schipfe.

Im Beisein des Zürcher Stadtrats Robert Neukomm endete der Tag mit einer bewegenden Zeremonie: der Enthüllung einer Gedenktafel in der Ufermauer an der Schipfe, dort wo im 16. Jahrhundert Täufer ertränkt wurden. – Hier ein Bericht über den Verlauf der Tagung.

Zum Begegnungstag im Grossmünster waren führende Vertreter der Mennoniten aus Europa und Nordamerika eingeladen worden. Er stand unter dem Thema „Gegeneinander – nebeneinander – miteinander“. Kirchenratspräsident Ruedi Reich sprach in seiner Begrüssung am Vormittag von einem „Tag der Begegnung, Versöhnung und Verpflichtung zu ernsthafter Nachfolge“.

Reformierte und 150 geladene Gäste aus täuferischen Gemeinden blickten auf die 1523 einsetzende Trennung zurück. Die Täuferbewegung ist in Zürich entstanden; bis heute kreist das Gedenken der traditionsbewussten Mennoniten, Amischen und Hutterer um jene schicksalhaften Jahre.

Stärken und Schwächen der Täufer

Schauspieler trugen Texte vor, die die folgenschwere Auseinandersetzung von Zwingli, Grebel und Manz nacherleben liessen. Der mennonitische Historiker Hanspeter Jecker las vor seinem selbstkritischen Rückblick auf die Täufergeschichte den Vers der auf dem Taufstein liegenden Bibel, den letzten des Alten Testaments. Dort wird verheissen, dass Gott durch seinen Propheten das Herz der Väter den Söhnen und das Herz der Söhne den Väter wieder zuwenden wird.

Jecker betonte, dass es den Täufern um zentrale Aspekte des Christseins und Kircheseins ging. Doch seien mit ihren Stärken oft auch Schwächen wie Weltfremdheit, Menschenfurcht und Gesetzlichkeit verbunden gewesen.

Auch Reformierte starben für den Glauben

Pfr. Ruedi Reich erwähnte in seiner Rückschau, dass das Zürcher Stadtsiegel drei christliche Märtyrer zeigt und dass auch Reformierte für ihren Glauben starben, als sie in umliegenden katholischen Landen gefangengenommen wurden. Die Zürcher Kirche, die damals die Täufer zusammen mit dem Staat verfolgte und vertrieb, habe zwar heute eine halbe Million Mitglieder, doch sei der Glaube für viele leider sehr unverbindlich.

Mehr als Vergangenheit bewältigen

Die reformierte Landeskirche des Kantons Zürich hatte den Tag gemeinsam mit der Konferenz der Mennoniten der Schweiz organisiert. Ihr Präsident Thomas Gyger zeigte sich berührt von der Initiative zur Versöhnung – gerade angesichts der Tatsache, dass es in der Ostschweiz gar keine Mennonitengemeinden gibt.

„Wie würde Bullinger diese heutige Versammlung ansehen?“ Gyger sprach sich dafür aus, den „Elan zur Einheit innerhalb des Leibes von Christus“ zu stärken. Auf Erinnern und Versöhnung solle ein praktisches Miteinander (alliance) folgen.

Täuferische Anliegen – heute auch von Reformierten aufgenommen

Der SEK-Ratpräsident Thomas Wipf sagte, die Täufer hätten durch ihr radikales Fragen nach dem Wort auch die reformierte Kirche geprägt. „In der Ergänzung liegt der Reichtum, nicht in der Abgrenzung.“ Die Mennoniten (in der Schweiz 14 Gemeinden mit 2500 getauften Mitgliedern) könnten eine Brücke zwischen den Freikirchen und den „sich stark verändernden Volkskirchen“ bilden.

Der Generalsekretär des reformierten Weltbunds Setri Nyomi äusserte, dass die täuferischen Bemühungen um Frieden und Gewaltlosigkeit heute besonders auch in reformierten Kirchen ernstgenommen werden.

Versöhnung nicht instrumentalisieren

Nach dem Mittagessen in Zelten auf dem Lindenhof sprachen sich die Teilnehmer in Workshops über Aspekte der Begegnung von Reformierten und Täufern aus; auch ein Gang durch die Altstadt wurde angeboten. Eine Runde diskutierte kontrovers, welche Motive in kirchlichen Versöhnungsprozessen zum Tragen können – und was Events dazu beitragen. Die Schleife-Konferenz in Winterthur vom Mai 2003, die Amische und Mennoniten mit Reformierten zusammengeführt hatte, kam kontrovers zur Sprache.

Philippe Dätwyler, der von reformierter Seite die Tagung organisiert hatte, stellte sie in den Zusammenhang der Feierlichkeiten zum 500. Geburtstag des Reformators Heinrich Bullinger, der die Täufer bekämpft hatte: „Es ist an der Zeit, dass die Zürcher Kirche die Schattenseiten der Reformationszeit beim Namen nennt.“ Ein Mennonit aus dem Jura erwartet als Frucht der Zürcher Veranstaltung in reformierten Landeskirchen Respekt für die Taufe Erwachsener.

Das Licht scheinen lassen

Nach vier Uhr fanden sich die Teilnehmer erneut im Grossmünster ein und feierten einen dreisprachigen Gottesdienst. Auf die Kanzel stieg Larry Miller, Generalsekretär der Mennonitischen Weltkonferenz.

Er zeichnete in seiner Predigt ein facettenreiches, ungeschöntes Bild seiner Freikirche, der weltweit gegen zwei Millionen Menschen angehören. Viele Gemeinschaften hätten sich auf sich selbst zurückgezogen. „Nachdem wir das Licht entzündet hatten, stellten wir es unter den Scheffel.“

Botschaft an die Täufer weltweit

Die Zürcher Tagung wertete Miller als „Schritte auf echte Beziehungen hin – eine klare Botschaft an die Täufer weltweit“, die beantwortet werden solle. Er sprach die Elemente der reformierten Tradition an, welche den Täufern gut täten. Anderseits hätten die Amischen das einfache Leben, die Hutterer das Teilen von Gütern und die Mennoniten das Friedenstiften in die Gemeinschaft einzubringen.

Miller sprach über das Prophetenwort von der feurigen Mauer, die Gott selbst sein will um die Stadt der Menschen, die ihm gehören. Im Vertrauen auf den Höchsten könnten Mauern zwischen den Kirchen abgebrochen werden.

Ruedi Reich: „Von der täuferischen Tradition lernen“

Anschliessend bekannte der Zürcher Kirchenratspräsident Pfr. Ruedi Reich, „dass unsere Kirche die Geschichte der Verfolgung der Täufer weitgehend verdrängt hat“. Er bezeichnete sie als „Verrat am Evangelium“; die Reformatoren hätten „in diesem Punkt geirrt“. Die Verurteilung der täuferischen Lehrer im Zweiten Helvetischen Bekenntnis von 1566 gilt für die Zürcher Kirche nicht mehr.

In aller Form anerkennt die Kirche Zwinglis nun „die Gläubigen der täuferischen Tradition als unsere Schwestern und Brüder“. Und Reich fuhr fort: „Es ist an der Zeit, die Geschichte der Täuferbewegung als Teil unserer eigenen Geschichte zu akzeptieren, von der täuferischen Tradition zu lernen und im Dialog mit den täuferischen Gemeinden das gemeinsame Zeugnis des Evangeliums zu verstärken.“

Amische sandten Brief

Von Seiten der Mennoniten antwortete darauf Ernest Geiser. Er dankte für das Bekenntnis und nahm es an. Im feierlichen Gottesdienst wurde auch ein Brief von Amischen aus den USA verlesen, die für die Einladung dankten, die sie wegen ihrer Vorschriften (keine Flugreisen) nicht annehmen konnten.

Täuferverfolgung aus Staatsräson

Auf das gemeinsame Abendessen – wiederum auf dem schattigen Lindenhof – folgte der medienwirksame Höhepunkt der Tagung: die Enthüllung der Gedenktafel an der Schipfe (am linken Limmatufer zwischen Rathausbrücke und Hauptbahnhof). Unter Liedern des Mennonitenchors wurde das rote Tuch, das die Tafel auf der Ufermauer bedeckte, von einem Weidling, der heranfuhr, aus weggezogen.

Zuvor hatte Stadtrat Robert Neukomm für die Verfolgung der Täufer durch den Zürcher Rat im 16. Jahrhundert (aus Staatsräson) Abbitte getan – und auch für die Weigerung der Stadtregierung im Jahr 1952, eine solche Tafel zuzulassen. „In diesem Sinn bittet der Stadtrat von Zürich die Täufer um Verzeihung für das an ihnen begangene Unrecht; er hofft und setzt sich dafür ein, dass Gleiches und Ähnliches nie mehr geschehen werde. Er streckt seine Hand aus zur Versöhnung und er dankt Ihnen, wenn Sie sie ergreifen.“ Darauf drückte Thomas Gyger, Präsident der Schweizer Mennoniten, Neukomm die Hand.

Felix Manz – Jakob Falck – Heini Reimann – Konrad Winkler – Heinrich Karpfis – Hans Herzog – Hans Landis

Auf der Tafel ist zu lesen: „Hier wurden mitten in der Limmat von einer Fischerplattform aus Felix Manz und fünf weitere Täufer in der Reformationszeit zwischen 1527 und 1532 ertränkt. Als letzter Täufer wurde in Zürich Hans Landis 1614 hingerichtet.“ Ein direkter Nachfahre von Landis aus den USA zollte dem unerschrockenen Glauben des Märtyrers Tribut.

 
   

Datum: 29.06.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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