Change! – Thesen für die Kirche

Stefan Moll: «Wir sollten aufhören zu missionieren»

Vor 500 Jahren hatten Luther, Zwingli und Co. den Mut, Glaubenssätze und Traditionen zu hinterfragen. Nach wie vor sind die Kirchen reformbedürftig. Livenet bringt daher Thesen zur Inspiration. Heute hat Stefan Moll von der Evangelisch-methodistischen Kirche Baden das Wort.
Stefan Moll


These:

«Die Christen sind dann missionarisch wirksam, wenn sie aufhören zu missionieren.»

Evangelistische Aktionen erlebe ich weitgehend als Selbstvergewisserung. Ob in christlichen Grossveranstaltungen oder beim Verteilen von Traktaten: die Christen versichern sich selber, dass sie auf dem rechten Weg sind. Sie sind überzeugt, aus der Quelle des Glücks, des Erfolges und des gelingenden Lebens zu trinken. Sie, die anderen, die Verlorenen, Unglücklichen, könnten ja unser Bekenntnis teilen. Und uns so mit unserer Welt- und Himmelssicht ins Recht setzen. In dem wir aus der Warte jener, die das wahre Leben haben, andere zum Glauben überreden, werden vor allem wir selber sicher, das gute Teil gewählt zu haben.

Christsein bringt kein Abonnement auf Glück

Schade ist nur, dass das nicht stimmt. Ich bin zwar aus tiefstem Herzen Christ. Aber das Abonnement auf Glück habe ich nicht gelöst. Jedenfalls nicht mehr als Leute, die anders glauben als ich. Schaue ich mich in den Gemeinden um, sehe ich wenig davon, dass die Frommen hier mehr Glück oder mehr Lebendigkeit durch einen richtigen Weg bekommen hätten.

Entsprechend ist das Ergebnis missionarischer Bemühungen: Allen Erfolgszeugnissen zum Trotz sehe ich kaum, dass Leute zum Glauben kommen. Evangelische Gemeinden verlieren an Einfluss. Jene, die wachsen, tun es auf Kosten anderer. Neues Vertrauen auf Jesus Christus bauen wenig Leute auf.

Darum meine These: Hört auf zu missionieren. Das macht nur die Leute verrückt. – Dabei schreibe ich als jemand, dem es ein grosses Anliegen ist, dass viele Leute Jesus Christus vertrauen.

Zuhören statt Beschwatzen!

Ich habe mich lange damit auseinandergesetzt, wie wir heute über Erlösung reden können. Die überraschende Antwort: gar nicht!

Das habe ich so nicht erwartet. Es hat sich aber ein ganz anderer Weg gezeigt: Unsere Aufgabe ist es, zuzuhören, nicht zu beschwatzen. Weil wir selber neugierig sind. Weil wir die Nähe von Leuten brauchen, die nicht an Jesus Christus glauben. Weil in solchen Gesprächen mein Glaube wächst. Im interessierten Zuhören lasse ich mich hinterfragen und mein Glaube wird reicher und tiefer. Ob andere ein Gespräch über Glaube, Religion, Bibel und Jesus Christus brauchen, bin ich nicht sicher. Sie sind alt genug um zu wissen, was für sie gut ist. Aber ich bin sehr sicher, dass ich darauf angewiesen bin.

Begegnungen «auf Augenhöhe»

Wer das als neusten Trick für die Evangelisation deutet, hat schon verloren. «Evangelisieren durch Zuhören!» Nein! Es geht nur um Begegnungen «auf Augenhöhe», die meinen Glauben verändern, Zweifel aufwerfen und mich darum neu zu Jesus bringen.

Missionarisches Engagement kommt oft von oben herab, ist grenzverletzend und bewirkt ziemlich genau das Gegenteil von dem, was es sollte. Im echten Zuhören machen wir dagegen die Erfahrung, dass wir uns selber verändern – und dass Leute sich für Christus öffnen. Gerade, weil wir nicht missionieren.

Im Dezember 2016 haben wir Gottesdienste «auf Augenhöhe» mit Asylsuchenden gefeiert. Bei einigen von uns hat sich in dieser Zeit mehr im Glauben bewegt als in vielen Gottesdiensten davor. Wir wollen niemandem etwas verkaufen. Aber es sind mehr Asylsuchende gekommen sind, als Mitglieder unserer Gemeinde da waren. Auch Muslime. Von ihnen allen haben ich viel für meinen Glauben gelernt. Ihr Respekt vor unseren Gottesdiensten bewegt mich. Uns hat das auf Christus hin verändert. Mehr braucht es nicht.

Ich bleibe darum dabei: Um missionarisch wirksam zu sein, müssen wir aufhören, zu missionieren.

Hinweis: Die Meinung der Autoren in der Serie «Change! – Thesen für die Kirche muss sich nicht mit jener der Redaktion von Livenet decken.

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Datum: 29.01.2017
Autor: Stefan Moll
Quelle: Livenet

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