«Ausreichend ähnlich»

Glauben Muslime und Christen an den gleichen Gott?

An den dreitägigen Studientagen «Glaube und Globalisierung» an der Universität Fribourg stellte sich Professor Miroslav Volf (Yale/USA) der wichtigen Frage, ob Muslime und Christen grundsätzlich über den gleichen Gott miteinander reden können. Seine Antwort verstand er als Hilfe zum Brückenbauen.
Miroslav Volf

Die Frage ist vielschichtig. Professor Volf präzisierte gerade zu Anfang seines Vortrags, dass es ihm nicht darum ginge, ob Islam und Christentum die gleiche Religion sind, auch nicht, ob sie «gleich wahr» seien. Ebenfalls ginge es nicht darum, was verschiedene Christen und Muslime glauben. «Es gibt bei Muslimen und Christen so viele verschiedene Spielarten des Glaubens» erklärte Volf. «Dazu kommt, dass man durchaus an einen Gott glauben, ihn aber nicht verehren kann (worship). Schon Jesus sagte, dass nicht alle, die 'Herr, Herr' sagen, ins Reich Gottes kommen. Ausserdem kann man ein falsches Konzept von Gott haben und durch sein Verhalten doch dem richtigen Gott dienen», so Volf, der mit vielen islamischen Freunden und Gelehrten in intensivem Dialog steht.

Es gehe bei seinem Thema um «normatives Christentum / normativen Islam», wesentlich gegründet auf die Heiligen Schriften.

Zeigefinger deuten in die gleiche Richtung

Der «Gegenstand» des Glaubens, das grundlegende Gottesbild sei bei Christen und Muslimen (und für Juden) dasselbe: «Alle drei monotheistischen Religionen glauben, dass es nur EINEN Gott gibt. Dieser Gott schuf alles ausserhalb seiner selbst. Und dieser Gott ist grundlegend unterschieden von allem, was nicht Gott ist. Gott ist nicht Teil dieser Welt», hielt der Referent fest und fasste pointiert zusammen: «Wenn wir auf Gott zeigen könnten, würden die Zeigefinger von Christen und Muslimen in die gleiche Richtung zeigen.»

Der Charakter Gottes - «ausreichend ähnlich»

Auch beim Charakter beziehungsweise dem Wesen Gottes ortete Volf grundlegende Gemeinsamkeiten: «Gott ist gut. Gott ist Gnade und Gerechtigkeit, er ist 'gnädig und barmherzig'. Alle Gebote der Bibel – ausser dem Sabbatgebot – finden sich auf irgendeine Weise auch im Koran. Es heisst dort nicht, dass man Gott 'lieben' solle, aber 'sich völlig auf ihn verlassen' kommt dem schon recht nahe», so der Referent. «Im Charakter von Liebe, Gnade und Barmherzigkeit gibt es Unterschiede in der Betonung. Aber man kann sagen, dass der Gegenstand des Glaubens von Muslimen und Christen ausreichend ähnlich ist (sufficiently similar). Wenn unser Gott nicht derselbe wäre, wären wir für Muslime Götzendiener.»

Unterschiede

Volf markierte aber auch deutliche Unterschiede im Wesen der Gottesvorstellungen von Christen und Muslimen. Zum einen: «Christen sagen: Gott IST Liebe. Muslime sagen: Gott liebt. Wenn wir sagen 'Gott liebt', dann liebt Gott einige und andere nicht. Wenn wir aber sagen: 'Gott IST Liebe', dann kann Gott nicht anders als lieben. Dann hängt seine Liebe nicht von ihrem Gegenstand ab; darum sagen Christen, dass Gott bedingungslos liebt. Darum kam er in die Welt, und darum können Gottlose gerecht werden» Das habe für unser Verhalten konkrete Auswirkungen, so Volf: «Die ethische Konsequenz ist die Feindesliebe. Christen sollen die Guten und die Bösen lieben, und Vergebung ist ein Gebot im Christentum. Im Islam ist Vergebung eine bewundernswerte Tat, aber kein Gebot.»

Gott: drei und einer

«Gott hatte schon ein Liebesverhältnis vor Grundlegung der Welt: Vater, Sohn und Heiliger Geist liebten einander.» Der Islam lehne die Drei-Einigkeit Gottes ab: «Gott hat keine Partner», hiesse es im Koran. Allerdings: «Christen reden oft so, als hätten sie drei Götter, die sich ihre verschiedenen Rollen im Himmel teilen», merkte Volf kritisch an und verwies auf die ersten drei Jahrhunderte Christentum, wo intensiv darüber gerungen wurde, dass es eben nicht drei Götter seien. Er kam zum Schluss: «Alles, was Muslime an der Dreieinigkeit ablehnen – dass es drei Götter gebe, dass Gott einen Partner habe oder dass im Himmel so etwas wie ein Komitee regiert – sollte von bibelgläubigen Christen auch abgelehnt werden.»

Die Frage der Drei-Einigkeit Gottes komme in der Menschwerdung Christi zum Ausdruck: «Muslime glauben nicht, dass Gott streng EINER sein kann und doch in Christus Mensch werden kann. Jesus ist darum für sie nur ein Prophet.»

Volf erinnerte daran, dass auch die jüdische Religion das Konzept der Drei-Einigkeit Gottes ablehnt – «und doch sagen Christen, dass sie an den gleichen Gott wie die Juden glauben».

Der Referent kam zum Schluss, dass Muslime und Christen – wenn sie auch ihren Gott in einzelnen Punkten unterschiedlich verstehen – den gleichen Gott anbeten. Es gebe «bedeutende Überschneidungen» in den Gottesvorstellungen beider Religionen – genug, um ins Gespräch zu kommen. In Politik und Gesellschaft ermögliche das eine grundsätzlich gegenseitige Annahme – und eine Feststellung der Unterschiede und Grenzen, die wichtig seien für die Identität des jeweiligen Glaubens.

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Datum: 15.06.2015
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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