Vier Buchstaben: G o t t – so einfach ist das Wort. Doch was meinen wir damit? Wer ist Gott? Eine Macht, eine Person? Jedenfalls etwas Grosses, das unserem Leben voraus geht und es umgreift. Jemand, der will, dass wir leben – sonst wären wir nicht hier. Wenn wir „über Gott und die Welt reden“, kann alles zur Sprache kommen. Vermutlich vor allem die Welt. Denn wir gehen von uns aus, nehmen Dinge wahr wie der Dreikäsehoch aus seiner Perspektive. Wir gehen von uns aus – und vielleicht lassen wir Gott ins Spiel kommen. Meist ist er dann irgendwie Teil der Welt, als einer, der segnet, der Gutes tut, der Erfüllung schenkt. Denn Gott muss es gut mit uns meinen, oder? Und doch spüren wir, dass Gott mehr ist. Wir ahnen, dass er grösser ist. Nicht bloss ein bisschen grösser, ein bisschen unfassbarer. Wenn er Gott, wirklich GOTT ist, dann ist er an sich unbegreiflich, übersteigt er unser Denken völlig. „ Meine Gedanken sind nicht zu messen an euren Gedanken, und meine Möglichkeiten nicht an euren Möglichkeiten“, sagt der Gott der Bibel einmal durch seinen Sprecher, den Propheten Jesaja. „So hoch der Himmel über der Erde ist, so weit reichen meinen Gedanken hinaus über alles, was ihr euch ausdenkt, und so weit übertreffen meine Möglichkeiten alles, was ihr für möglich haltet“ (Jesaja 55,8-9). Ein bisschen gar abgehoben, sagen Sie vielleicht. Ja, Gott ist sehr abgehoben, echt erhaben. Wenn er nicht geredet und sich mitgeteilt hätte, durch die Propheten der Bibel und schliesslich durch Jesus Christus, würden wir ihn nicht kennen. Im Westen haben wir ein Problem: Unsere Kultur hat diese Erhabenheit, das majestätische Ganz-Anders-Sein Gottes, zunehmend ausgeblendet. Denker wie der deutsche Philosoph Hegel behaupteten zur Zeit Napoleons, in der geistigen, geschichtlichen Entwicklung der Menschen komme Gott zu sich selbst. So sehr diese Denker das geistige Potenzial des Menschen (der im Bild Gottes geschaffen ist!) würdigten, so zogen sie doch gleichzeitig Gott, den Schöpfer vom Himmel auf die Erde herab. In der Folge haben sich Menschen immer mehr von den Eigenschaften Gottes anzueignen versucht und sich gar seine Macht angemasst. Das 19. Jahrhundert war davon gezeichnet. Radikale Denker wie Feuerbach meinten das Reden von Gott als leere Projektion menschlicher Sehnsüchte entlarven zu müssen. Oft hatten sie Recht! Eine Generation später liess der Philosoph Nietzsche einen „tollen Menschen“ proklamieren, dass Gott getötet worden war. Im Text von Nietzsche ruft der Mann auf dem Markt: „Wohin bewegen wir uns? … Stürzen wir nicht fortwährend? … Gibt es noch ein Oben und ein Unten? … Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden?“ Damals verstiegen sich die europäischen Kolonialmächte in ihrem Überlegenheitswahn zu einem Wettlauf, der in zwei Weltkriege ausartete. Heute erleben wir einen unvergleichlichen Raubzug auf die natürlichen Reichtümer der Erde – und neuerdings Versuche, künstlich Tiere und Menschen herzustellen. Wenn Gott erhaben ist und die Werte fürs Leben vorgibt, haben Menschen vor allem eines im Sinn: ihn zu verehren, ihm zu dienen, ihm nahe zu kommen, von ihm gesegnet – und mehr: von ihm geleitet zu werden. Davon ist im heutigen Europa, anders als im Mittelalter und in der Reformationszeit, insgesamt wenig zu spüren. Papst Benedikt XVI. äusserte kürzlich am deutschen Fernsehen, Glaube sei schwierig geworden, „weil die Welt, die wir antreffen, ganz von uns selber gemacht ist und sozusagen Gott in ihr nicht mehr direkt vorkommt“. Die Völker des Westens haben den Menschen entwickelt und Gott kleingeredet – und das hat Folgen in allen Bereichen: Manche wundern sich darüber, dass er (anscheinend) keine Wunder tut. In der Gesellschaft gehen wir vom grossartigen Potenzial des Menschen aus – und dann verwirren uns jene, die in der Schule nicht lernen wollen oder anfällig sind für Süchte, Gewalt und unwürdige Praktiken. Kirchen schrumpfen; ihr gesellschaftlicher Einfluss bröckelt ab. Zugleich fragen wir uns, warum Muslime – sie halten traditionell an der unnahbaren Majestät Allahs fest – nur beschränkten Willen zur Integration in Europa zeigen. Ist es kälter geworden, seit wir Gott auf die Erde herabgezogen haben? – Seine Grösse ist neu zu entdecken.Was wir ahnen
Das Problem des Westens
„Ist es nicht kälter geworden?“
Wenn Gott wirklich gross ist…
Datum: 03.09.2006
Autor: Peter Schmid
Quelle: Jesus.ch