"Verfallsdatum der Glaubensbegriffe ist überschritten"

Prof. Dr. Hubertus Halbfas, Theologe.

Die von den Kirchen heute noch vermittelte Glaubenswelt erfahre mehr und mehr einen "Sprach- und Verständigungszerfall, der die kirchliche Rede ins Leere gehen lässt": Zu dieser Feststellung gelangt Hubertus Halbfas, einer der einflussreichsten Religionspädagogen im deutschen Sprachraum.

Hubertus Halbfas machte vor bereits mehr als dreissig Jahren in seinem bis heute noch bedeutsamem Buch mit dem Titel "Fundamentalkatechetik" machte: "Glaube kann hinfort nur dann noch persönliches Bekenntnis sein, wenn er die Herausforderung durch das Denken aufnimmt und die kritische Rückfrage nicht als Bedrohung deutet."

Gestaltende Kraft des Christentums

An kritischen Rückfragen zur aktuellen Verortung des christlichen Glaubens fehlte es denn auch nicht in dem Vortrag, den Hubertus Halbfas vor rund 200 Personen in Luzern hielt. Unter dem Titel "Traditionsabbruch: Zum Paradigmenwechsel des Christentums" unternahm der bekannte deutsche Religionspädagoge eine umfassende Tour d¹horizon mit Blick in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Christentums.

Zunächst erinnerte Halbfas daran, dass der christliche Glaube in den vergangenen Jahrhunderten unsere Gesellschaft und Kultur fundamental geprägt hat: "Der Einfluss des Christentums ist in allen Facetten unserer Kultur zu finden, am wirksamsten dort, wo ihn niemand wahrnimmt, weil er in die Fundamente unseres Selbstverständnisses eingegangen ist."

Dies gelte insbesondere für den Personenbegriff, auf den sich heute die Rechte des einzelnen Menschen abstützen. "Dass alle Menschen nach dem Bilde Gottes geschaffen sind, ist jene Ausgangsbasis, die über das Christentum hinaus zur allgemeinen Erklärung der Menschenrechte führte. Zugleich hat dieser Ansatz die Entwicklung des modernen Privatrechts, die Sozialgesetzgebung und die des Völkerrechts mitbestimmt."

Entleerung der religiösen Sprache

Indessen scheine sich die kreativ gestaltende Kraft des Christentums, wie Halbfas heute ernüchtert feststellt, seit dem 18. Jahrhundert mehr und mehr erschöpft zu haben. Das stelle sich namentlich in den Gebieten der Literatur und der bildenden Kunst immer deutlicher heraus. So habe im 20. Jahrhundert beispielsweise die Entfremdung zwischen Kunst und Kirche von Jahrzehnt zu Jahrzehnt weiter zugenommen.

Am folgenreichsten wirke sich allerdings zunehmend die Entleerung der Sprache im Bereich der Glaubensverständigung und Glaubensvermittlung aus: "Das Verfallsdatum der Glaubensbegriffe wurde nicht nur erreicht, es ist bereits überschritten ­ aber offensichtlich ist dieser Verfallsprozess dem innerkirchlichen Bewusstsein nicht besonders präsent", meinte der Religionspädagoge. Tief greifende Konsequenzen habe heute auch die deutliche Distanzierung gebildeter junger Frauen von der Kirche, denn "ihre Abwendung wird Folgen haben, die dem volkskirchlichen Charakter des Christentums am meisten Abbruch tun".

Wechsel zeichnet sich ab

Vor diesem Hintergrund lasse sich heute nicht mehr von einer Krise des Christentums sprechen, die durchzustehen sei, vielmehr scheine "ein über Generationen eingeleiteter, nunmehr zu deutlichen Traditionsabbrüchen führender Paradigmenwechsel" im Gang zu sein, so die Diagnose von Halbfas. Notwendig sei, neue "Übersetzungsarbeit" zu leisten, damit das Christentum auch in der heutigen, aufgeklärten Welt vermittelbar bleibe.

Unter anderem gelte es für die Kirchen zunächst "das nachzuholen, was sie seit hundert und mehr Jahren verdrängen: die Resultate der historisch-kritischen Exegese und deren Konsequenzen für die Systematische Theologie in den Gemeinden bekannt zu machen". Die herrschende Kluft zwischen gesicherten theologischen Forschungsergebnissen und gemeindlichem Glaubensverständnis sei riesig, meinte Halbfas in Luzern.

Wohin geht das Christentum?

Zum Abschluss seiner Überlegungen skizzierte der deutsche Religionspädagoge fünf Entwicklungslinien, die aufgrund seiner Einschätzung für die künftige Entwicklung des Christentums ausschlaggebend sein könnten, sofern die Kirchen weiterhin mit den Lebenskulturen ihrer Zeit verbunden sein und nicht "als Sonderwelten ins Getto absinken" wollen:

1. Das Christentum erfährt eine feministische Korrektur: Notwendig sei eine prinzipielle Neubestimmung des Geschlechterverhältnisses innerhalb des Christentums. In der zweitausendjährigen Geschichte des Christentums habe ausschliesslich die männliche Hälfte der Christenheit den eigenen Glauben reflektieren, formulieren und lehren dürfen. Die Folgen dieser Einseitigkeit sind laut Halbfas fundamental: "Da ist die traditionelle theologische Sprache in ihrer diskursiven Begriffslastigkeit (ein typisch männliches Phänomen) inzwischen zu einem System erstarrt, von dem keine kulturstiftenden und belebenden Impulse mehr ausgehen." Die Kirchenhierarchie muss demnach in Zukunft mehr Fähigkeit zum Hinhören und zum Dialog entwickeln, damit künftig in der Kirche auch die Stimme der Frauen zum Tragen kommt.

2. Das Christentum wird erfahrungsbezogen "mystisch": Der erfahrungsbezogene Ansatz der Religionen werde immer mehr zum Kriterium für die Zukunft der Religion. Bereits Karl Rahner hat die oft zitierte Bemerkung gemacht, entweder sei das zukünftige Christentum ein mystisches oder es sei nicht mehr.

3. Das Christentum wird ökumenisch-synkretistisch: Der Wunsch nach vertiefter Wahrnehmungsfähigekit und mehr Identität lasse heute immer mehr Menschen über die Konfessions- und Religionsgrenzen hinaus schauen, meinte Hubertus Halbfas: "Das Lernen der Religionen und Konfessionen voneinander steht erst am Anfang. Es wird unverzichtbar sein und einen fruchtbaren Synkretismus zeitigen."

4. Das Christentum vollzieht eine "Ortsverschiebung": Die früher von Soziologen behauptete "Säkularisierung" der Religion sei ­ so Halbfas ­ vermutlich eine Fehldeutung. Die Gegenwart insgesamt sei nicht weniger religiös als frühere Zeiten. Allerdings erfolge zunehmend eine Entgrenzung von Religion. "Was in Institutionen und Kulten bisher seine explizite Darstellung fand, wird unwichtiger. Die in Kunst und Literatur erfahrene religiöse Dimension nimmt zu, zumal sie nicht formelhaft gefasst und weniger verschliessen ist." Insgesamt scheine sich eine Verschiebung vom Kultischen ins Soziale, vom Sakramentalismus zu einer Spiritualität des Alltags zu ereignen, betonte Halbfas.

Autor: Benno Bühlmann

Datum: 27.01.2004
Quelle: Kipa

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