Thesen und Vorschläge

„Es ist Zeit fliegen zu lernen!“

Wie leben christliche Gemeinden mit Gott, so dass Menschen davon angezogen werden? Der Schweizer Gemeindeforscher Reinhold Scharnowski fasst Thesen und Vorschläge der Australier Alan Hirsch und Michael Frost zusammen.
Reinhold Scharnowski
Gottesdienst Freikirche
Plakat Kongress
Alan Hirsch

Wir sind überzeugt, dass die Gemeinde selbst das Medium des Evangeliums ist und dass sie eine Botschaft kommunizieren muss, die den Menschen hilft, Gott in jedem Bereich des Lebens zu finden und nicht nur in den Grenzen der Gemeinde und ihrer Aktivitäten.

Wenn Jane die Gemeinde besucht, findet sie sich unter Gleichgesinnten. Im Gottesdienst (Singen, Predigt, Gebet) geschieht die Überlappung von "Gott" und "Gemeinde": Jane erlebt Gott. Nachher nimmt sie einen Kaffee oder ein Mineral mit ihren Freunden, die auch Christen sind. Dann ist sie bereit, wieder in den Alltag, die Welt zurückzugehen (rechter Kreis). In Jane’s dualistischer Erfahrung ist die Welt ein gefährlicher Ort für Christen. Sie erlebt eigentlich nicht, dass Gott "in der Welt" ist.

Für viele von uns ist dies die normale Erfahrung von "Gemeinde". Das Tragische ist, dass praktisch alles Jane dazu bringt, ihre Welt als etwas Gespaltenes zu erleben. Selbst die Predigt hat häufig mit ihrem Leben wenig zu tun und ist vor allem konzeptionell aufgebaut. Am Ende wird Gott als Gott der Gemeinde erlebt und nicht als Gott der ganzen Welt, einschliesslich der Gemeinde.

Eine Gemeinde, die so aufgebaut ist, hat keine missionale1 Spitze. Ihre institutionelle Botschaft widerspricht ihrer verbalen Botschaft und übertönt sie immer. Was sie ist, spricht lauter als was sie sagt. Ihre geistliche Struktur macht es den Leuten unmöglich, ihre Arbeit, Spiel oder Studium als Dienst oder Mission zu sehen. Dienst ist eine Gemeindesache und braucht Spezialisten. Die Gemeinde des Neuen Testaments war nicht so. Es ist "Christentum", was sich hier wieder einschaltet.

Könnte man die drei Elemente des Diagramms auch anders anordnen? Es gibt eine andere Haltung, die wir Gott, Gemeinde und Welt gegenüber einnehmen können. Diese Haltung nennen wir "missional-inkarnatorisch-messianisch-apostolisch", und wir glauben, dass sie einen kraftvollen Paradigmenwechsel gegenüber der normalen Kirche des "Christentums" bedeutet. Sehen Sie sich das folgende Diagramm an:

Es ist so leicht, eine evangelistische Botschaft auf eine Art und Weise auszudrücken, dass die Gemeinde – allein durch die Art und Weise, wie sie strukturiert ist und arbeitet – unserer lebensbejahenden Botschaft im Grunde widerspricht. Noch einmal: die Gemeinde als Medium ist die Botschaft.

Eine dualistische Struktur von Gemeinde lässt sich mit drei Kreisen versinnbildlichen, die nebeneinander liegen und sich überlappen: Gott – Gemeinde – Welt.

Wenn wir die drei Kreise neu anordnen, sehen wir plötzlich die christliche Erfahrung in einem völlig anderen Licht. Wenn alle drei Kreise sich in der Mitte überlappen, haben wir dort eine Gemeinde, die wirklich missional ist, tief inkarnatorisch2 und die in ihrem Leben und Handeln den Dienst Jesu in der Welt weiterführt.

Worship, Anbetung Gottes, geschieht hier immer im Kontext der Mission, ist kulturell relevant und hat eine definitive missionale Spitze, weil sie für alle offen ist. Evangelisation und soziale Aktion sind auf die konkrete Umwelt bezogen. Wir arbeiten mit Gott in der Errettung seiner Welt zusammen (Er ist schon da!), und unsere Spiritualität umfasst das ganze Leben.

Die Frage muss uns beschäftigen, ob wir mit Gott in seiner Sendung zusammenarbeiten können – wo auch immer wir uns gerade befinden. Die evangelikale Lehre sagt uns, dass wir den Menschen, zu denen wir gehen, "Gott bringen" müssen. Wir erzählen ihnen von Gott in der Annahme, dass sie noch keine Gotteserfahrungen gemacht haben. Das entspricht nicht der Bibel. Tatsache ist, dass Gott schon da ist und da war! Er hat schon immer gerufen, geworben und eingeladen und erlösend gehandelt, indem er Menschen zu sich zog.

Kommen wir noch einmal auf das zweite Diagramm zurück. Es umfasst die drei Bereiche, wo missionale Treue gefordert ist, und hat sein innerstes Zentrum da, wo Gott, sein Volk und die Welt sich treffen. Wir haben so viele Jahrhunderte lang unser "Gemeinde-Ding" gemacht und unsere Spiritualität, ja sogar unsere Evangelisation, letztlich getrennt von der Welt gelebt, dass wir keinen richtigen Begriff von wirklichem missional-inkarnatorischem Engagement haben.

Jesus sass in den Pubs und Beizen mit den "Gott-losen" herum und konnte scheinbar nicht genug davon kriegen. Genau dies verletzte die Empfindungen der religiösen Leute seiner Zeit. Jesus tat es trotzdem, denn er liebte die Zerbrochenen, die Sünder und die Ausgegrenzten und wollte, dass sie Gott durch ihn kennenlernen sollten.

Das Reich Gottes kam zu ihnen in Jesus, und es kann durch uns zu anderen kommen. Aber das ist nur möglich, wenn wir hinausgehen und uns mit normalen Menschen auf ihrem Grund und Boden treffen.

Habt Mut! Kommt aus eurem Hüherstall raus, vertraut Gott, lebt verbindlich, geht zu zweit raus und lasst es geschehen. Wenn ihr nicht wisst, was ihr da tut, folgt Jesus; er ist das beste Muster von Mission, das wir kennen. Es ist Zeit, fliegen zu lernen!

1
Im englischen Sprachraum hat sich in den letzten Jahren das Wort "missional" etabliert. Eine missionale Gemeinde ist eine Gemeinde, die sich grundlegend als Teil und Medium der Mission Gottes versteht und all ihre Prioritäten von daher organisiert. Das ältere Wort "missionarisch" hingegen drückt die diversen Aktivitäten und Programme aus, mit denen man "in die Welt" hineingeht. Missional ist, was die Gemeinde ist; missionarisch ist, was sie - in der Regel als ein Arbeitszweig unter anderen – tut.

2
Inkarnatorisch ist eine christliche Gemeinde, deren Selbstverständnis der Inkarnation (Menschwerdung) von Jesus (Philipper 2,5-8) entspricht und die entsprechend handelt.

Alan Hirsch und Michael Frost sprechen am Internationalen Kongress für Gemeinde-Innovation, 4.-6. Mai 2006 in Rorschach am Bodensee
www.kongress-fgi.info/Impulsgeber.htm

Alan Hirsch und Michael Frost haben das Buch „The Shaping of Things to Come“ geschrieben.

Quelle: Focusuisse, Bearbeitung Livenet

Datum: 30.03.2006
Autor: Reinhold Scharnowski

Werbung
Livenet Service
Werbung