„Täuferjagd“: Eine Region steigt in ihre Geschichte hinab

Fester Glaube trotz obrigkeitlichen Drohungen: Die Täufer geben im Dorf zu reden.
Im Zentrum: Der Chorrichter und seine Tochter
„Mir sy nid vo de Wält…“: Im Drama verdichten Chorlieder den Konflikt im Dorf.
Mitnehmen können sie bloss, was ein Karren trägt: Letzte Andacht der Täufer vor dem erzwungenen Wegzug.

Die Unterdrückung, Verfolgung und Vertreibung der Täufer im 16.-18. Jahrhundert hat im Emmental bis heute Spuren hinterlassen. Das Freilichtdrama ‚Täuferjagd’, im Sommer auf der Moosegg bei Langnau aufgeführt, bildete den Auftakt zur öffentlichen Besichtigung des wohl schmerzlichsten Kapitels der regionalen Geschichte. Die Fortsetzung ist angesagt.

Anna, die Tochter des Chorrichters, hängt dem täuferischen Glauben an. Dies kann im Dorf nicht verborgen bleiben. Der neue Prädikant ist ein „scharfer Hund“; täuferisches Treiben will er ausrotten. Annas Vater findet sich im Zwiespalt zwischen der Liebe zur Tochter und den Pflichten seines Amts, welches im obrigkeitlichen Zurechtweisen der Leute besteht. Im Dorf wird man gewahr, wie viele Bauern der Lehre anhangen. Ein von den Täuferjägern verfolgter Bursche findet auf dem entlegenen Hof Unterschlupf. Doch der Konflikt spitzt sich zu.

Ausverkaufte Abende auf der Moosegg

Die Moosegg liegt im Herzen des Emmentals aussichtsreich auf einer hohen Krete zwischen Langnau und Biglen. Seit 1997 hat der Berner Regisseur Peter Leu mit seiner Berner TheaterCompanie im Sommer Freilichtspiele aufgeführt und dem Gasthof ein kulturelles Renommée verschafft.

Letztes Jahr beauftragte er den Laupener Autor Marcel Reber, ein Täuferdrama zu schreiben. Alle Aufführungen im Juli und August waren ausverkauft – das Stück, das ums Jahr 1700 im Emmental spielt, zog Zuschauer von weither an.

Die Gnädigen Herren und ihre Kirche

Ein armes Dorf wird vorgeführt; es steht unter Spannung, da die Obrigkeit, vertreten durch den Landvogt und den Prädikanten, dem Täuferwesen ein Ende machen will. Doch die Täufer sind redliche, arbeitsame Leute, deren Gottesfurcht man Achtung zollt. Denunziation und Verfolgung erregen Unwillen, Gejagte werden versteckt.

Reber verwebt im Stück Dorfgeschehen, Liebesgeschichte und Familiendrama. Er lässt die Zuschauer mit dem Sinn der Moderne die damalige Intoleranz der Gnädigen Herren und ihrer Kirche besichtigen (die entsprechend schlecht wegkommen). Ausgedehnte Dialoge auf dem Hof des Chorrichters spüren dem unbedingten Ernst der täuferischen Religiosität nach.

Ein Riss geht durchs Dorf

Die 350 Zuschauer blicken auf eine baumumstandene Bühne; dahinter steigt gegen Ende des Stücks still der Mond auf. Er scheint schliesslich auf den Zug, der sich nach einer Andacht in den dunklen Wald aufmacht: die Gruppe der Täufer, welche vertrieben werden und Haus und Hof verlieren. Unter ihnen Anna, betrauert von der Mutter und dem Vater, der Hof und Heimat und Ansehen verhaftet bleibt.

Das Drama lässt die grausamsten Kapitel der Täuferverfolgung (Folter, Hinrichtung, Galeerenstrafen) aus – und bewegt gerade durch diese Beschränkung: Die ‚Täuferjagd’ bleibt im Dorf, trennt Menschen, die zusammengehören.

Unrecht, das in Erinnerung bleibt

Damit wird das Stück zum nachhaltigen Erlebnis für die Emmentaler – und für alle, denen kollektive Identität etwas Gewordenes, historisch Geprägtes ist. Ein rüstiger alter Eggiwiler erinnert sich beim Znacht vor der Aufführung, wie man in seiner Kindheit noch vom Geld erzählte, das Denunzianten (vor vielen Generationen) vom Amt erhalten hatten: Unrecht, das unsägliches Leid schuf und die Leute entzweite, bleibt in Erinnerung.

Verschwiegene Helden

Zwar existiert im Emmental eine Mennonitengemeinde, deren Wurzeln in die Reformationszeit zurückreichen. Und 2003, als die Emmentaler auf den Bauernkrieg von 1653 zurückblickten, kam auch die Intoleranz gegen Täufer zur Sprache. Doch sind in diesem Sommer die Täufer, verschwiegene Helden der Berner Geschichte der Neuzeit, „zgrächtem“ auf die Emmentaler Bühne zurückgekehrt – und „die zBärn obe“ müssen sich damit beschäftigen.

Der neue Dokumentarfilm „Im Leben und über das Leben hinaus“ von Peter von Gunten zeigt auf eindrückliche Weise, was aus den damals Verfolgten im Jura und im US-Bundesstaat Indiana geworden ist: Mennoniten, die kraftvoll-friedfertig darum ringen, ihre Gemeinschaft zu bewahren und zu erneuern. Der Film läuft derzeit in Zürich im Kino Riffraff; eine DVD ist geplant.

Die Vorbereitungen fürs Täuferjahr 2007 laufen

Auf das Emmental selbst kommt in den nächsten Monaten einiges zu: Ein Komitee um den Emmentaler Kulturförderer Fritz von Gunten plant ein Täuferjahr 2007. In der Trägerschaft sind die reformierte Landeskirche wie die Mennoniten vertreten. Man darf gespannt sein.

Datum: 17.10.2005
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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