Vor 450 Jahren mussten die Protestanten Locarno verlassen

Locarno mit Madonna del Sasso

Dem neuen Glauben abschwören oder die Stadt verlassen: Vor dieser Wahl standen vor 450 Jahren die Protestanten von Locarno. Über 50 Familien mit insgesamt 173 Personen verliessen am 3. März 1555 die Stadt und zogen nach Zürich.

Den entsprechenden Beschluss hatte die eidgenössische Tagsatzung bereits im November 1554 in Baden getroffen. Immerhin wurde mit der Umsetzung zugewartet, bis die kältesten Wintermonate vorbei waren.

Von Toleranz geprägt war die religiöse Auseinandersetzung in der ennetbirgischen Vogtei nicht. So war beispielsweise in Locarno am 21. Januar 1555 der evangelische Schuhmacher Niklaus Greco auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, weil er sich über einen katholischen Brauch lustig gemacht hatte. Die katholischen Locarnesi pflegten damals der Muttergottes in der Kirche Madonna del Sasso regelmässig Speis und Trank zu opfern. Der dortige Priester nahm diese Gaben jeweils dankend entgegen. Als Greco eines Tages jemanden zur Kirche hinaufgehen sah, fragte er, für wen der Wein bestimmt sei. "Für die Mutter Gottes", erhielt er zur Antwort. "Eine Statue trinkt doch keinen Wein", erwiderte der Schuhmacher. Diese Bemerkung kostete ihn das Leben.

Einige verängstigte Protestanten kehrten in jenen Tagen zwar zu ihrem alten Glauben zurück. Viele alteingesessene Familien (die Pestalozzi, von Muralt, von Orelli etc.) verliessen jedoch Locarno und zogen nach Zürich. In der Zwinglistadt bauten sie den Seidenhandel auf.

In Locarno war der Jubel der Katholiken ob der Ausweisung der Protestanten nur von kurzer Dauer: "Mit ihnen war der fleissigste und gewerbsamste Teil der Bevölkerung vertrieben, der Handel auf dem Platze Locarno geriet in Verfall", schreibt Alfred Stucki in seiner "Geschichte der evangelischen Bewegung in Italien und der italienischsprachigen Schweiz".

Heute leben über 20 000 Protestanten völlig unangefochten im Tessin. Locarno wird des Exodus der Protestanten nicht an einem bestimmten Tag gedenken. Über das ganze Jahr hindurch sind aber Veranstaltungen zum Thema "Frieden und Toleranz" geplant.

Datum: 03.03.2005
Quelle: RNA

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