"So sterben zu dürfen ist das Schönste"

Historiker entdeckt letzte Briefe der Lübecker Märtyrer

Hamburg, Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis, 10. November 1943, gegen 18 Uhr. Vier Männer werden von den Schergen der Nationalsozialisten in den Hinrichtungsraum geführt. Das Geräusch des Fallbeils ist schnarrend, dann dumpf.
Sein „Verbrechen“: Pastor Karl Friedrich Stellbrink verteilte Schriften, die sich gegen die Vernichtung psychisch und physisch Kranker wandten.

Im Abstand von jeweils nur drei Minuten sterben der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink sowie die katholischen Kapläne Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange. Sie hatten von der Kanzel und mit Flugschriften gegen die Verbrechen des Nazi-Regimes protestiert.

Abschiedsbriefe gefunden

"Ihr Blut floss ineinander", hiess es - ein ökumenisches Zeugnis. Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Tod der Lübecker Geistlichen spiegelt sich ihr Zeugnis auch in wieder gefundenen Dokumenten: Abschiedsbriefe, die als verschollen galten, Gerichtsakten, von denen man glaubte, sie seien im Krieg verbrannt. Der Lübecker Historiker Peter Voswinckel hat sie im Berliner Bundesarchiv entdeckt. "Der Fund vervollständigt unser historisches Wissen um diese Vorgänge", sagt Voswinckel.

„Gott ist so gut“

Unter den Briefen sind zwei Schreiben, die Johannes Prassek aus der Todeszelle an seine Eltern und eine Ordensschwester richtete. "Ihr Lieben, heute Abend ist es nun so weit, dass ich sterben darf", schreibt der 32-jährige gebürtige Hamburger wenige Stunden vor der Hinrichtung. "Ich freue mich so, ich kann es Euch nicht sagen. Gott ist so gut, dass er mich noch einige Jahre als Priester hat arbeiten lassen und dieses Ende - so mit vollem Bewusstsein und in ruhiger Vorbereitung darauf sterben dürfen ist das Schönste von allem."

Zu viel Freude und Gottvertrauen

Prasseks Brief wurde damals vom Oberreichsanwalt zensiert, weil er zu viel Freude und Gottvertrauen ausdrücke, dafür aber “jedes Unrechtsbewusstsein vermissen lasse“. Dies würde "dem Staatswesen abträglich sein", stellte der Jurist fest. Ferner zeigen die Akten, dass die Angehörigen der vier Geistlichen nicht über die Vollstreckung der Todesurteile informiert wurden. Das belegen Briefe der Väter von Prassek und Lange, die ein Vierteljahr nach der Hinrichtung schriftlich um Aufklärung baten. Der Volksgerichtshof antwortete, dies sei weder vorgeschrieben noch üblich.

Auch Hamburgs Erzbischof Werner Thissen sieht in dem Fund eine grosse Entdeckung. "Das ist eine Sensation. Diese Gläubigkeit und das Gottvertrauen werden auch nach 60 Jahren und auch nach 1.000 Jahren noch anrühren", erklärt das Oberhaupt von 400.000 Katholiken in Norddeutschland.

Der letzte Brief der Lübecker Geistlichen erreichte erst jetzt seine Adressaten: Die Tochter von Karl Friedrich Stellbrink hat nach 61 Jahren ein Schreiben ihres Vaters erhalten. Tief bewegt nahm sie es vor kurzem aus den Händen von Voswinckel entgegen. Die Gerichtsakten der Kapläne sind durch die Kriegseinwirkungen lückenhaft, doch die Unterlagen von Stellbrink sind vollständig. Die evangelische Kirche will noch mehr Informationen zu Leben und Sterben des Geistlichen sammeln. Die Funde bieten auch dafür reiches Material.

Autor: Bernd Buchner

Datum: 15.11.2004
Quelle: Kipa

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