"Streithengst" für Gottes Wort

E. W. Hengstenberg
Altes Testament

Ernst Wilhelm Hengstenberg kämpfte für die Geltung der Heiligen Schrift.

Ernst Wilhelm Hengstenberg wurde am 20. Oktober 1802 in Fröndenberg (Mark) geboren. Er gilt mit Recht als einer der einflussreichsten Fundamentalisten des 19. Jahrhunderts. Sprachlich hochbegabt, veröffentlichte er schon als junger Mensch eine Übersetzung der "Metaphysik" des Aristoteles und eine Bearbeitung der "Moallakah" des Amrilkais.

Das kirchliche Leben und die Theologie war am Anfang des 19. Jahrhunderts vom Skeptizismus und Rationalismus geprägt. Dennoch muss es bei Hengstenberg, wahrscheinlich in Basel, zu einer tief greifenden inneren Wandlung gekommen sein, denn sofort nach seiner Habilitation in Philosophie (1824) und Theologie (1825) war er entschiedener Gegner des damaligen Rationalismus.

Sein Hauptwerk ist eine dreibändige "Christologie des Alten Testamentes" (2. Aufl. 1854–58). Daneben schrieb Hengstenberg Kommentare über die Psalmen, das Hohelied, das Johannesevangelium, die Offenbarung des Johannes und die "Weissagungen des Propheten Hesekiel" (1867–1868), das Buch Hiob sowie die "Geschichte Bileams und seiner Weissagung". Ein fleissiger Mann! Gern nahm er die damals aufkommenden Erkenntnisse der ägyptologischen Wissenschaft in seine alttestamentlichen Forschungen auf.

Ungemein einflussreich war Hengstenberg durch seine 1827 gegründete "Evangelische Kirchenzeitung". Dies trug ihm allerdings bald den Namen eines "Streithengstes" ein, nicht zu Unrecht. Denn Ernst Wilhelm Hengstenberg war, wenn es um die Wahrheit des Wortes Gottes ging, ein glühender Kämpfer und Feind aller Kompromisse. Ein Höhepunkt jener geistigen Kämpfe war der "Hallische Streit" gegen die liberalen Professoren Wegscheider und Gesenius. Dieser ist unter den Fachleuten als der "heftigste Schlag" (Nathusius) gegen die akademische Herrschaft des alten Rationalismus anerkannt.

Als Mensch hatte der streitbare Theologe viel Angenehmes an sich. Seine Biographen beschreiben ihn als einen "stillen Mann", der "in viel Trübsal geschult", fern allem lärmenden Wesen, mit dem kleinen Neffen zum Bäcker ging und ihm unterwegs die Schönheit der Bäume im Frühling und der blühenden Wiesen zeigte.

Hengstenberg starb am 28. Mai 1868 in Berlin. Interessant und zugleich nachdenklich stimmend ist sein Sterbewort: "Das ist die Nichtigkeit des Rationalismus, die Hauptsache ist Christus – Christus ist – es ist Christus!"

Der Historiker Wilhelm von Nathusius schreibt, nach seinem Sterben hatten "Freund und Feind das Gefühl, dass ein Mann abgerufen war, der für die Kirche Gottes in Deutschland zu seiner Zeit die meiste Bedeutung hatte".

Ein Schüler Hengstenbergs war der Alttestamentler Carl Friedrich Keil (1807–1888). Keil wurde am 26. Februar 1807 in Lauterbach bei Oelsnitz/ Vogtland als einziger überlebender Sohn einfacher Landarbeiter geboren. Sein Wunsch war, das Tischlerhandwerk zu ergreifen. Darum ging er, den damaligen Gepflogenheiten folgend, auf die Wanderschaft. Sein Ziel: Petersburg. Dort lebte ein Onkel Keils als Tischlermeister. Am 7. Mai 1821 begab er sich gemeinsam mit einem Glauchauer Goldschmiedegesellen auf die Fusswanderung nach Lübeck. Von dort ging die Reise per Schiff weiter.

Bei seinem Onkel eingetroffen, zeigte sich aber bald, dass er für die Hobelbank noch zu klein und zu schwach war. Darum beschloss der Onkel, ihn abermals auf die Schulbank zu setzen. Zunächst, um Russisch und Französisch zu lernen. Hier in der deutschen Petrischule zu Petersburg zeichnete er sich aber durch Fleiss und Begabung so aus, dass er, dank der kräftigen Unterstützung durch die Kaiserin Maria Feodorowna (sie war die Schwester Wilhelms I.) zuerst in der deutsch-russischen Universität Dorpat und später in Berlin Theologie studieren durfte.

Sowohl in Dorpat wie in Berlin fand er Männer, durch die er zum lebendigen Glauben kam und deren väterlicher Freundschaft er viel zu verdanken hatte. In Berlin war es besonders Ernst Wilhelm Hengstenberg, der ihm zu jenem konservativ-bibeltreuen Standpunkt verhalf, den Keil als Christ wie als Wissenschaftler bis zu seinem Lebensende vertrat. Gelegentlich redigierte er dessen einflussreiche "Evangelische Kirchenzeitung".

Alexander von Humboldt bemühte sich vergeblich, den jungen hochbegabten Gelehrten für die Orientalistik zu gewinnen. Keil folgte 1833 einem Ruf an die theologische Fakultät nach Dorpat. Dort wirkte er 25 Jahre lang als ein beliebter Lehrer der alt- und neutestamentlichen Exegese sowie der orientalischen Sprachen. 1859 begab er sich dann nach Leipzig. Hier wurden ihm nahezu volle dreissig weitere Lebensjahre geschenkt, in denen er bei bester körperlicher und geistiger Frische als Privatgelehrter weiterarbeitete. Zugleich nahm er auch am praktischen kirchlichen Leben regen Anteil. Vor allem hatte er ein Herz für die Aufgaben der Mission.

In dieser Zeit nahm er auch das Hauptwerk seines Lebens in Angriff, den gemeinsam mit seinem Freund Franz Delitzsch herausgegebenen "Biblischen Kommentar über das Alte Testament". Dieses Kommentarwerk, der "Keil/Delitzsch", wurde bis in die jüngste Zeit hinein in Amerika in immer neuen Auflagen gedruckt.

Keils Schriften sind in der Tat auch heute noch ein Gewinn für einen jeden Christen, der ernsthaft an einer bibeltreuen und zugleich wissenschaftlichen Auslegung der Heiligen Schrift interessiert ist. "Er war", so sagt Franz Delitzsch, "ein langsam und bedächtig sich fortbewegender Forscher, nicht phantastisch, aber umso verständiger und verständlicher, nicht geistreich, aber umso gesünder in der Lehre und der Bezauberung durch blendende Theorien unzugänglich."

Unter seinen Schriften sind besonders erwähnenswert seine "Einleitung in die kanonischen und apokryphischen Schriften des Alten Testaments", die auch nach Gleason Archers "Einleitung" (Bad Liebenzell, 1987) noch nicht überflüssig wird; ferner "Biblische Archäologie" und dann natürlich die stattliche Reihe seiner Kommentare zu den einzelnen biblischen Büchern.

Ausser Jesaja, Prediger, Hohelied, Psalmen, Sprüche und Hiob, die Franz Delitzsch bearbeitete, schuf Keil in ungemein fleissiger Arbeit die Kommentare zu allen anderen alttestamentlichen Büchern. Auch I. und II. Makkabäer, alle vier Evangelien, die Petrus- und Judasbriefe und der Hebräerbrief sind von ihm kommentiert.

Keils Ideal von theologischer Arbeit war ein vom Glauben beherrschtes, aber gleichwohl mit allen Mitteln historischer und philologischer Wissenschaft ausgerüstetes Streben nach einem vollen Verständnis der biblischen Texte. So ist denn auch das Charakteristische an Keils Kommentaren die scharfe und entschiedene Betonung des Gotteswortcharakters aller Teile des Kanons, bei gleichzeitiger Zurückweisung der kritischen Hypothesen.

Antworten auf neuere Fragestellungen kann man in diesen Kommentaren natürlich noch nicht finden. Dennoch werden sie als eine noch immer erfrischende Quelle der von Gott geschenkten Schriftwahrheit empfunden. Die Erläuterung bleibt nicht einfach im Historischen und Altphilologischen hängen. Stets wird dem interessierten Leser auch die Tür zu Bibelstunde und Predigt aufgetan.

Franz Delitzsch bemerkt im Vorwort zu Keils "Kleinen Propheten" (3. Aufl. 1888), er habe aus dem Munde wissenschaftlich weiterarbeitender Geistlicher öfter gehört, dass sie Keils Kommentare allen anderen, auch den seinigen, vorzögen. Diesem Satz werden auch heute noch viele zustimmen. Dem Brockhaus-Verlag, Wuppertal, ist jedenfalls zu danken, dass er seinerzeit durch die Neuherausgabe der Kommentare von Keil/Delitzsch einem weiteren Kreis von Interessenten den Zugang zu diesen wertvollen Büchern wieder ermöglicht hatte.

Autor: Manfred Schäller

Datum: 11.11.2004
Quelle: factum Magazin

Publireportage
Werbung
Livenet Service
Werbung