«Israel hat immer von der Hoffnung gelebt»

„Israel kann sich Hoffnungslosigkeit nicht leisten“: Ilan Elgar, israelischer Botschafter in Bern.
„Viele Sympathien in der Schweiz“: Ilan Elgar beim Interview mit idea an seinem Berner Sitz.
„Vor 60 Jahren waren die einzigen Exporte ein paar Orangen. Schauen Sie, wo wir heute stehen!“

Israel geniesst in der Schweiz viel Verständnis und viele Sympathien. Dies stellt der israelische Botschafter in Bern, Ilan Elgar, dankbar fest. Zum 60-jährigen Bestehen des Staates Israel hat er mit idea Spektrum auch über die Schweizer Aussenpolitik und die Hoffnungen für sein Heimatland.

idea: Herr Botschafter, was unterscheidet Bern von Jerusalem?
Ilan Elgar: Beides sind Hauptstädte, historische Städte, mit ganz anderer Geschichte. Jerusalem ist einiges älter, nämlich etwa 3500 Jahre alt. Der Hauptunterschied ist, dass Bern nicht so umstritten ist. Jerusalem ist für die drei monotheistischen Religionen ein Zentrum und heilig. Ausserdem schneit es in Jerusalem meist noch weniger als in Bern ...

«In Nahost liegt Krieg in der Luft», schreibt «Die Welt». Ist das auch Ihre Befürchtung?
Die Situation ist prekär. Im Gegensatz zu jedem andern nur denkbaren Land haben wir fast ewige Probleme. Israel lebt mit einer Umgebung, die zum Teil bis heute nicht bereit ist, seine Existenz zu akzeptieren. Da gibt es die Hamas, die Hisbollahs und den Iran, die Israel nach wie vor vernichten wollen und das auch aktiv vorantreiben. Israel wurde am Freitag, 14. Mai 1948, offiziell gegründet. Schon am 15. Mai begann die Invasion von allen Seiten her. Die Araber wollten Israel vom ersten Moment an vernichten. Es dauerte 30 Jahre und ein paar Kriege, bis einige Nachbarn verstanden hatten, dass man Israel nicht mehr loswerden kann. Ende der Siebzigerjahre kam es zum Frieden mit Ägypten, Anfang der Neunzigerjahre mit Jordanien. Wir versuchen heute auch wieder, mit den Palästinensern zu reden, wobei das leider nur mit einem Teil, mit Herrn Abbas, möglich ist. In Gaza herrschen heute die Hamas, und die sprechen nur durch Raketen mit uns.

Steht Israel im Gazastreifen vor einem zweiten Libanonkrieg?
Ich möchte das nicht, niemand in Israel möchte nach Gaza einmarschieren, auch wenn die Armee sagt, sie wäre für eine solche Operation bereit. Das brächte viele Opfer, auch unter den Zivilisten. Die Terroristen operieren direkt aus den Städten und den Wohnhäusern heraus. Sie nehmen zivile Opfer in Kauf. Doch man muss etwas machen gegen diesen ständigen Terrorismus!

Von direkten Gesprächen zwischen Israel und den Hamas versprechen Sie sich nichts?
Israel ist bereit, mit den Hamas zu sprechen. Das haben wir oft gesagt. Aber nur unter drei Bedingungen: Die Hamas müssen das Existenzrecht Israels akzeptieren, sie müssen dem Terror absagen und sie müssen sich an die früheren Vereinbarungen zwischen Israel und den Palästinensern halten. Wir können doch nicht mit jemandem reden, der uns vernichten will.

Wie beurteilen Sie die offizielle Schweizer Nahostpolitik?
Grundsätzlich sind die Beziehungen zwischen Israel und der Schweiz sehr gut. Auch mit den Kollegen im EDA verstehen wir uns sehr gut, auch wenn sie nicht immer die gleichen Ideen haben. Wir schauen verschiedene Probleme des Nahen Ostens etwas anders an als Leute, die immer nur hier sitzen. Wir bedauern die Kontakte, welche die Schweiz mit den Hamas führt.

Die Hamas interpretieren eine solche Gesprächsbereitschaft als einen Bruch in der Wand des Westens. Sie fühlen sich dadurch bestärkt und sagen sich: Warum sollten wir uns ändern? Israel wünschte sich auch, dass sich die Schweiz wie andere westliche Staaten klarer gegen den Iran und seine nukleare Bedrohung stellt. Wir sind sehr besorgt über die Situation im Iran. Wir finden, der einzige Weg, um den Iran zur Vernunft zu bringen, wären gemeinsame Sanktionen aller vernünftigen Staaten.

Unserer Aussenministerin, Frau Calmy-Rey, wird manchmal vorgeworfen, sie sympathisiere sehr stark mit den Palästinensern.
(überlegt lange) Ich weiss nicht, wer mehr Sympathien hat. Vom EDA wurde am 29. Februar wieder auf die Menschenrechte hingewiesen. Die Schweiz versteht sich als Vertreterin der internationalen humanitären Rechte. Manchmal wird darum auch Israel kritisiert. Wir sind auch für diese Rechte! Im Gegensatz zu den Hamas beschiessen wir nicht gezielt Zivilisten. Die israelische Armee gibt sich im Kampf gegen den Terrorismus grosse Mühe, Zivilisten zu schonen. Doch die Terroristen sitzen mitten in der Bevölkerung von Gaza, in den Wohnhäusern und den Schulen. Uns tut es sehr Leid, wenn Zivilisten zu Schaden kommen. Doch das lässt sich in dem Krieg, den man gegen uns führt, nicht immer vermeiden.

Was geht in Ihnen vor, wenn Sie an Berichte über Israel in den Schweizer Medien denken?
Ich ärgere mich oft darüber. Viele Reporter haben eine bestimmte Ideologie. Objektivität ist schwer erreichbar - wir sind alles Menschen. Doch ich erwarte Fairness und Ausgewogenheit. Wenn ich im Detail lese, was in Gaza passiert, aber nichts über den Hintergrund erfahre, empfinde ich das als problematisch. Ein Schweizer TV-Reporter sagte mir kürzlich, ihm stünden jeweils für einen Beitrag nur 90 Sekunden zur Verfügung. Da müsse er Hard-News zeigen. Das kann nicht ausgewogen sein. In Israel geschieht auch viel Positives. In Israel wird nicht nur geschossen! Am letzten Samstag gingen über 60 Raketen auf die Stadt Sderot nieder. Ein Haus wurde zerstört, dessen Bewohner zufällig bei Verwandten waren. Wer berichtet darüber?

Sie waren kürzlich in Bern an einem Treffen mit 1400 Israel-Freunden. Wie haben Sie den Anlass von «Pro Israel» erlebt?
Ich war sehr erfreut. Man steht vor einer so grossen Gruppe von Leuten und spürt: Das sind Freunde. Nicht jeder, der Israel kritisiert, ist gegen Israel. Man darf uns kritisieren. Aber wenn man eine solche Liebe zu Israel spürt, dann ist das sehr ermutigend.

Wie erklären Sie es sich, dass Ihr Land gerade unter frommen Schweizer Christen am meisten Sympathien geniesst?
Im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen in andern Ländern erlebe ich in der Schweiz im Grunde genommen ziemlich viel Sympathie und Verständnis für Israel, nicht nur von frommen Israel-Freunden wie den Herrschaften von «Pro Israel». Ich möchte nicht spekulieren, warum das so ist. Ich schätze es einfach.

Was bedeutet es für Ihr Land, dass viele dieser Christen regelmässig nach Israel reisen und israelische Projekte unterstützen?
Das sind Zeichen von Sympathie und Freundschaft, die wir sehr schätzen. Ein Volk, das in einer schwierigen Umgebung lebt und in den 60 Jahren seit der Staatsgründung nicht einen Tag im vollen Frieden leben konnte, freut sich sehr über so viel Freundschaft von Christen aus der ganzen Welt. Auch wenn Israel in vielen Bereichen sehr erfolgreich ist, gibt es auch viele Bedürfnisse gerade von Einwanderern. Das kostet viel Geld und braucht auch seelische Hilfe.

Unter Schweizer Christen macht sich eine gewisse Beunruhigung breit, weil sich messianische Juden in Israel oft diskriminiert und schikaniert vorkommen.
Ich möchte hier nicht für die orthodoxen Juden sprechen. Sie haben Probleme mit den Christen, mit den Missionaren. Ich repräsentiere hier den Staat Israel und nicht eine bestimmte Gruppierung.

Auch dem Staat Israel wird vorgeworfen, er schütze messianische Christen zu wenig. Sie würden von Beamten schikaniert, indem unerwartet ein Visum nicht verlängert werde oder der Entzug der israelischen Staatsbürgerschaft angedroht werde.
Es gibt in der israelischen Gesellschaft viele ethnische und auch religiöse Konflikte. Diese Frage aber kann ich nicht beantworten. Da müsste ich bestimmte Sachen genauer erfahren, damit ich ihnen nachgehen könnte. Wenn wir davon erfahren, werden wir selbstverständlich handeln.

Die Religionsfreiheit ist in Israel voll gewährleistet?
Ja, das ist sie, auch wenn man bedenken muss, dass es in Israel sehr viele Religionen gibt, auch viele Sekten. Auch die Bahai-Religion hat in Israel ihr Zentrum. Oft gibt es ja auch Probleme innerhalb der einzelnen Religionen, auch unter den verschiedenen Christen. Doch ich möchte betonen, dass wir die religiöse Freiheit maximal hochhalten in einer schwierigen Situation in einem kleinen Land und in einer kleinen Stadt wie Jerusalem.

Die Alija, die Einwanderung nach Israel, ist auf ein 20-Jahres-Tief gesunken. Bietet Israel keine Perspektiven mehr?
Im Gegenteil, in der israelischen Wirtschaft bieten sich immer bessere Perspektiven. Sie sind viel besser als vor 30 Jahren, ja auch als letztes Jahr. Unser kulturelles Leben ist fabelhaft. Doch es ist so, dass eine bestimmte Reserve von möglichen Einwanderern zu Ende geht. Ich kenne kein Land, das sich so vermehrt hat, von 600_000 Einwohnern vor 60 Jahren auf 7,5 Millionen heute, also wie die Schweiz. Die Möglichkeiten in unserem Land sind heute eigentlich unbeschreiblich. Darum kehren viele Israelis, die ausgewandert sind, wieder zurück.

Nach biblischer Prophetie steht Israel im endzeitlichen Geschehen im Zentrum der Weltpolitik. Denken Sie angesichts der politischen Entwicklung an diese Prophetien?
Ich möchte sehr vorsichtig sein, wenn Verbindungen zwischen den Prophetien und der heutigen Politik hergestellt werden. Es ist richtig, dass wir uns immer wieder im Zentrum des Interesses befinden. Wenn in Afrika, im Kongo, Tausende umgebracht werden, interessiert das die Welt eigentlich nicht. Wenn man die Schlagzeilen der Weltpresse sieht, hat man den Eindruck, 50 Prozent des aktuellen Geschehens passiere gerade im Nahen Osten.

Womit die biblischen Prophetien nicht widerlegt wären.
Der Zusammenhang kann sehr gut möglich sein, doch ich bin kein Interpret von Prophetien. Ich habe die Bibel gelernt wie alle Israelis, und ich lese sie immer wieder. Doch ich bleibe bei der heutigen Politik.

Das jüdische Magazin «tacheles» schreibt: «Der stockende Friedensprozess mit den Palästinensern und die iranische Bedrohung sind die beiden Themenkreise, die für ein pessimistisches bis hoffnungsloses Gesamtbild sorgen.»

Was macht Ihnen Hoffnung?
Wenn man in diesem Teil der Welt lebt, kann man nur leben, wenn man Optimist ist. In Israel sagt man: «Wer bei uns nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.» So leben wir, auch wenn die Lage schwierig ist. Doch sie war in früheren Zeiten noch viel schwieriger. Es gab Zeiten, da wir mit keinem Nachbarn Frieden hatten. Vor 60 Jahren waren die einzigen Exporte ein paar Orangen. Schauen Sie, wo wir heute stehen!

Wird es in Israel Frieden geben?
Das weiss ich nicht. Ich kann nur hoffen. Die Hoffnung war uns immer das Licht, in dem wir gelebt haben und in dem wir in die Zukunft schauen. Israel kann sich Hoffnungslosigkeit nicht leisten! Wir haben alles erreicht durch eine starke Hoffnung.

Israels Botschafter in der Schweiz
Ilan Elgar, geboren am 22. Januar 1947 in Tel Aviv, verheiratet, drei Kinder. Schulen in Tel Aviv, Armeedienst, Studium der Soziologie und Anthropologie. 1977 Eintritt ins Aussenministerium in Jerusalem als Kadett. Aufstieg im Aussenministerium bis zum Direktor der Abteilung für Internationale Organisationen. Dazwischen diplomatische Dienste in Malawi, den USA, Norwegen und Deutschland. Seit 2006 Botschafter des Staates Israel in der Schweiz.

Kommentar

Angespannte Stimmung

Von David Sommerhalder

Die israelische Botschaft im Berner Kirchenfeld-Quartier ist schwer bewacht. Beim Eingang ins Gebäude wird jeder Kugelschreiber kontrolliert. Doch auch im Innern des schlichten Gebäudes bleibt die Stimmung angespannt. Irgendwie scheint man die «prekäre Situation» - so der Botschafter - im Gazastreifen auch hier in Bern zu spüren. Wir sitzen mit Botschafter Ilan Elgar in seinem Arbeitszimmer, um mit ihm ein Interview über den Staat Israel, der dieses Jahr 60 Jahre alt wird, zu führen.

Konzentriert und überlegt beantwortet er mit leiser Stimme unsere Fragen – durch und durch Diplomat. Trotzdem wird er an einigen Stellen bemerkenswert deutlich. Zum Beispiel, wenn es darum geht, dass die Schweiz Gespräche mit der Hamas führt.

Erst als der Botschafter auf eine Veranstaltung von «Pro Israel» angesprochen wird, an der er kürzlich vor 1400 Israel-Freunden gesprochen hat, scheint sich ein Anflug von Entspannung über das Gesicht zu ziehen. Doch ganz genau kann er dann doch nicht erklären, weshalb diese Leute, entgegen dem Mainstream, so viele Sympathien für sein Land hegen. Es wird deutlich, dass hier zwei Welten aufeinander prallen: Auf der einen Seite die Christen, welche in Israel Gottes Volk und die damit verbundenen Verheissungen sehen, und auf der anderen Seite der Israeli, der schlicht und einfach als freier Bürger in Sicherheit in seinem eigenen Staat leben will.

Es tut gut, sich das als Christ immer wieder bewusst zu machen: Gottes Verheissungen für Israel sind unbestritten, aber sie werden sich zu seiner Zeit und nach seinem Plan erfüllen. Bis dahin erleben wir einen von Gott geliebten, aber auch menschlichen und fehlbaren Staat Israel. Einen Staat, der manchmal mehr, manchmal weniger nach dem Willen seines Gottes handelt.

Doch vor allem ist Israel auch ein Staat, der in den letzten 60 Jahren unzählige Wunder erlebte. Niemand hätte viel auf das Land gewettet, als es 1948, einen Tag nach der Staatsgründung, von allen Nachbarstaaten angegriffen wurde. Heute existiert es immer noch, als einzige Demokratie weitherum, mit einer Wirtschaft und Exportindustrie, die man sonst nur im Westen antrifft. Eine unglaubliche Erfolgsgeschichte!

Dennoch: An Frieden in naher Zukunft scheint niemand zu glauben. Auch der Botschafter nicht. Was besteht und Kraft gibt, ist lediglich die Hoffnung. Wie viele Israelis sieht auch Ilan Elgar mit Stolz auf die letzten 60 Jahre zurück und darauf, was der kleine Staat in dieser Zeit alles erreicht hat. Hoffnungslosigkeit könne sich Israel gar nicht leisten. 24 Stunden nach dem Ende des Interviews tötet ein militanter Palästinenser in einer jüdischen Talmud-Schule in Jerusalem acht Menschen. Ja, es braucht Hoffnung, wenn man in diesem Umfeld überleben will.

Kommentar: David Sommerhalder

Datum: 18.03.2008
Autor: Andrea Vonlanthen
Quelle: ideaSpektrum Schweiz

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