„Männern fehlt die Kraft zu geben“: arabische Frauen zwischen Aufbegehren und Passivität

Arabische Frau
Saudi-Arabien
Khaled al-Maeena

Die Stellung der Frauen gibt in Saudi-Arabien mehr und mehr zu reden. Die Frauen leben ausserhalb ihres Heims, das heisst bei der Arbeit und im öffentlichen Leben, prinzipiell unter Aufsicht männlicher Verwandter. Ohne diese Aufsicht dürfen sie mit einem Nicht-Verwandten nicht Kontakt aufnehmen.

Die Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen in anderen arabischen Ländern und im Westen lassen moderne Saudis, Journalisten und Akademikerinnen, zunehmend aufbegehren. Der Chefredaktor der reformorientierten Zeitung ‚Arab News’, Khaled al-Maeena, schrieb kürzlich dazu, man müsse zwischen sozialen Bräuchen und religiösen Normen unterscheiden. „Die ersten können geändert werden, die zweiten nicht.“

Seit dem 18. Jahrhundert dominiert auf der Arabischen Halbinsel die strikte wahhabitische Ausprägung des Islam, die Anpassungen an Zeitströmungen und fremde Einflüsse ablehnt und Misstrauen und Kampf gegen Fremde und Nicht-Wahhabiten (auch Muslime) gebietet.

Beschämend: Frauen im Elend

Saudi-Arabien ist das Herzland des Islam, das sich mit seinen Petrodollars in die Moderne katapultierte – wenigstens was die Infrastruktur betrifft. Nun wagen Journalisten zu sagen, dass viele Frauen in diesem Land im Elend leben. „Viele haben nicht, was sie brauchen, haben ihren Besitz verloren und sind einsam.“

„Der Fokus (der neuen staatlichen Menschenrechtsvereinigung; Red.) muss auf Ehefrauen sein, die misshandelt wurden, auf geschiedenen Frauen, denen der Zugang zu ihren Kindern verwehrt wird, und auf Kindern, die ebenfalls misshandelt wurden. Die Zahl dieser Fälle ist erschreckend hoch – sie beschämt uns alle, die wir Muslime sind“, schreibt Al Meena in seiner Kolumne.

Gleiche Rechte – für Alle!

In der Folge erwähnt er die Nöte ausländischer Frauen, die von Saudis geheiratet wurden. „Sie und ihre Kinder müssen human behandelt werden, was leider nicht immer der Fall ist.“ Der Chefredaktor erhält viele Briefe von Frauen, die „regelmässig seelischen und körperlichen Grausamkeiten unterworfen werden“ – und er kann ihnen selten mehr bieten als Worte des Mitleids.

Das Land erlaubt nach den Vorgaben des Koran die Polygamie, wobei da von maximal vier Frauen die Rede ist. Viele wohlhabende Saudis und Männer aus den Golfstaaten ehelichen eine oder mehrere weitere attraktive Frauen, nicht selten in den Ferien. Wenn die Zahl vier überschritten wird, entlassen sie eine Gattin, wogegen sich diese nicht wehren kann.

58. Heirat – 54. Scheidung?

Mitte März wurde bekannt, dass der 64-jährige Geschäftsmann Saleh al-Saiari eben ein 13 Jahre junges Mädchen zu seiner 58. Braut erkoren hat und noch dann zweimal heiraten will, um die Zahl 60 vollzumachen.

Al-Saiari, der aus einer Hirtenfamilie stammt und erstmals mit 14 heiratete, hat 36 Söhne und Töchter. Er sagte einer Zeitung, er werde mit dem Los die zu entlassende Frau bestimmen. Saudische Männer dürfen nur vier Frauen auf einmal haben. Er habe Analphabetinnen geheiratet und Frauen mit Universitätsabschluss; die zweite Sorte gefalle ihm besser.

Rechte bloss auf dem Papier

Vor diesem Hintergrund fordert der Publizist al-Meena gleiche Rechte für alle Bewohner des Landes. Angesichts der Misshandlung von Frauen schreibt er: „Solche Dinge müssen aufhören in Saudi-Arabien“. Es bringe nichts, ständig zu wiederholen, der Islam gebe allen Rechte. „Das stelle ich nicht in Frage. Aber es ist an den Menschen, diese Rechte umzusetzen, und Menschen versagen dabei oft…“

Schärfer über den saudischen – und arabischen – Mann hat sich kürzlich Wajiha al-Huwayder geäussert. Die prominente Journalistin schrieb für die grosse saudische Zeitung Al-Watan, bis ihre Artikel über die Probleme der Frauen die Herrscher erzürnten. Im letzten August ordnete Kronprinz Abdullah ihre Entlassung an, da sie “die Grundlagen der Nation beschädigt“ und über Themen geschrieben habe, „welche die Scharia (das islamische Gesetz) nicht erlaubt“.

Wahhabitisches Dynamit

Gemeint ist seine wahhabitische Auslegung: Der Prediger Mohammed-al-Wahhab hatte sich im 18. Jahrhundert mit dem Vorfahren der heutigen Saud-Herrscherfamilie verbündet; seither stützt sich das Selbstverständnis der Saud und ihr Herrschaftsanspruch über die Halbinsel und ihre Bodenschätze auf die Bewahrung und Förderung der intoleranten wahhabitischen Ausprägung des Islam, welche keine Glaubensfreiheit zulässt.

Der Wahhabitismus ist heute noch Staatsreligion, prägt das Leben und dient als Messlatte, wenn kritische Journalisten gegen die sozialen Auswirkungen anschreiben. Al-Huwayder folgte ihrem Chefredaktor Jamal Khashoggi, der drei Monate zuvor gefeuert worden war. Der Grund: Ein Cartoon der Zeitung zeigte einen Selbstmordattentäter mit einem Sprengstoffgürtel, dessen Dynamitstangen islamische Rechtserlasse waren.

‚Männlichkeit seit der Jugend verloren’

Die Journalistin schreibt nun für die in London gestaltete arabische Internet-Seite Ilaf. Gemäss Zitaten, die in der Jerusalemer Zeitung ‚Haaretz’ wiedergegeben sind, nimmt sie dabei kein Blatt vor den Mund: „Die meisten arabischen Männer haben ihre Männlichkeit schon seit ihrer Jugend verloren. Sie haben keine Kraft zu geben, und deswegen sind sie unfähig, irgendjemandem ein anständiges Leben zu gewähren. Es gibt hier keine Ausnahmen, nach der Regel: Was man nicht hat, kann man nicht geben.“

Im Streifzug durch die arabischen Länder behandelt al-Huwayder zuerst ihre saudische Heimat, den ursprünglichen Lebensraum der Araber: „Der wichtigste Charakterzug der Männer dieses Landes ist der Impotenz-Komplex. Kein Medikament ist unter ihnen so verbreitet wie die Pille gegen Impotenz. Um sich das fehlende Gefühl der Männlichkeit zu verschaffen, brauchen sie dafür mehr Geld als alle Männer der Welt…“

„Die Männer der ölfördernden Länder wurden nach dem Grundsatz erzogen, dass sie die besten, die einzigen sind. Ihr grösster Wunsch sind das traditionelle arabische Kopftuch und die Schnüre – und ein Direktorensessel. Ein chronisches Virus hat sie befallen: Es lässt sie das Bewachen (einer Frau) als Zeichen der Männlichkeit sehen und denken, dass sie nicht im Gleichgewicht sind, wenn sie nicht wachen, und ihre Frauen sich nicht wohlbefinden.“

Araberinnen klagen – aber unternehmen nichts

Über ihren Artikel setzte die Feministin aus dem Wüstenkönigreich den Titel: „Ein Aufruf an die arabischen Frauen: Ledigsein ist tausendmal besser als eine Ehe mit einem Mann in diesem elenden Orient“. Die Journalistin äussert sich auch scharf über die Bequemlichkeit der Frauen, die darauf warteten, dass ihnen die Männer Geschenke heimbrächten.

Die meisten Frauen in den Golfstaaten bemühten sich nicht aktiv um eine Verbesserung ihrer Lebensumstände, doch beklagten sie sich gleichzeitig darüber, dass sie nicht selbst ihren Ehemann wählen oder eine Spitaloperation beschliessen könnten (dafür ist die Zustimmung des Mannes, der die Aufsicht hat, nötig). „Die Frauen werden solange die tote Hälfte der Gesellschaft sein, als sie vor allem den neusten Kosmetikprodukten oder der neusten Mode nachlaufen.“

Verlierertypen: der Frauen unwürdig!

Und doch gibt es in al-Huwayders Augen kein Land arabischer Sprache, wo die Männer der Frauen würdig wären. Überall seien die Männer arm an Mut, Selbstkritik und Unternehmungsgeist, um das Beste aus ihrer Lage zu machen. Darum, schreibt sie an die Frauen in ihrer Heimat, gibt es in Saudi-Arabien „nichts, was in Euch Scham übers das Ledigsein oder Bedauern über Jahre der Einsamkeit auslösen sollte. Das Land der Araber ist voller Verlierer, Männer, die Euer oder Eures Status nicht würdig sind.“

Sie fasst die Herausforderung in einen sprechenden Vergleich: „Ist es logisch, dass Ihr nach einem langen Fasten das Fasten brecht mit einer Mahlzeit, die weder Geschmack noch Geruch hat, und Euer ganzes Leben lang schwächliche Männer begleitet?“

Verbesserungen nur im Rahmen, den Männer setzen?

Im Artikel der Jerusalemer Zeitung ‚Haaretz’, dem diese Zitate entnommen sind, weist eine jordanische Journalistin darauf hin, dass in verschiedenen arabischen Ländern die Frauen der Staatsoberhäupter sich für Frauenbelange einsetzen, so Suzanne Mubarak und die jordanische König Rania. Doch sie wollten die Frauenrechte bloss im Rahmen von Gesetz und Religion maximieren.

„Echte Feministinnen wie (die Ägypterin) Saadawi oder al-Huwayder wollen das staatliche Gesetz und die Auslegung des islamischen Gesetzes ändern. Das ist die Arbeit, die getan werden muss, wenn wir wirklich die gesellschaftliche Stellung der arabischen Frau ändern wollen. Dafür besteht allerdings kaum eine Chance, denn jene, die in arabischen Staaten die Gesetze machen und das religiöse Gesetz auslegen, sind alle Männer.“ Mit anderen Worten: Auch die Bemühungen um die Besserstellung der Frauen münden in die Frage, ob und wie der Islam, der die herrschende Stellung der Männer zementiert, reformfähig ist.

Datum: 30.03.2004
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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