Ein Rat der Religionen für die Schweiz?

Irans Präsident Khatami und Schweizer Kirchenführer im Gespräch
Für Rat der Religionen: Thomas Wipf, SEK-Ratspräsident

In Bern haben sich am Dienstagabend Vertreter der Schweizer Landeskirchen und ein Rabbiner mit dem iranischen Staatspräsidenten Mohammad Khatami getroffen. Hauptthema des Treffens war die Förderung des interreligiösen Dialogs. In der Schweiz wird an die Schaffung eines neuen "Rates der Religionen" gedacht, der regelmässige Begegnungen verantwortlicher Vertreter der Juden, Christen und Muslime ermöglichen soll.

Khatami hatte anlässlich seines offiziellen Staatsbesuches in der Schweiz kurzfristig Vertreter des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds (SEK), der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) und der jüdischen Gemeinde zu einem Treffen eingeladen. SEK-Ratspräsident Thomas Wipf, Markus Sahli, Leiter Innenbeziehungen SEK, Norbert Brunner, Bischof von Sitten, der Lausanner Weihbischof Pierre Bürcher sowie Michael Leipziger, Rabbiner von Bern, hatten Gelegenheit, mit Khatami in einem "offenen Dialog" Erfahrungen und Wissen auszutauschen, teilten die Kirchen am Mittwoch mit.

Wurzeln in den Religionen

Im Vordergrund des Gesprächs stand nach Kirchenangaben der interreligiöse Dialog. Khatami zeigte sich sehr interessiert am bilateralen Austausch vor allem mit Schweizer Glaubensgemeinschaften. "Ernsthafte Gefahren bedrohen unsere Welt, aber die Religionen können durch Betonung gemeinsamer Werte gegen Gewalt und Hass kämpfen. Die Zivilisationen haben ihre Wurzeln in den Religionen, deshalb hat auch der Dialog der Zivilisationen dort seine Wurzeln", erklärte Khatami.

SEK-Ratspräsident Thomas Wipf verwies auf die „lange Tradition“ des christlich-jüdischen Dialog bei den Reformierten. „Wir fühlen uns diesem Dialog aus theologischen Gründen zutiefst verpflichtet. Aber auch der christlich-muslimische Dialog ist für uns von zunehmender Wichtigkeit. Auch mit den muslimischen Menschen teilen wir gemeinsame Wurzeln des Glaubens. Als abrahamitische und monotheistische Religionen haben wir tiefgegründete Anknüpfungspunkte für eine besseres gegenseitiges Verstehen und einander Bereichern.“

Wipf äusserte, die Glaubensgemeinschaften seien mit zwei Entwicklungen konfrontiert: dem religiösen Fundamentalismus und der Gleichgültigkeit. Der interreligiöse Dialog könnte helfen, den eigenen Glauben als Quelle der Hoffnung wieder zu entdecken, in ethischen Fragen die spirituelle Dimension des Menschen zu berücksichtigen und gesellschaftlich einen Beitrag zum friedlichen Zusammenleben der verschiedenen Glaubensgemeinschaften leisten.

Die gemeinsame Erklärung des SEK, der SBK, der Christkatholischen Kirche der Schweiz, des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) und der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (KIOS) an der interreligiösen Feier vom 5. März 2003 im Berner Münster (Titel: "Das Band des Friedens stärken – in der Schweiz und weltweit") wurde Khatami überreicht.

Ein Rat der Religionen?

In seinem Votum schlug SEK-Präsident Thomas Wipf die Schaffung eines "Rates der Religionen" vor – eines Gefässes für regelmässige Begegnungen der Verantwortlichen der Juden, der Christen und der Muslime. Wipf will diesen Vorschlag anlässlich eines geplanten Treffens mit den Vertretern der Religionen einbringen. Die Bischofskonferenz hat 2001 eine Arbeitsgruppe gebildet, die Wege des Dialogs mit den muslimischen Gemeinschaften erforschen soll.

Kommentar

Haben die Schweizer Kirchenvertreter den iranischen Präsidenten konfrontiert mit dem, was im Westen über die Diskriminierung religiöser Minderheiten in seinem Land bekannt ist? Der SEK-Präsident jedenfalls war so sehr Diplomat, dass er in seinem Statement (gemäss dem veröffentlichten Text) kein Wort über die Menschenrechtslage im Iran verlor. Dabei hatte der hohe Gast das Gespräch gewünscht, nicht die Kirchenvertreter.

Sie hätten erwähnen können, dass schiitische Iraner nicht Christen werden dürfen – und dass viele, die dies trotzdem tun, Kopf und Kragen riskieren und deshalb verborgen bleiben. Die Schweizer Kirchenvertreter hätten erwähnen können, dass im letzten Herbst vier Männer – laut Amnesty – zum Tod durch Steinigung verurteilt wurden und sieben Frauen zu fünfzig Peitschenhieben, weil sie sich im Ramadan angeblich respektlos verhalten hatten. Die Menschenrechtsorganisation kritisierte im November „die zunehmende Inhaftierung ohne Anklageerhebung von Personen, die ihre politischen und persönlichen Ansichten friedlich geäussert haben“, sowie die „anhaltenden Hinrichtungen ohne Rücksicht auf internationale Standars, zudem Folter und andere grausame Strafen“.

Im beinharten Machtkampf in Iran finden die Reformschalmeien von Präsident Khatami, so ehrlich er sie meinen mag, nur noch wenig Widerhall. Khatami hat sich nicht durchsetzen können gegen den erzkonservativen Wächterrat, der von Khomeiny als höchste Instanz im Staat einsetzt wurde. Der Iran ist unverändert einer der schärfsten Feinde Israels. Die Medien sind geknebelt. Unter den iranischen Menschen, die nach Gerechtigkeit und Freiheit dürsten, herrschen Resignation und Verzweiflung.

Solange sie nicht frei sind, auch zu lesen, was die Bibel über Abraham und Jesus sagt, ist Präsident Khatami nicht der Adressat für den Wunsch nach interreligiösem Dialog - was immer der SEK damit meinen mag.

Statement von Pfr. Thomas Wipf auf der SEK-Webseite:
http://www.sek-feps.ch/download/khatami.pdf

Quelle: SEK

Datum: 23.01.2004
Autor: Peter Schmid

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