Französisches Kopftuchgesetz – wirksam gegen Islamisierung?

Kopftuch

Die französische Regierung hat am Mittwoch den im Dezember angekündigten Gesetzesentwurf zum Verbot islamischer Kopftücher und anderer auffälliger religiöser Zeichen an öffentlichen Schulen veröffentlicht. Das Vorhaben hat bei Sprechern verschiedenen Religionsgemeinschaften, auch ausserhalb der Grenzen Frankreichs, Proteste hervorgerufen.

In den öffentlichen Schulen will Paris das Tragen von Zeichen und Kleidungsstücken verbieten, die auf «aufdringliche» Weise die religiöse Zugehörigkeit der Schüler anzeigen. Das Gesetz soll aufs neue Schuljahr hin in Kraft treten, auch in den Überseeterritorien, aber nicht in Französisch-Polynesien.

In den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf heisst es, durch auffällige religiöse Zeichen werde die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft unmittelbar erkennbar. Solche Zeichen seien insbesondere das islamische Kopftuch, die jüdische Kippa und das christliche Kreuz «in offensichtlich übergrosser Dimension».

Politiker uneins

Die Politiker in Frankreich sind laut der Pariser Zeitung ‚Le Figaro’ uneins über Notwendigkeit und Nutzen des Gesetzes; die Meinungsgegensätze verlaufen quer durch die Parteien. Nicolas Perruchot von der zentristischen UDF wandte sich gegen das Gesetz, das, wie er vermutet, „die Muslime zu einer radikaleren Praxis ihrer Religion drängt“. Maurice Leroy von derselben Partei meinte dagegen, es sei höchste Zeit, die Regeln der Laizität in Erinnerung zu rufen.

Bei den Sozialisten steht der Wunsch im Vordergrund, das „Zusammenleben vor religiösen und Identitäts-Spannungen zu schützen“, wie Jean-Marc Ayrault sagte. Im Herbst hatten sich Laurent Fabius und Jack Lang klar für ein Gesetz ausgesprochen. Die innerparteiliche Debatte führte zum (nun im Entwurf nicht aufgenommenen) Passus, beim erneuten Verstoss habe die Schulleitung vor einer Sanktion die Betroffene „par la voie de la médiation“ zur Befolgung des Gesetzes anzuhalten.

Sind Europas Islam-Richter strikter als der Kairoer Oberscheich?

Der Präsident des französischen Islamrates, Dalil Boubakeur, nannte die Haltung von Präsident Chirac zum Gesetz weise und verantwortungsbewusst. Bei einem Empfang verwiesen Boubakeur und Frankreichs Oberrabbiner Joseph Sitruk darauf, dass es nach Chiracs Worten eine "breite Diskussion" über den Inhalt des geplanten Gesetzes geben werde. Boubakeur erklärte zudem, er selbst rate von Demonstrationen gegen den Gesetzentwurf ab.

Wie zu erwarten war, haben gewisse islamische Kreise und Vertreter weiterer betroffener Religionsgemeinschaften mit Protest auf das französische Gesetzesvorhaben reagiert. Der Europäische Fatwa-Rat, der für Muslime auf dem Kontinent islamische Urteile abgibt, forderte die Regierung in Paris auf, das Projekt nochmals zu prüfen. Die französischen Muslime wurden aufgerufen, friedlich und im Rahmen der Gesetze gegen das Vorhaben zu protestieren.

Der Vorsitzende des Fatwa-Rats, der katarische Ulema Yussef El-Karadawi, drohte laut französischen Medienberichten mit einer Verfassungsklage gegen das Gesetz. Massnahmen wie diese seien geeignet, den Extremismus zu nähren, sagte der Islam-Geistliche, der für seine umstrittenen Gerichtssprüche (Fatwas) bekannt ist.

Der Fatwa-Rat bestreitet die Einschätzung der höchsten Autorität des sunnitischen Islam, Frankreich habe als souveräner Staat das Recht zum Verbot des islamischen Kopftuchs. Der Scheich der Al-Azhar-Universität in Kairo, Mohammed Sayyed Tantawi, hatte beim Besuch des französischen Innenministers Nicolas Sarkozy vor kurzem erklärt, nur in muslimischen Ländern gelte die absolute Pflicht für Frauen, den Schleier zu tragen. Gegen Verbote in westlichen Ländern dürften sich Muslime nicht auflehnen.

Stimme aus Indien: Der Turban der Sikhs gehört zu ihrer Identität

Die höchste Autorität der Religion der Sikhs nannte das geplante Gesetz einen "unmittelbaren Eingriff" in die Rechte der Sikhs in Frankreich. Diese würden nicht hinnehmen, ihres Turbans als Zeichen ihrer religiösen Identität beraubt zu werden, heisst es in einer Erklärung der im nordindischen Amritsar ansässigen Kommission Shiromani Gurdwara Parbandhak. Den Sikhs, von denen in Frankreich rund 3’000 leben, ist das Tragen des Turbans vorgeschrieben.

Zeichen der Islamisierung

Die Regierung Frankreichs reagiert mit dem Gesetzesentwurf auf die zunehmenden Forderungen von konservativen Muslimen, das öffentliche Leben gemäss (ihrer Auslegung) der Scharia, dem islamischen Gesetz, zu regeln. So wurde in einem öffentlichen Schwimmbad Männern der Zutritt zu gewissen Zeiten verboten. In den Schulen wird getrennter Turnunterricht für Knaben und Mädchen gefordert.

Immer mehr junge Musliminnen grenzen sich mit dem Tragen des Kopftuchs von der westlichen Kultur ab. Die Zahl der Muslime in Frankreich wird auf mindestens fünf Millionen geschätzt; einige Quellen gehen von sechs Millionen aus. Damit hat Frankreich die grösste muslimische Minderheit in Westeuropa; die Debatte dürfte eine Signalwirkung auf dem Kontinent haben.

Offizielle Begründung für das ‚Kopftuch’-Gesetz

Der seit vielen Jahren anhaltende Kopftuchstreit rührt an die Grundlagen des republikanischen Staats, der in der Folge der Revolution von 1789 ein laizistisches (religionsloses) Gepräge erhielt (Trennung von Kirche und Staat 1905). Nun wird debattiert, wie dieser Grundzug des Staats zu verteidigen ist. Zur Begründung des Gesetzesentwurfs führt die Pariser Regierung aus (Übersetzung durch Nachrichtenagentur Kipa):

„Das in den ersten Artikel der Verfassung eingeschriebene Prinzip der Laizität, das Ausdruck der Werte Respekt, Dialog und Toleranz ist, bildet das Herzstück der republikanischen Identität Frankreichs. Die Laizität garantiert die Gewissensfreiheit. Indem sie die Freiheit schützt, zu glauben oder nicht zu glauben, sichert sie jedem die Möglichkeit, seinen Glauben friedlich auszudrücken und zu praktizieren. Offen, friedlich und grosszügig versammelt sie seit nahezu einem Jahrhundert alle Bekenntnisse und alle geistigen Strömungen.

Die Verwirklichung dieses Prinzips der Laizität stösst sich indes trotz der Kraft dieses republikanischen Besitzstandes an neuen und wachsenden Schwierigkeiten, die in den vergangenen Monaten zu einer breiten Debatte in der französischen Gesellschaft geführt haben. Dies gilt besonders in einigen öffentlichen Diensten wie der Schule und den Krankenhäusern.“

Chancengleichheit für Knaben und Mädchen

„In dieser Hinsicht erscheint die Bestätigung des Prinzips der Laizität in der Schule, dem vorrangigen Ort des Erwerbs und der Weitergabe unserer gemeinsamen Werte und herausragendes Instrument der Verwurzelung der republikanischen Idee, heute unverzichtbar. Die Schule muss geschützt werden, um die Chancengleichheit zu sichern, die Gleichheit vor dem Erwerb der Werte und des Wissens, die Gleichheit zwischen Mädchen und Jungen, die gemischtgeschlechtliche Erziehung in allen Bildungseinrichtungen und besonders bei der physischen und sportlichen Erziehung.

Es geht nicht darum, die Grenzen der Laizität zu verschieben. Es geht auch nicht darum, aus der Schule einen Ort der Uniformität und der Anonymität zu machen, die das religiöse Faktum ignorierte. Vielmehr geht es darum, den Lehrern und Schulleitern zu erlauben, gelassen ihre Mission wahrzunehmen, indem eine klare Regel bekräftigt wird, die seit langem in unseren Gebräuchen und Praktiken üblich ist.

Wenn die Schüler der öffentlichen Schulen, Kollegien und Gymnasien natürlich frei sind, ihren Glauben zu leben, so muss dies unter Respekt der Laizität der republikanischen Schule geschehen. Es ist die Neutralität der Schule, die den Respekt der Gewissensfreiheit der Schüler sichert, den gleichen Respekt aller Überzeugungen.(...)

Dies ist der Sinn des vorliegenden Gesetzentwurfs, der im Erziehungs-Gesetzbuch einen Artikel L 145-5-1 schafft, der an allen öffentlichen Schulen die aufdringlichen religiösen Zeichen verbietet. Diese Zeichen - der islamische Schleier (egal, welchen Namen man ihm gibt), die Kippa oder ein Kreuz von offenkundig exzessiven Ausmassen - haben keinen Platz auf dem Gelände öffentlicher Schulen. Dagegen bleiben diskrete Zeichen der Religionszugehörigkeit wie zum Beispiel ein Kreuz, ein Davidsstern oder eine Fatima-Hand natürlich möglich…“

Quellen: Livenet/Kipa

Datum: 09.01.2004
Autor: Peter Schmid

Werbung
Livenet Service
Werbung