„Antisemitische Äusserungen“: Genfer Islam-Lehrer unter Beschuss

Tariq Ramadan

Studierende des in Freiburg im Üechtland lehrenden Genfer Islamwissenschaftlers Tariq Ramadan wollen mit zwei Petitionen an das Rektorat der Universität und an die Kantonsregierung verhindern, dass diesem der Lehrauftrag entzogen wird. Ramadan hat Anfang Oktober mit einem Artikel auf einer Islam-Website eine heftige Polemik in Frankreich und zum Teil auch in der Westschweiz ausgelöst, in der es um Rassismus und Antisemitismus geht.

Die Studierenden des Religionswissenschaftlichen Instituts der Universität Freiburg befürchten, dass Tariq Ramadan aus politischen Gründen der Lehrauftrag entzogen wird, den er jeweils während einer Stunde pro Woche in Freiburg wahrnimmt. Zwei Petitionen mit insgesamt 194 Unterschriften gingen an das Rektorat der Universität und die Freiburger Kantonsregierung.

‚Kritische Distanz zum Islam’?

Darin bestätigen die Studierenden unter anderem, dass Ramadan ihnen in seinem Unterricht in keiner Weise irgendwelche religiösen Überzeugungen aufdränge. Sein Unterricht sei gleichzeitig von kritischer Distanz zum Islam und von praktischen Glaubenserfahrungen geprägt, betonten sie gegenüber der Freiburger Tageszeitung "La Liberté" von Mittwoch. In der Tat hat sich Ramadan, ein Enkel des Gründers der Muslimbruderschaft in Ägypten, wiederholt scharf kritisch über die in Saudi-Arabien herrschende Richtung des Islam, den Wahhabitismus, geäussert.

Falls Ramadan der Lehrauftrag entzogen werde, so werde dafür die jüngste Polemik, nicht aber die pädagogische Qualität des Islamwissenschaftlers ausschlaggebend sein, befürchten die Studierenden. Richard Friedli, Professor für Religionswissenschaft am Institut, äusserte sich in ähnlichem Sinne. Die Polemik stellt seines Erachtens das didaktische Konzept des Instituts in Frage. Ramadan unterrichte seit sieben Jahren erfolgreich in Freiburg, sei promovierter Islamwissenschaftler der Universität Genf und gehe den Islam nicht nur aus theologischer Sicht an.

Parlamentarische Anfrage

Hintergrund des Studenten-Vorstosses ist eine am 5. November eingereichte Interpellation der SVP-Vertreterin Claire Peiry-Kolly im Freiburger Kantonsparlament, worin diese vom Staatsrat wissen will, ob es "angebracht" sei, dass ein "Polemiker" wie Tariq Ramadan im Lehrkörper einer so renommierten katholischen Universität wie Freiburg seinen Platz habe. Sie äusserte ferner ihre Besorgnis über die Gefahr, dass der fundamentalistisch eingestellte Islamwissenschaftler "Proselytismus" (Abwerbung von Gläubigen) unter gewissen Studierenden betreiben könnte.

In ihrer Interpellation nahm Claire Peiry Bezug auf „antisemitische Äusserungen" von Tariq Ramadan in einem Artikel, der am 3. Oktober auf der französischen Islam-Website oumma.com erschienen war. Darin kritisierte der Genfer Islamwissenschaftler und Mittelschullehrer den angeblich fehlenden "Universalismus" jüdischer Intellektueller sowie die Unfähigkeit einiger französischer Publizisten, von ihrer jüdischen Abstammung zu abstrahieren.

Der Genfer Muslim, der in Frankreich sehr bekannt ist, griff mit Alain Finkielkraut, André Glucksmann, Bernard Kouchner und Bernard-Henri Lévy einige der bekanntesten Autoren des Landes an. Sie hätten die Invasion im Irak unterstützt. Wenn man, so Ramadan, von islamischen Intellektuellen fordere, im Namen der universellen Menschenrechte den Terrorismus, die Gewalt und den Antisemitismus zu verurteilen, hätten die jüdischen Intellektuellen ebenso die repressive Politik Israels gegenüber den Palästinensern zu verurteilen!

Vorrang der Religion

Tariq Ramadan beharrt in der gegenwärtigen Diskussion rund um einen "Euro-Islam" auf dem Vorrang der Religion. Ein Kompromiss zwischen der Konfessionsneutralität des Staates und Geboten der islamischen Glaubensgemeinschaft darf laut Ramadan nicht auf Kosten der Religion gehen. Seine Position stösst international auf Kritik. Solange Ramadan sich "einen Islam ohne Scharia und ohne Dschihad nicht vorstellen" könne, sei die von diesem vertretene Version eines "Euro-Islam" indiskutabel, kritisiert etwa Bassam Tibi, Professor für internationale Beziehungen in Göttingen.

Der Anstoss erregende Artikel von Tariq Ramadan:
http://oumma.com/article.php3?id_article=719

Quelle: Kipa/Livenet

Datum: 12.12.2003

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